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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

und überhaupt durch eine Lebensart, bei welcher der Körper blos an Stubenluft gewöhnt, vor jedem Witterungswechsel aber allzuängstlich behütet wird. – Beide Geschlechter sind den Erkältungskrankheiten gleichförmig stark ausgesetzt; die Frauen mehr wegen Zartheit der Haut und Unvorsichtigkeit (dünne Strümpfe und Schuhe, leichter Bekleidung), die Männer häufiger wegen ihrer rauhen, keine Schonung zulassenden Beschäftigung oder wegen Verweichlichung.

Die Erkältbarkeit läßt sich auf zweierlei Weise bekämpfen: mit Schutzmitteln gegen die Erkältung und mit Abhärtung der Haut. Das schützende Verfahren verlangt, daß Patient eine trockene, sonnige, gut heizbare Wohnung und Schlafstelle habe, kalte Morgen- und Abendluft, besonders aber Zugwinde vermeide, sich warm kleide, insbesondere wollene, seidene oder baumwollene Unterkleider auf der bloßen Haut trage, bei Neigung zu kalten und schwitzenden Füßen die wollenen Strümpfe öfters wechsele und warmes Schuhwerk anziehe. Die Haut ist öfters zu baden, zu waschen und derb abzureiben; manchmal schützen auch Fett- und Oeleinreibungen, über den ganzen Körper gemacht, gegen Erkältung. – Allmählich (ja nicht plötzlich) gehe man zur Abhärtungscur über, indem man sich nach und nach immer kälter wäscht und badet, nachher alle Mal derb abreibt, in die freie frische Luft geht, leichtere Bedeckung und dünnere (leinene) Kleider trägt, turnt, Garten- und Landarbeiten, Fuß- und Gebirgsreisen vornimmt und die Erkältungsfurcht fahren läßt.

Um den üblen Folgen einer Erkältung vorzubeugen, bringe man die Haut sobald als möglich in Schweiß, entweder mittels stärkerer Muskelanstrengungen (tanzen, turnen, laufen) oder durch innere und äußere Wärme (reichliches Trinken heißen Wassers oder Thees, Dampfbad, Einhüllen in warme Betten oder Decken). Ist nach einer Erkältung schon irgend ein Krankheitsproceß eingetreten, so lasse man das Schwitzen sein, denn dann ist die einmal entstandene Erkältungskrankheit nach ihrer besondern Natur zu behandeln.

Bock.




Besuch eines Kohlenbergwerks in Süd-Wales.

In England sind die Leute, welche Geld und Geschäfte haben, fast immer auf Reisen. Die Kaufleute der City, selbst Arbeiter, fahren jeden Morgen in’s Geschäft und um fünf Uhr zurück. Jeder, der Zeit und Geld sparen will, fährt in London mit Eisenbahn, Dampfschiff, Omnibus, auch wenn er keinen ganzen Fetzen am Leibe hat. Die Aristokratie reiset immer zwischen ihren verschiedenen Wohnungen umher. Nach dem Parlamente im August fliegt Alles, was respectabel sein will, aus nach Schottland, Wales, Spanien, an den Rhein, am Nil hinauf, nach Amerika, in eine der vielen Inseln und Colonien u. s. w., und darf sich respektabler Weise nicht eher wieder in London sehen lassen, als um die Zeit, wann das Parlament wieder eröffnet wird. Wer eher zurückkommt, gehört nicht zu den „obersten Zehntausend“ und ist kein „Gentleman“ ersten Ranges. Das Reisen ist nach englischen Begriffen im Durchschnitt sehr billig, und wird durch keine Spur von Paß und Polizei belästigt. Dies kommt Jedem und dem ganzen Lande zu Gute, da Bewegung Leben und Gesundheit ist, und alle Locomotivinstrumente und Wagen in dichten Reihenfolgen und Begegnungen Menschen und Waaren lustig durcheinander mischen, und Geld und Gut in stets frischem Flusse von Hand zu Hand strömen. In England bleiben die Leute ruhig, weil sie sich ohne Paß und Polizei frei bewegen können. Anderswo sucht man durch Erschwerung und Controle der ruhigen Bewegung böses Blut und unzufriedene Köpfe in einer Art von Gefangenschaft zu halten, und gibt dadurch Veranlassung zu allgemeiner Unzufriedenheit auch der gutgesinnten Bürger, hindert und hemmt dadurch die leichte Circulation der Säfte, welche auch böses Blut absorbirt und so just die öffentliche Ruhe und Zufriedenheit fördern würde. Daß die englische Politik in dieser Beziehung die praktischere ist, begreift sich leicht und wird durch Thatsachen, durch die ganze Geschichte bestätigt.

