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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Die Flederhunde oder „Vampyre.“

Da an vielen Orten Deutschlands, namentlich in Berlin, in neuerer Zeit die Gelegenheit geboten wurde, ein Pärchen, später nur noch das Männchen obiger Flederhundart lebend zu sehen, und gewiß viele meiner verehrten Leser und Leserinnen dieselbe nicht ungenützt vorübergehen ließen, so erlaube ich mir, hier etwas ausführlicher die Naturgeschichte dieser nur den heißen Erdstrichen angehörigen, daher bei uns zu Lande nicht lange am Leben zu erhaltenden Thiere zu besprechen und zugleich die irrthümlichen Mittheilungen über dieselben zu berichtigen, welche der Menageriebesitzer bei seinen Demonstrationen dem Publicum gemacht hat. Die Flatterthiere (Fledermäuse) zerfallen in:

1) insectenfressende oder Fledermäuse und
2) fruchtfressende oder Flederhunde,

welche beide Gruppen in ihren äußern Formen die auffallendsten Unterschiede darbieten. –

Die Flederhunde gleichen oder übertreffen noch an Größe ihres Rumpfes unsere gemeine Ratte. Schnauze, Nase, Ohren, überhaupt die Form des ganzen Kopfes erinnert so lebhaft an die Hundephysiognomie, daß man bei der Taufe der Thiere darauf Rücksicht genommen hat. Die Augen sind groß, die Ohren weit von einander abstehend, übrigens bei den verschiedenen Arten verschieden in Länge, Breite, Zuspitzung und Behaarung. Von den Backzähnen, meist an Zahl fünf in dem Ober-, sechs im Unterkiefer, ist der erste am kleinsten und bildet mit seinem Nachbar, der nach außen mit einem kegelförmigen Höcker besetzt ist, die sogenannten Lückenzähne. Die folgenden, eigentlichen Backzähne, dienen zum Kauen und sind, nach hinten allmählich kleiner werdend, stumpf dreihöckrig. Die vier Eckzähne sind drei- oder vierkantig, beide untere schlanker im Vergleich zu denen im Oberkiefer und ragen alle weit hervor. In jedem Kiefer stehen endlich zwischen den kräftigen Eckzähnen vier kleine, deren untere meist immer kleiner sind als die oberen. Die Zunge ist rauh, wie die der Katzen und deshalb hat man sie wohl ehemals für Blutsauger gehalten. Was nun die Bildung der Gliedmaßen anlangt, so stimmen diese Thiere im Allgemeinen mit den Fledermäusen überein, worin ja eben das Charakteristische der Flatterthiere besteht.

Der Flederhund (Pteropus Edwardsi)

Die vorderen Gliedmaßen (hier Hände genannt) haben nämlich einen freien Daumen, während sich zwischen den übrigen, ungemein verlängerten Fingern längs der Körperseite bis zu den Hinterfüßen mit normaler Zehenbildung eine ungemein zarte und weiche, stellenweise behaarte Flughaut ausbreitet, die hier mehr auf dem Rücken, dort dagegen an den Körperseiten angewachsen ist. Außerdem sind die Flederhunde vor den Fledermäusen ausgezeichnet durch den langen, kräftigen Daumen und den mit einer Kralle versehenen Zeigefinger, indem dort nur der erstere eine Kralle hat; außerdem ist bei den Flederhunden die Flughaut zwischen den Hinterbeinen sehr tief ausgeschnitten, fehlt wohl auch gänzlich und schließt den hier an sich kürzern Schwanz nur an seiner Wurzel ein oder in dem Falle ganz, wo er stummelhaft ist. Um den Unterschied zwischen den insecten- und fruchtfressenden Flatterthieren recht deutlich hervortreten zu lassen, sei es vergönnt, in obiger Reihenfolge die Charaktere der ersteren noch kurz aufzuführen.

Die Fledermäuse erreichen in ihrer Körpergröße nie die einer Ratte, ihre Schnauze ist stumpf, zum Theil mit gespaltener Oberlippe, der Kopf daher mehr rund und dick, die Nase vieler mit verschieden geformten blattartigen Aufsätzen versehen, ihre Ohren verhältnißmäßig sehr groß, einander genähert, bisweilen an der Wurzel zusammengewachsen, mit häutiger, deckelartiger Klappe, die Augen verhältnißmäßig klein. Die Zahnbildung ist unter ihnen sehr verschieden und rücksichtlich der Vorder- und Eckzähne wenig abweichend von der bei den Fruchtfressern, in Rücksicht der Backzähne sind aber alle dadurch von diesen verschieden, daß ihre echten Backzähne aus zwei dreikantigen Prismen mit zackig erhöhten Spitzen bestehen.

Zwischen der Gattung Pteropus, welche den deutschen Namen Flederhund erhalten hat, und den Insectenfressern finden sich noch einige Uebergangsformen, auf welche die angegebenen Merkmale weniger passen, die aber zu den Fruchtfressern gehören. Sie alle leben nur im östlichen Afrika, Ostindien, den dazu gehörigen Inseln und ziehen sich hinüber bis Australien, während die Insectenfresser über die ganze Erde verbreitet, die blutsaugenden Vampyre unter ihnen aber nur auf Südamerika beschränkt sind.

Ehemals wurden die Flederhunde ihrer Größe wegen für gefährliche Thiere gehalten, die Vögel und kleine Säugethiere fräßen und den Reisenden die Speisen im Felde vom Feuer weg holten. Man gab ihnen den Schrecken erregenden Namen „Vampyr“ und die Alten scheinen sie im Sinn gehabt zu haben, wenn sie gewisse Strafgöttinnen mit dem Namen „Harpyien“ bezeichneten. Schon Herodot erwähnt große Fledermäuse, welche sich auf der in den arabischen Sümpfen wachsenden Pflanze Casia

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 705. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_705.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2022)