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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

und streckt sich in der Luft und wächst, bis er eine Höhe von 150 Fuß erreicht hat. Man muß die im Innern befindlichen Feuer fangenden Gegenstände entfernen, um der Verbreitung des Brandes Einhalt zu thun und zu retten, was noch zu retten möglich ist. Die Treppen brennen schon, der schwarze Rauch wälzt sich den Eindringenden entgegen und droht sie zu ersticken. Aber die kühnen Männer lassen sich nicht abschrecken, für sie gibt es kein Hinderniß.

Die Signalpfeife ertönt von Neuem: An die Leitern – marsch! Im Nu werden die 15 Fuß hohen Leitern senkrecht an die Mauer gelehnt und von Stockwerk zu Stockwerk emporgestiegen, bis zu der Stelle, wo Hülfe am meisten Noth thut. Das müssen geschickte Turner sein, die da oben in den Lüften schweben, sich an Haken und Leinen festhaltend. Mit den mitgebrachten Werkzeugen aus dem Utensilienwagen, mit Beilen, Aexten, Brechstangen, Sägen und Stemmeisen wird dem Feinde zu Leibe gegangen; hier eine Wand durchbrochen, dort ein Verschlag niedergeschmettert, eine Thür gesprengt. Es sind wackere und unermüdliche Arbeiter, die ihr Handwerk verstehen. Der Schweiß steht ihnen auf der Stirn, die Hitze vertrocknet ihre Kehlen, denn sie athmen Gluth und Rauch; die Lohe droht sie zu versengen, wenn sie nicht durch nasse Tücher und mit Essig befeuchtete Schwämme sich schützten; aber alle diese Hindernisse halten die tapferen Seelen nicht ab, ihre Pflicht im ausgedehnten Maße zu thun.

Die Flamme steigt indeß immer höher, sie schlägt wie ein feuriger Adler zum Giebel hinaus, und verbreitet neues Entsetzen. Die Feuerwehr klimmt ihr jedoch bis zum höchsten Punkte nach. Die Maschinenleiter wird herbeigeschleppt und mittelst zweier Kurbeln schnell in die Höhe gewunden. Bald erhebt sich dieser babylonische Thurm, auf dessen Spitze der kühne Feuermann den daran befestigten und mit der Spritze verbundenen Schlauch nach allen Seiten hin wirken läßt. Durch die ebenfalls seit kurzer Zeit bestehende Wasserleitung der englischen Compagnie wird die Zufuhr des Wassers wesentlich erleichtert, indem ein System von Canälen die ganze Stadt durchzieht, und in jeder Straße die directe Verbindung der Spritzen mit dem stets zufließenden Wasser der Spree sich leicht bewerkstelligen läßt.

Eine eben so große Sorgfalt, wie auf die Bewältigung des Brandes, wird auf den Schutz der benachbarten Gebäude verwendet. Durch die Umstellung der Brandstätte werden dieselben beschirmt, und jede drohende Gefahr sofort beseitigt. Indeß scheint das Feuer nachzulassen, die Spritzen haben ihre Wirkung gethan und den Verheerungen einen vorläufigen Stillstand geboten; die Mannschaft athmet auf; da ertönt ein furchtbarer Schreckensschrei aus dem Hinterhause des Speichers, welches von dem Aufseher und seiner Familie bewohnt wird. Der Aufseher selbst hat sich mit den ältesten Kindern aus der brennenden Wohnung gerettet, und seine Habseligkeiten glücklich geborgen. Jetzt erst, wo er wieder einigermaßen zur Besinnung gekommen, fragt er nach der Frau, die er gerettet glaubt, und seinem jüngsten Kinde. Mit dem Muthe der Verzweiflung stürzt er nach der Thür, aus der ihm die Flamme, mit dunklem Rauch vermischt, entgegenschlägt. Alles erstarrt vor Schrecken. Da plötzlich erscheint, beleuchtet von der Gluth, die weiße Gestalt der Mutter, das Kind auf dem Arm, mit flatternden Haaren, mit markerschütternder Stimme um Hülfe für sich und ihr Kind rufend.

Es ist ein herzzerreißender Anblick. Aber wo die Noth am größten, ist auch die Hülfe am nächsten. Ein Feuermann klettert an der Leiter empor; jetzt steht er an dem Fensterbrett; er schlägt die Scheiben ein, und drängt sich an die Hülferufende, nachdem er das Rettungstau mit dem Rettungssack befestigt hat. Mit zarter Schonung ergreift er das Kind, und läßt es sanft in den Sack hinuntergleiten, der sofort herabgelassen wird. Das ist das Werk eines Augenblicks, im nächsten Moment ergreift er auch die Mutter, bindet sie mit den Seilen, die er stets bei sich trägt, an seinem Leibe fest, und steigt nun die Leiter hinab, wo man den Muthigen jubelnd empfängt.

Noch ist das Tagewerk der Feuerwehr nicht beendet, obgleich der Brand bereits dem Erlöschen naht. Ein Theil der Mannschaft bleibt zurück, um die glimmenden Funken vollends zu ersticken, den Wiederausbruch des Feuers zu verhindern, und die Brandstätte zu reinigen. Die übrige Mannschaft kehrt zurück. Am nächsten Tage findet eine Musterung statt; der Branddirector belobt die muthigen Männer, und händigt dem Lebensretter eine angemessene Belohnung ein.

