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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Zeit!“ rief seufzend der Consul. „Und dann habe ich Krankheitsanfälle, die wahrhaft erschrecklich sind! Dem letzten dieser Anfälle verdanke ich, daß Du jetzt verheirathet bist,“ fügte Leberecht mit einem schmerzlich freundlichen Lächeln hinzu.

„Onkel,“ stammelte Wilhelm erröthend.

„Ah, Du Libertiner, das Junggesellenleben ist wohl sehr angenehm? Warte, ich werde Deine Anwesenheit in meinem Landhause benutzen, um Dich die Annehmlichkeiten eines zurückgezogenen häuslichen Lebens kennen zu lehren. Die Welt ist nichts, gar nichts – Thorheit, Nichtigkeit, Nichtswürdigkeit – ein Mensch betrügt und plagt den andern – der eine kommt empor, der andere geht zu Grunde – Du sollst den Herrn von Windheim über dieses Capitel sprechen hören – es ist ein wahrer Genuß! Und siehst Du, Wilhelm, weil ich fürchte, daß ich einmal Morgens mein Bett nicht verlasse –“

„O, verbannen Sie doch diese Grabesgedanken!“

„Daß ich schnell vergehe, wie alles Irdische, so habe ich daran gedacht, meine letzten Bestimmungen zu treffen. Ich freue mich, daß Du meine Lieblingsidee verwirklicht hast. Du weißt, ich bin ein guter Mensch, der kein Unrecht leidet, geschweige denn thut – aber hättest Du nicht die Tochter meines alten Freundes geheirathet, ich würde ihr allein mein ganzes Vermögen vermacht haben. So ist es mir lieb, denn auch der Sohn meines einzigen Bruders wird durch mich glücklich werden.“

„Onkel, Sie sind die Güte und Liebe selbst!“

„Findest Du das?“ fragte lächelnd der Consul.

„Darum werden Sie mir auch eine Bitte gewähren.“

„Bitte, lieber Neffe, bitte!“

„Der Mann muß stets das Oberhaupt im Hause sein.“

„Von Rechtswegen.“

„Meine Louise würde aber gewaltig den Pantoffel schwingen, wenn sie erführe, daß ich ihr das Glück verdanke, von Ihnen bedacht zu sein.“

„Und nun meinst Du, daß ihr der wahre Grund meiner Güte unbekannt bliebe?“

„Ja! Onkel, Sie kennen die Frauen nicht!“

„Ich kenne sie, und weil ich sie kenne, soll Louise nichts erfahren.“

Die eintretenden Damen unterbrachen das Gespräch. Beide hatten reizende Toilette gemacht. Wilhelm stellte keck Louisen als seine Frau vor. Gerührt betrachtete der Consul das schöne Mädchen.

„Das sind die Züge ihrer Mutter,“ murmelte er; „das ist ihr Lächeln, ihr blondes Haar, ihre Nase, ihre ganze Gestalt! Louise,“ rief er laut, „umarmen Sie Ihren zweiten Vater!“

Leberecht küßte die weiße Stirn Louise’s.

„Gut, gut,“ murmelte er; „nun habe ich eine Tochter und einen Sohn!“

Wilhelm ergriff Albertine’s Hand, und stellte sie dem Consul mit den Worten vor:

„Fräulein Albertine Möller, die intime Freundin meiner Gattin.

„Möller?“ stammelte verwirrt der Consul, denn der Name erinnerte ihn an den Schiffsmakler, dem er sein großes Vermögen verdankte.

Albertine, die, wie sich denken läßt, sehr befangen war, verneigte sich tief erröthend.

Der Consul faßte sich rasch; er sprach einige Höflichkeitsphrasen aus, und bat die Dame, das Landhaus als das ihrige zu betrachten. Joseph meldete, daß das Mittagsessen aufgetragen sei. Leberecht führte Louisen, seine vermeintliche Nichte, Wilhelm Albertinen, die vermeintliche Freundin, zu Tische.

„Wie wird das enden?“ flüsterte die ängstliche junge Frau ihrem Manne zu.

„Du siehst, mein Onkel ist ein überspannter Kopf.“

„Ich fürchte mich vor dem seltsamen Manne.“

„Spiele Deine Rolle gut; das Uebrige überlaß mir und dem guten Glücke, das dem Kecken stets hold gewesen ist.“

Onkel Leberecht war bei Tische so heiter, daß der lange Joseph mehr als einmal den eckigen Kopf schüttelte und in der Küche sein Mißfallen aussprach, wenn er eine Schüssel holte.

„Diese Stadtmenschen stören die Ruhe unseres Hauses,“ murmelte auch Frau Katharina, die Haushälterin, mit verdrießlichem Gesichte. „Ich wollte, sie wären, wo der Pfeffer wächst!“




V.

