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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858)

Als daher Arthur las, daß Alphons auf seinem Gute sei, wurde er wüthend. Er wunderte sich über seine Mutter, schimpfte auf Alphons und nannte seine Frau eine Thörin; dann aber gedachte er auch dessen, was seine Mutter über Bernhardinens Fügsamkeit sich Andern anzuschmiegen gesagt hatte, und seine Eifersucht verdoppelte sich. In diesem Gemüthszustande empfing er einen Brief von seiner Mutter. Nach einigen Präliminarien über Geschäftssachen sagte das Schreiben, wie folgt:

„Es ist wirklich recht amüsant, Bernhardinen und Alphons bei einander zu sehen, sie spielen zusammen, als ob sie noch Kinder in der Kinderstube wären. Bernhardine ist allerliebst geworden und ist voll Geist und Leben. Himmel, was ist aus dem einst so thränenreichen, nervösen, niedergeschlagenen Schulmädchen geworden! Weißt Du, Arthur, ich glaube wirklich, Du hast das Kind zu sehr commandirt, Alphons dagegen ermuthiget sie. Er ist bezaubert von ihrer Unbefangenheit und ihrem Muthwillen, und sie von seinem stets heiteren Wesen und seiner Artigkeit. Und er ist ohne alle Frage ein äußerst einnehmender Bursche, wenn ich auch nicht Bernhardinens Enthusiasmus für ihn ganz und gar theilen kann. Denke Dir, gestern Abend sagte sie sogar, sie wollte, Du glichest ihm mehr. Für meine Person ist mir jede Individualität heilig; ginge es mir nach, ich duldete kein moralisches Flickwerk. Fräulein Waldheim ärgert mich, daß sie von Alphonsens Wesens abgestoßen wird. Gestern Abend machte sie sogar ernstlich Deiner Frau Vorwürfe über ihre offenbare Parteilichkeit, die Bernhardine aber Vetterschaft nennt. Da aber traf sie ein stolzer Blick von Fräulein Waldheim, und die kleine Bernhardine floh zu Alphons – zu Cousin Alphons, wie sie ihn nennt, daß er sie schütze.“

Arthur hatte genug gelesen. Er zerknitterte den Brief in seiner Hand, bedeckte dann sein Gesicht und stöhnte, und mehrere Tage vergingen, ehe er an seine Frau zu schreiben vermochte, die sich sein Schweigen gar nicht zu erklären wußte. Denn bisher hatte er nach der gewöhnlichen Weise junger liebender Ehemänner jeden Tag geschrieben, jetzt aber war er zu mißtrauisch, um seiner Feder den natürlichen Lauf zu lassen, und zu stolz, um sein Mißtrauen zu verbergen, und so beschloß er denn zuletzt, das Schreiben ganz zu unterlassen. Seine arme Frau litt darunter unbeschreiblich. Sich keiner Schuld bewußt, blieb ihr nichts übrig als zu glauben, er sei krank oder es sei ihm ein entsetzliches Unglück passirt. Ihre aufgeregte Phantasie sah ihn von einem die Hauptstadt durchrasenden Wagen überfahren, gerädert, todt. Es war eben so peinlich als rührend, das arme Wesen sich so selbstquälend und ängstigend zu sehen; nur ihre Schwiegermutter ward dadurch nicht blos nicht gerührt, sondern sogar zu verspottendem Hohn bewogen. Alphons aber bemühte sich von Herzen, sie zu beruhigen. Endlich kam am vierten Tage ein kurzer, gehaltener, kalter Brief. Es war nichts darin, das sie verwundet hätte, aber auch nichts, das sie erfreute. Bernhardine wünschte beinah, er hätte ihr gar nicht geschrieben, nur war sie froh und dankbar, ihn wohl zu wissen, und daß nichts Schlimmes ihm zugestoßen war.

Sie antwortete ihm, als wenn keine Wolke ihren Ehehimmel verdüsterte, und erlaubte sich keine Bemerkung. Sie erzählte ihm alles das, was sie gethan hatte, wobei sich hie und da Alphonsens Name mit beimischte, je nachdem die Thatsache es der Wahrheit gemäß verlangte. Unter anderem erzählte sie auch, wie gütig seine Mutter zu ihr sei, und wie angenehm Fräulein Waldheim sein könnte, wenn sie nur wollte. So sei sie es besonders vor einigen Tagen gewesen, da sie und Cousin Alphons mit einander bei ihr zum Besuch gewesen waren.