So ist in verhältnißmäßig kurzer Zeit ein mächtiges Feuer unterdrückt, werthvolle in dem Speicher aufbewahrte Gegenstände geborgen, zwei Menschenleben gerettet, und Weiterverbreitung der Flamme auf die berachbarten Gebäude verhindert worden. Das Alles geschah mit der größten Ordnung, ohne Tumult, ohne Lärm und Verwirrung. Jeder Feuermann hat seine Schuldigkeit gethan und zum Gelingen des Ganzen das Seinige beigetragen. Diese bewunderungswürdige Sicherheit und Schnelligkeit ist das Resultat der strengsten Disciplin und fortwährender Uebungen. Oefters wird die Feuerwehr blind alarmirt, ohne daß ein Brand stattfindet, um ihre Wachsamkeit zu prüfen. Außerdem wird dieselbe unausgesetzt in planmäßiger Handhabung jedes einzelnen Löschgeräths, im Klettern mit Hakenleitern, an Tauen, Laufbrettern u. s. w., und zwar sowohl mit als ohne Last, für den Fall der Rettung von Personen, unterrichtet. Zu diesem Zwecke befindet sich in dem Hofe des Hauptdepôts in der Breitenstraße ein großer Platz, wo täglich die schwierigsten Turnübungen und andere Exercitien vorgenommen werden. Ein hölzernes Gebäude steht eben daselbst, woran die Mannschaft alle Handgriffe beim Löschen und die Behandlung der Spritzen praktisch kennen lernt. Diese Manöver gewähren einen bewunderungswürdigen Anblick, und man kann nicht genug die Geschicklichkeit und Kühnheit der Mannschaft anstaunen, welche unter Anleitung eines tüchtigen Turnlehrers die verwegensten Stellungen ausführt. Durch diese schwierigen Uebungen erhält die Feuerwehr aber jenes große Selbstvertrauen, womit sie der Gefahr trotzt, und für alle Fälle gerüstet steht. Die militairische Disciplin lehrt ihr Gehorsam, und gibt ihr einen hier besonders vortheilhaften Esprit de Corps.

Durch die Schnelligkeit, womit der Telegraph den Ort des Feuers anzeigt, und sämmtliche Feuerwachen zu gleicher Zeit benachrichtigt, kann die Gefahr im Keime erstickt werden. Eine besondere Sorgfalt wird auf die Löschgeräthschaften und auf ihre Bespannung verwendet. Die Anordnungen sind so getroffen, daß Alles zum sofortigen Aufbruch gerüstet steht, und die Mannschaft so disciplinirt, daß sie sich in zwei bis drei Minuten nach dem Eingang der Feuermcldung bereits auf dem Wege nach der Brandstätte befindet. Die Löschutensilien sind nach den neuesten technischen Erfahrungen vervollkommnet; beim jedesmaligen Wechsel der Wache muß sich der Oberfeuermann davon überzeugen, daß sich dieselben in sauberem und durchaus fehlerfreiem Zustande befinden. Außerdem werden sämmtliche Löschgeräthe wöchentlich wenigstens einmal von den betreffenden Vorgesetzten sorgfältig revidirt.

Die in neuester Zeit zur Anwendung gekommenen Feuertienen zeichnen sich durch ihre Leichtigkeit bei der Handhabung aus, und kosten 62 Thaler pro Stück. Die Rettungsleiter, nach den Angaben des Tischlers Köhler in Magdeburg angefertigt, ist seitdem wesentlich verbessert worden; sie ist jetzt mit einem Vorderwagen nebst Gabeldeichsel zum Transport durch ein Pferd versehen, während sie früher durch Menschen gezogen werden mußte, wodurch sich ihr Erscheinen auf der Brandstätte sehr verzögerte. Der Preis der so vervollkommneten Maschine beträgt 112 Thlr. 10 Sgr. Statt der nicht bewährten Schläuche von Hanf und vulcanisirtem Gummi sind allgemein die Schläuche von genietetem, aber nicht genähtem Leder eingeführt worden, die selbst bei einem zwölfjährigen Gebrauche keiner Reparatur bedurften. Die Kosten eines solchen Schlauches von 150 Fuß Länge, incl. der messingenen Schraube, belaufen sich auf 170 Thlr. 5 Sgr. Der Rettungssack besteht aus einem hanfenen Sack, an welchem aber an der Oeffnung ein eiserner Bügel eingenäht ist. Das Rettungstau ist 200 Fuß lang und hat 1/2 Zoll im Durchmesser.

Natürlich sind die Ausgaben für die neu organisirte Feuerwehr nicht unbedeutend, und es sind darüber vielfach Klagen laut geworden. Die Besoldung der Beamten, Feuermänner und Spritzenleute fordert allein jährlich die Summe von 46,260 Thalern, wozu die Transportmittel im Betrage von 6400 Thalern kommen. Wenn man aber daran denkt, daß in Berlin ein Häuserwerth von ungefähr 130–140 Millionen Thalern, abgesehen von dem größtentheils nicht versicherten Mobiliarreichthum, im Werthe von 90–100 Millionen, zu schützen ist, so wird man schwerlich die verausgabten Kosten zu hoch finden.

In Folge der größeren Sicherheit haben auch bereits mehrere Gesellschaften von Feuerassecuranzen eine Ermäßigung der sonst

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_603.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2022)