Ohne irgend Jemanden zu fragen, als meine Casse, fuhr ich eines Morgens auch davon nach Wales hinüber, wo ich schon einmal gewesen, wie eine frühere Nummer der Gartenlaube beweist, um zwischen den Gebirgen und Tiefen dieser romantischen Gegenden auf bessere Gedanken, in bessere Luft, zu stärkeren Nerven zu kommen, und zugleich eine Höllenfahrt 10 bis 15 Millionen Jahre tief in die Geschichte der Erde zu machen. Zu letzterer führte mich freilich blos ein Zufall; doch halte ich diese Fahrt so sehr für das Haupterlebniß meines Ausflugs, daß ich sie ausschließlich zu schildern versuchen will. Nicht Jeder kann sich so tief in die geologischen Geschichtsschichten der Erde versenken, so daß eine imaginäre Fahrt mit Hülfe meiner Schilderung einen Ersatz für die wirkliche bieten mag.

Die Kohlenminen von Süd-Wales sind weltberühmt, sowohl wegen ihrer Tiefe, als ihres reichen Ertrags und der meisterhaften Technik ihrer Bearbeitung, so daß Explosionen und sonstige Unglücksfälle, in andern Kohlendistricten noch so häufig, hier seit Jahren nicht mehr vorkommen. Mit einem hohen Grade von Zuversicht zogen wir uns deshalb die Uniform der Unterwelt an, die man uns bot: starkes blauwollenes Zeug vom Kopfe bis zum Fuße. Auf die Frage, warum wir diese wollene Uniform anziehen müßten, hieß es: sie brennt nicht so leicht im Falle eines Feuers, einer explodirenden Gasmasse. – Wir sahen uns gegenseitig etwas bedenklich an, doch wollte Niemand Mangel an Muth verrathen, so daß wir kühn vor die Haupthöhle schritten und unsere Davy-Lampen in Empfang nahmen. Ich fragte unsern Führer, ob Explosionen noch sehr häufig vorkämen.

„Kein Gedanke,“ antwortet er, und bleibt vorwurfsvoll stehen. „Jede Minute ziehen 90,000 Cubikfuß frische Luft durch die ganze Mine in zehn besonderen Zügen ein und aus. Jedes Winkelchen und Ritzchen wird fortwährend rein ausgefegt, so daß keine Spur bösen Wetters sich irgendwo festsetzen kann.“

Dadurch etwas getröstet, bleiben wir am Haupteingange stehen, in welchem dicke Lederriemen sich mit furchtbarer Schnelligkeit bewegen, und große Käfige oder Tramen im Nu hier herauf-, dort hinunterrollen. Dies wechselt fortwährend alle Minuten, hier Leute und Kohlen herauf an’s Tageslicht reißend, dort erstere eben so schnell versenkend. Wir sind reisefertig und treten in den stillhaltenden Käfig. Unser Führer schreit etwas Unverständliches, und wir stürzen in den Abgrund mit Eisenbahngeschwindigkeit. Es donnert und wirbelt und saust um unsere Ohren, wir fühlen einen stark zunehmenden Druck gegen Augen, Nase, Kopf, den ganzen Körper, so schnell nimmt die Dichtigkeit der Lust zu. An uns vorbei sausen Leute in die Höhe (über 300 täglich auf und ab), schwere Kohlenlasten und fürchterliche Schreckbilder, die uns grimmig von allen Seiten anzustarren scheinen. Nach etwa einer Minute, eine furchtbar lange Zeit für uns – geht unser Korb oder Käfig plötzlich langsamer und hält mit leisem Stoße auf dem Boden unten, der vor so und so viel Millionen Jahren einst üppig waldige Erdoberfläche war. Feuer- und Wassereruptionen und in’s „Meer der Ewigkeit“ fluthende Zeitströme liefen und lagerten sich darüber hin und drückten die colossalen Farrenwälder zu Steinkohlenschichten zusammen, aus denen die gegenwärtige Menschheit Leucht-, Heiz- und Maschinentriebkraft bezieht.

Wir sind auf dem Abgrunde angekommen, einem großen, hallenartigen Raume mit unheimlich aus der Dunkelheit flickernden Wänden und verschiedenen Thüren und Oeffnungen. In eine derselben weiter geführt, passiren wir Züge von Kohlen auf Schienen und leere Wagen in entgegengesetzter Richtung, die sich in der Mitte unter dem schnurgerade heruntersteigenden Hauptschacht in aufsteigende Luftwaggons entluden. Letztere rollen ununterbrochen nach der Oberfläche, während dieselbe Dampfmaschinenkraft stets ebenso viele leere herunterwirbelt. Das unheimliche, dunkele, von einzelnen Lampen strichweise beleuchtete Donnern und Hämmern, Rollen und Rutschen, wovon man die Triebkräfte nicht sieht, und das sich doch so sicher und ordentlich abwickelt, veranlaßt uns zu der Frage:

„Wie viel Kohlen schafft Ihr täglich hinauf?“

„Durchschnittlich 12,000 Centner täglich,“ antwortete der Führer.

„Und wie groß ist das offene Aderwerk hier unten?“ „Voriges Jahr waren’s 200 Morgen, jetzt aber bedeutend mehr.“

Dabei werden wir in eine Art von Kajüte mit Stühlen ringsum geführt und gebeten, uns niederzulassen, bis wir „unsre Augen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_023.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2020)