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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

No. 34. 1857.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redacteure F. Stolle u. A. Diezmann.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.


Zu rechter Zeit.
Novelle von Ernst Fritze.

Frau von Kurow war zu ihrer Zeit das reizendste Mädchen gewesen, und das konnte sie noch immer nicht vergessen, obgleich sie vierzig Jahre zählte, und eine zwanzigjährige Tochter hatte. Es war auch nicht zu leugnen, daß sie sich dreist in die Reihe jüngerer Frauen stellen konnte, ohne den Vergleich zu ihrem Nachtheile ausfallen zu sehen. Dabei war sie lebendigen Geistes, stets guter Laune, plauderlustig nach weltlichem Style, und verstand so vortrefflich Toilette zu machen, daß das leidige Enbonpoint der wohl conservirten Vierzigerin sich in angenehmer Form präsentirte.

Ihr Gemahl war seit zwei Jahren todt. Er hatte sie aber in guten Verhältnissen zurückgelassen, so daß sie mit einiger Vorsicht ein Haus machen konnte. Ihre Tochter Lucilie befand sich seit Jahresfrist bei einer alten Großtante, die sie beerben sollte. Mithin ereignete es sich, daß Frau von Kurow sehr selbständig und unbehindert eine ganze Welt voll Vergnügungen mitmachen und in der Wintersaison die Rolle einer annehmbaren Partie spielen konnte.

Der Winter machte jedoch dem Frühlinge Platz. Soirée, Ball und Concert hörte auf. Das Tageslicht verdrängte die Illusion des Gaslichtes.

Frau von Kurow fühlte sich nicht behaglich in dem Wechsel der Jahreszeit. Sie hatte eine Liaison angeknüpft, die von Resultaten zu sein schien, welche, bei näherm Nachdenken, mit ihren übrigen Verhältnissen nicht in Einklang zu bringen waren. Mit einem Worte: sie hatte ihre Tochter vergessen und an die Verbindung mit einem Manne gedacht, der nicht ganz so alt war, wie sie.

Zu Erklärungen war es noch nicht gekommen, und wenn Herr Clemens von Schlabern sich mit dem Erlöschen der Winterbeleuchtung in seine Schranken zurückgezogen hätte, so würde Frau von Kurow die kleine interessante Episode ihres Winterlebens als einen Nachtrag jugendlicher Triumphe betrachtet haben, und ruhigen Herzens in das weniger berauschende Sommerleben übergegangen sein.

Herr Clemens von Schlabern schien jedoch tieferes Interesse für die reizende Wittwe zu fühlen. Er setzte seine Besuche fort, und hatte sich schon gewisse Rechte dabei usurpirt, welche Frau von Kurow die Augen für die Folgen öffnen mußten. Sie dachte darüber nach. Ihre Stellung in der Welt hatte sie etwas blind für die Einwirkungen der Zeit gemacht, ihre Lebhaftigkeit und Regsamkeit war ein Hinderniß geworden, den Ernst der Jahre zur Geltung kommen zu lassen, und sie schlug leichtsinnig die paar Jahre, die Herr von Schlabern weniger zählte, nicht an, als sie an die Möglichkeit dachte, nochmals das Glück einer engen Verbindung für’s Leben zu versuchen. Endlich aber tauchte das Bild ihrer Tochter Lucilie in ihr auf. Ein Schrecken überlief ihre Seele!

„Sie muß kommen!“ sagte sie sogleich entschlossen, und da sie nicht gewohnt war, sich lange zu besinnen, so setzte sie sich hin, und forderte in einigen flüchtig hingeworfenen Worten Lucilie auf, zurückzukommen.

Mit der Hast und Lebhaftigkeit ihres Naturells siegelte sie, adressirte und schellte dann dem Kammermädchen.

„Dieser Brief muß sofort zur Post!“ befahl sie mit einer Eile und Wichtigkeit, als hinge das Leben daran.

Dann aber stellte sie sich vor den Trümeau, musterte selbstgefällig ihr Haar und ihren eleganten Anzug, nahm eine Stickerei und ließ sich wohlgeordnet in ihren rothen Plüschsessel nieder.

„Er bleibt lange –“ flüsterte sie nach einer Weile, aufschauend zur Uhr. Ein flüchtiges Lächeln folgte diesem Blicke. „Mein Herz fängt an, sich nach ihm zu sehnen, und findet die Zeit der Erwartung lang – es ist erst zwölf Uhr.“

Bald darauf ertönten Männerschritte im Vorsaal, die Thür öffnete sich, und ohne alle ceremoniöse Meldung erschien Herr von Schlabern auf der Schwelle.

Frau von Kurow erhob sich ein wenig und streckte ihm mit dem Ausdrucke liebevoller Hingebung die Hand entgegen, die er ergriff und mehrmals küßte.

Die Dame sah ihn fest und prüfend an. Nachdem sie einen Entschluß in Bezug auf ihn gefaßt hatte, fühlte sie sich ihm näher gerückt, und ihr Blick mochte etwas von dem warmen Wohlwollen verrathen, das in ihr lebte. Herr Clemens ahnete sein Schicksal nach diesem Blicke und er beeilte sich, die Minute des Glückes zu benutzen. Seine ersten Worte der Begrüßung athmeten einen Geist, der genug von seinen innerlichen Empfindungen enthielt, um Frau von Kurow über dieselben aufzuklären. Mit feinem Lächeln wehrte sie die Fortsetzung einer Conversation ab, die nach ihrer Meinung noch zu früh war.

„Ich habe eben meiner Tochter geschrieben,“ begann sie ohne Rücksicht auf die Aufregung des jungen Mannes, und lud ihn mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Herr von Schlabern wußte vom Hörensagen, daß sie eine Tochter erster Ehe habe, kannte aber weder ihr Alter, noch sonst etwas von ihren früheren Verhältnissen, da er erst seit einigen Monaten in dem Orte stationirt war, und zufällig ziemlich isolirt lebte.

„Lucilie wird in der nächsten Woche zurückkommen,“ fügte sie hastig hinzu, „ich bin begierig, wie sie Ihnen gefallen wird.“

Die Artigkeit allein schon verlangte auf diese Worte von Herrn

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 461. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_461.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)