„Meine Mutter hatte Recht,“ sagte Arthur zähneknirschend. „Bernhardine hat das gemeine Laster der Schwachen, sie ist nicht beständig, nicht wahr. Und dieser Brief, der die Güte der Mutter und die Cordialität der Waldheim rühmt, ist ein Beweis davon. Ich war ein Thor. Wie konnte ich erwarten, daß ein Frauenzimmer, das nicht von meiner Stellung ist, die Gefühle einer durchaus wohlerzogenen Edeldame besitze und feinfühlend und treu sei einem so gewöhnlichen Lockvogel und Windbeutel gegenüber, wie jener da ist. Wie kalt sie schreibt! Sie erwähnt nicht einmal meines langen Schweigens. Es bleibt nichts übrig, wir müssen uns trennen, und die Sache muß noch in diesem Monate zu Ende kommen. Schrecklich, sich schon drei Monate nach der Verheirathung trennen zu müssen! Ein schlechtes Zeugniß das, für Ehen aus Liebe! Hätte ich den Burschen hier, ich stieße ihm das Messer in seine falsche Brust!“ Und mit diesen Worten ergriff Arthur das Messer, das auf dem Tische lag, worauf sein unberührtes Frühstück stand, und warf es gegen die Thür, in welcher es stecken blieb. In Gedanken hatte er den Mord wirklich begangen.

(Schluß folgt.)




Ein Pirschpfad auf der Gemsjagd.
Von Fr. Gerstäcker.

Im Laufe des vorigen Jahres versuchte ich, den Lesern der Gartenlaube die Jagd auf Gemsen zu schildern, indem ich ihnen besonders das Auf- und Niedersteigen in den Bergen beschrieb. In der beifolgenden Zeichnung führe ich nun den Leser ein mal quer durch die Berge, und zwar auf einem der sogenannten Pirschpfade, die im Ganzen allerdings nicht gefährlich zu begehen sind, aber doch auch ihre sehr interessanten Stellen haben.

In unseren deutschen Wäldern kann der Leser überall „Pirschpfade“ sehen. Es sind schmale, durch Dickichte ausgehauene Gänge, in solcher Art angelegt, daß der Jäger geräuschlos darauf hinpirschen mag, und dabei zu Stellen geführt wird, auf denen das Wild entweder herüber und hinüber wechselt, oder zur Aeßung auf offene Waldwiesen tritt, oder auch wohl eine künstlich angelegte Suhle besucht.

Der eigentliche Gemsjäger nun kennt allerdings keine solche von Menschenhand angelegten Wege, denn mit Stock und Steigeisen klettert er eben in die Berge hinein, wie sie der liebe Gott ihm hingestellt hat, und sucht dem scheuen Wilde beizukommen, so gut das eben geht. Er nimmt sich dabei auch noch Zeit, und wendet volle Tage daran, einen einzelnen Bock zu beschleichen, oder auf seinem Wechsel zu warten, bis es ihm einmal gefällt, dort vorbeizukommen. Viele Schluchten, sogenannte Klammen, sind selbst ihm dabei unzugänglich, und er muß sie in weiten Umwegen umklettern, und gerade in solche Plätze stellt sich der Gemsbock am liebsten ein.

Die Gemse sucht überhaupt die schroffsten, unzugänglichsten Stellen, und nicht allein deshalb, weil sie dort am leichtesten und schnellsten einer plötzlichen Gefahr ausweichen kann, sondern weil auch gerade an solchen die süßesten Gräser und Kräuter wachsen. Im Wald und auf den Lannen fände sie Aeßung genug, und zwar viel reichlicher, als auf dem schroffen Geröll der Reißen und an den steilen Hängen, aber jenes Gras ist lange nicht so zart und süß, als das, was spärlich wächst, und die saftige, fast gewürzige Gemskresse liebt ebenfalls nur die sonnigsten und rauhesten Orte.

Für herrschaftliche Jagden sind aber die Pirschwege unumgänglich nöthig und zwar nicht allein für die Schützen selber, sondern besonders auch für die Treiber, und zwar, um die in den Bergen höchst werthvolle Zeit zu ersparen. Aber es kommt auch deshalb Alles darauf an, daß sie mit Umsicht eingerichtet und angelegt werden, wenn sie nicht mehr Schaden als Nutzen bringen sollen.

Hauptsächlich dienen sie dazu, die enormen Entfernungen in den Bergen zu kürzen, und manche „schieche" Schluchten überhaupt zugänglich zu machen, deren äußeren Rand man sonst nur berühren könnte; oder auch, wo sie an zugänglicheren Wänden hinführen, das Wild in Sicht zu bekommen, und dann – vom Pirschpfad ab – den eigentlichen Pirschgang erst zu beginnen. Vom Pirschpfad selber aus wird man selten ein Stück zum Schuß bekommen, es müßte sich denn rein zufällig dort in der Nähe äßen. Die Entfernungen in diesen Bergen sind zu gewaltig – das Revier ist zu entsetzlich ausgedehnt, seine Jagd auf einen solchen Pfad zu beschränken. Fast so nöthig, wie die Büchse für den Jäger, ist deshalb auch die Perspective, – Bergspectiv, wie es der Tyroler gar nicht übel nennt – mit diesem die mächtigen Wände und Hänge, Schluchten und vorspringende Felsen ordentlich und gehörig abzuäugen, und nach dem gesehenen Wild dann die Jagd gehörig anzuordnen, oder sich auch an das Wild hinanzupirschen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1858). Leipzig: Ernst Keil, 1858, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1858)_004.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2019)