Die Damen zogen sich zeitig in ihr Zimmer zurück, um von der anstrengenden Nachtreise auszuruhen. Onkel und Neffe gingen in der Dämmerung nach dem Forsthause, um dem Herrn von Windheim einen Besuch abzustatten. Alexander empfing die Gäste mit der ihm eigenen Liebenswürdigkeit, Wilhelm Dewald unterdrückte seine Verwunderung über den sonderbaren Elegant, der sich entschließen konnte, in dieser traurigen Einöde zu leben. Der Consul wußte dem Gespräche bald die Wendung zu geben, die den Edelmann auf sein Lieblingscapitel brachte. Alexander ermangelte nicht, seine Ansichten über die Welt und vorzüglich über die Frauen auszusprechen; er versicherte, daß er nie daran denken würde, sich je mit einem solchen Wesen zu verbinden.

„Dieser Edelmann ist auf dem besten Wege, ein Hypochonder wie mein Onkel zu werden!“ dachte Wilhelm. „Uebrigens traue ich dem Burschen nicht, wer kann wissen, ob er dem reichen Consul nicht eine Komödie spielt, wie ich sie ihm spiele. Man muß auf seiner Hut sein.“

„Womit beschäftigen Sie sich jetzt?“ fragte Leberecht.

Alexander deutete auf den Tisch.

„Ich schreibe meine Memoiren, die ich zur Belehrung der jungen Männer drucken lassen will! Das Werk soll den Titel führen: „Ueber die Treue der Frauen.“ O, es gibt viel Stoff zum Nachdenken; auch fehlt die Sentimentalität nicht, die jetzt allgemein beliebt ist.“

Hätte der Consul nicht nach der Uhr gesehen, und zum Aufbruche gemahnt, Alexander würde das erste Capitel seiner Memoiren vorgelesen haben. Man verabredete zum nächsten Morgen eine Jagdpartie, und trennte sich.

„Wie gefällt Dir Windheim?“ fragte der Onkel unterwegs.

„Ich bin verheirathet, und kann seine Ansichten nicht theilen.“

„Du hast Recht, und kannst zufrieden sein; man trifft nicht immer eine so liebenswürdige Frau, wie Louise ist.“

„Gefällt Ihnen Albertine?“ fragte Wilhelm.

„Sie ist schön, aber ein wenig zu still. Man pflegt zu sagen: stille Wasser sind tief! Ja, die stillen Wasser haben schon manches Opfer verschlungen. Ich liebe das freie, offene Wesen, das Louisen eigen ist. Louise ist eine Frau, die ich selbst hätte heirathen mögen, wenn ich nicht zu alt wäre.“

„Onkel, Sie müssen Albertinen näher kennen lernen – die junge Dame besitzt einen Schatz von Gemüth und Geist, der sie Jedem werth machen muß. Und dabei ist sie schön, wirklich schön!“

„Hollah,“ rief der Consul, indem er stehen blieb. „Was ist das? Du bist kaum mit Louisen verheirathet, und schon findest Du die Freundin gemüthvoll, geistreich und wirklich schön? Ist Albertine vielleicht auf Deinen Antrieb Louisen gefolgt? Mensch, wenn Du Deine Frau hintergehen könntest!“

Wilhelm erschrak, er hatte seine Rolle vergessen.

„Onkel,“ rief er, „halten Sie mich nicht für schlecht! Ich schwöre Ihnen, daß ich meiner Frau treu wie Gold bin. Aber darf ich deshalb nicht die Vorzüge anderer Frauen anerkennen? Wäre Albertine nicht die, die sie ist, ich gestattete ihren Umgang mit Louisen nicht. Geben Sie sich, in unserem Interesse, die Mühe, die junge Dame zu sondiren, und Sie werden mir beipflichten.“

„Das will ich mir merken,“ dachte der Onkel, „das braune Mädchen ist wirklich schön!“

„Bald hätte ich mich verrathen,“ dachte der Neffe: „der Alte ist schlau wie ein Zollvisitator!“

Leberecht beschloß, Albertinen zu beobachten, und Wilhelm nahm sich vor, den verdächtigen Edelmann scharf in’s Auge zu fassen.

Schon früh am nächsten Morgen brachen die Männer zur Jagd auf. Alexander zeigte sich als ein so liebenswürdiger Gesellschafter, daß Wilhelm die Sonderbarkeit desselben bedauerte, die ihn von der Welt ausschloß. Er ist ein liebenswürdiger Mann! war sein Urtheil über ihn. Alexander bat sich die Ehre aus, den Neffen des Consuls Freund nennen zu dürfen. In heiterer Stimmung kehrte die Jagdgesellschaft zurück. An dem Thore des Landhauses nahm Alexander Abschied und schlug den Fußweg, der durch den Tannenwald führte, nach dem Forsthause ein. Nicht lange war er gegangen, als ihm in der Biegung des Weges eine Dame entgegentrat. Es war Albertine. Ihr liebliches Gesicht unter dem weißen Atlashute war von der frischen Herbstluft sanft geröthet.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 570. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_570.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)