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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

in die lächerlichsten Formen gebrachten und so auf das Gräulichste ruinirten Bäume und Hecken. Treppenanlagen und Corridore bieten dagegen herrliche Motive für Genre- und Landschaftsmaler. Bald tauchten die stolzen Schlösser Koburg und Callenberg in der Abendsonne vor uns auf, und es dauerte nicht mehr lange, so fuhren wir in ersteres ein, wo die langweiligen Kellner im Gasthof zur Post die Reisenden abschreckten und sie bestimmten, für diese Nacht das Daunenbett des „weißen Schwanes“ zu suchen.

An der Chaussee bei Schleusingen.

Auf einem parkartig behandelten hohen Berg, etwa 1/2 Stunde entfernt, liegt die Burg (die „fränkische Leuchte“ genannt), eine der sehenswerthesten, deren vortreffliche Restauration von einem, gar nicht hoch genug anzuerkennenden Kunstsinn des jetzigen Besitzers zeugt. Alles auf das Gediegenste in feinem gothischen Geschmack wieder hergestellt von Rothbart, einem würdigen Schüler des alten Heideloff. Die Holztreppe, welche von dem innern Hofe in die Gemächer führt, ist in reichster Durchführung mit glücklich malerischer Wirkung angelegt. Auf dem ersten Corridor zieht sich, an der oberen Wand entlang, ein eben so hübsch gezeichnetes, als harmonisches Bild (den Brautzug eines Ahnherrn darstellend), das ich für ein Werk Meister Adolf Schrödter’s hielt, und nur mißtrauisch der Versicherung nachgab, daß es von Schneider sei. Im Innern ist eine bemerkenswerthe Rüstkammer mit den auserlesensten Stücken, – eine Sammlung origineller Gläser etc. etc. in höchst geschickt renovirten Gemächern; ferner das Reformationszimmer mit den lebensgroßen Portraits der wichtigsten protestantischen Reformatoren, und auch das Lutherzimmer, in dem der Glaubensheld sein herrliches, unsterbliches Lied „eine feste Burg ist unser Gott“ dichtete. Es ist einfach – sehr einfach, aber ungemein gemüthlich mit seinen Steinsitzen in den tiefen Fensternischen und der herrlichen, entzückenden Aussicht. Von seinen eignen Möbeln sind nur noch die vom Wurm zerfressenen Trümmer eines Bettes und die Rudera eines Lehnstuhles vorhanden[WS 1], Beide einzig und allein interessant durch die Erinnerung an den großen Mann. Luther soll ein halbes Jahr hier gelebt haben, und da man Nichts weiter von seinen Arbeiten erwähnt, als das oben angeführte Lied, so möchte wohl ein gewaltiger Humpen, aus dem er getrunken haben soll, nähere beachtenswerthe Aufschlüsse geben.

An dem schönen Bau des Schlosses wird fortwährend gearbeitet, und statt daß man, wie man gewohnt ist, von der vor dem Thore patrouillirenden Schildwache zurückgewiesen wird, ladet diese selbst am späten Abend noch freundlich zum Besuch ein, und versichert, man könne in der auf der obersten Terrasse hinten eingerichteten Gastwirthschaft so lange verweilen, als man nur irgend wolle. Dort aber ist es entzückend, und man hat einen Kreis der bezauberndsten Landschaftsbilder vor sich.

Die Stadt Koburg ist freundlich, im Genre einer großen Stadt, aber ohne besonders in die Augen zu fallen. Das umfangreiche Residenzschloß ist imponirend, aber nicht geschmackvoll, die Façade des Theaters langweilig, aber die Gebüsche und Parkanlagen, welche sich in der Nähe dieser Gebäude entlang ziehen, verleihen dem Stadttheile eine gewisse Traulichkeit, die besonders an lauen Sommerabenden durch geheimnißvolles Flüstern und verstohlenes Seufzen in eine vollständige Poesie übergeht.

Der Herr Kammerdiener, ein schwerfälliger, viel schnupfender alter Mann und das Fräulein Zofe des Fürstenpaares war unsere Reisegesellschaft in dem Omnibus nach dem Eisenbahn-Stationsort Lichtenfels, bis zu welchem man, kaum daß man die Grenze Baierns überschritten, der schweren Trennung von einem Wirthshause mit vortrefflichem Bier unterworfen ist.

Bambergs Bahnhofsgebäude wimmelte von Volk und weiß-blauen Fahnen zum Empfange der aus dem Bade zurückkehrenden Königin. Es war immer noch das alte Bamberg, wie ich es in einer meiner früheren Reisen beschrieben, das stets vortreffliche Bier im „deutschen Hause“, das schwefelige Bier auf dem Michelsberg, dessen Gebäude weisermaßen zugleich Leihhaus ist, die „alte Burg“ etc. etc. Aber neu und immer neu bleibend war der uralte grandiose Dom, der auch jetzt wieder die meiste Zeit in Anspruch nahm.

Zunehmende Finsterniß und feiner rieselnder Regen gebot uns, eine Zufluchtsstätte zu suchen – und das war hart. Wo in aller Welt sollte man in der kleinen Stadt eine anständige Zerstreuung suchen, da die einzigen Anschlagezettel, die eine Seiltänzergesellschaft und ein Feuerwerk ankündigten, schon vor acht Tagen ungültig geworden waren? Wir zögerten und zögerten und fanden endlich, satt und müde, eine gänzlich moralische Vernichtung auf der Eisenbahn nach Nürnberg, wo ein verschlafener Junge sich den Schmutz seiner Stiefeln an meinen Unaussprechlichen abrieb und ein schlesischer Landwehrlieutenant in seinem harten, mißtönenden Dialekt die Anfangsgründe des Courschneidens bei der Mutter vergebens in Anwendung brachte.

Nach drei harten Stunden auf einem Güterzuge kamen wir endlich um Mitternacht in der alten, lieben Stadt Nürnberg an, und überließen nun die übrige Welt dem strömenden Regen.

Auch Nürnberg fängt an, in die abgetretenen Wege der Cultur einzulenken, der Cultur, die das Bild der uralten deutschen Biederkeit immer mehr und mehr verwischt. Große Schaufenster nehmen die Stelle der halbrunden bescheidenen Fenster ein, durch die der Juwelier, der Händler mit Gott weiß was, seine Waare sofort nach der Straße verkaufte; die Läden werden Magazine, die Schneider tailleurs oder tailors of London, und selbst das weltberühmte Bierlocal „die Himmelsleiter“ hat sich ein sauberes modernes Kleid angezogen, und bietet statt der Holzbänke Sophas mit Plüschüberzug. Selbst der „Bratwurst-Schneider“ im Herzengäßchen hat neue Tapeten aufgeklebt und neue Kanäle gezogen, aber sein Häuschen ist noch eben so dürftig, seine Küche noch eben so bescheiden und seine Würstchen mit Sauerkraut noch ebenso schmackhaft als sonst.

Engländer in Nürnberg.

Dank sei es Heideloff, daß das Aeußere der guten alten Stadt wenigstens in seinen Hauptsachen erhalten wird, und die neuen Lappen, mit denen man das würdige Gewand flickt, nicht neuem Plunder gleichen. Ein wahres Kunstcabinet ist fast jede Straße

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: vorfanden
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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_620.jpg&oldid=- (Version vom 7.11.2022)