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entsetzen, oder wo daneben der Denker noch spät am Arbeitstische über sie erschrickt. Schleiereulen schwimmen sanft herab und stoßen endlich schnell auf ihre Beute im Felde. Der auch am Tage scharf blickende Uhu ist der immer muthige, mit seinen Klauen furchtbar verwundende Räuber, dessen nächtliches „Puhuh!“ hohl durch die Waldklüfte hallt; und dazu kreischen und hohngickern Weib und Junge so gräßlich, daß die „wilde Jagd“ und das Rüdengebell wohl in ihnen einen Grund findet. Mit diesen Ohreulen zugleich jagen die Tagschlaffen oder Nachtschwalben, jene merkwürdig gewellten Vögel mit großer Schnabelöffnung, welche im Walde Nachts wie mit einem Spinnrade schnurren. Sie fressen fast alle Arten Insecten, nächtliche Käfer, Abend- und Nachtfalter, Libellen, Schnecken und Gewürm; selbst aus den Düngerballen der Säugethiere werden noch in der Nacht höchst eifrig die Aphodius-, Philanthus-, Mondhorn- und Schildkrötenkäfer oder deren Larven gelesen und alles Unverdauliche als Gewöll wieder ausgespieen, so daß diese Thiere, selbst ohne die nächtliche Beleuchtung der Hortulane zu haben, ihr Futter finden. Brachpieper, Schwarzkehlchen, Nachtigallen und Sprosser bringen des Nachts ihre Psalmm, wie der Dichter des Nachts seine hellsten Lieder sang. Ist doch diese Beobachtung Ursache zu dem schändenden Frevel geworden, Nachtigallen zu blenden.

Rebhühner und Wachteln kommen in der Abenddämmerung heraus, wandern, kämpfen sodann oder gerathen wohl gar in die würgenden Schlingen am Feldraine neben den oft besuchten Klee- und Rübsaaten. Nachts pfeifen Haselhühner, balzen die Moorhühner der Küstenländer, wie ihre Verwandten, unsere Auerhühner auch des Nachts thätig sind. Reich ist das Leben an den Sümpfen: Wasserrallen, Wiesenläufer und Rohrhühner schnarren und girren; andere, wie das Zwergrohrhühnchen, streichen über die Gewässer, indeß die Kiebitze über ihnen im Mondscheine sich wiegen und die Schnepfen, des auf den Anstand liegenden Jägers sich nicht versehend, droben ihre Taumelkämpfe feiern. Gänse, Enten, Reiher, Kraniche, Störche, Fluß- und Seeregenpfeifer, sowie unzählige Singvögel ziehen überdies zur Nacht in ein fernes Land und beleben die nächtliche Landschaft. – Auch die Fische ruhen nicht die ganze Nacht; sie plätschern, laichen und springen. Ja, Aale gehen oft im Dunkeln das Schotenfeld plündern.

Aber auch unter der niederen Thierwelt ist Nachts noch gar viel Leben. Frösche und Kröten, Molche und Salamander bekommen Muth; die gemeine, braungraue Feldkröte hüpft insectensuchend durch verwilderte Gärten und durch feuchte Felder, indem sie verfolgt ihren Urin weit fortspritzt. Hier fallen ihr Harpalen, dort am faulen Baumstamme[WS 1] Klopfkäfer in die Hände. Das sind dieselben Käfer, die bei ihrer nächtlichen Bohrarbeit, noch mehr aber durch das taschenuhrähnliche Klopfen der Männchen zur Begattungszeit dem Aberglauben Entsetzen einjagen; man hält diese „Todtenuhren“ für Vorboten des Todes. Hat man sie einmal gefangen, so stellen sie sich todt und bleiben hartnäckig unbeweglich, selbst wenn man sie an einer Flamme bratet. Bücherbohrer und die in Apotheken so sehr gehaßten Kräuterdiebe sind Nachts am thätigsten. Viele Dungkäfer sind nur in der Nachtstille auf Landstraßen und Waldwegen ungestört und der prachtvoll leuchtende Johanniswurm veranstaltet mit seiner ganzen Familie, denn auch die Larven leuchten schon, mittelst der letzten Hinterleibsringe die splendideste Illumination, bei welcher die kleinen Laternenträger beweglich sind und bei ihrer großen Zahl oft ein wahrer Feuerregen herniederfällt. Raubkäfer rennen im Dunkeln mit unbedeckten, hochemporgehobenen Hinterleibern; Blapse oder Todtenpropheten, die großen, plumpen, schwarzen Käfer, verlassen die Pferdeställe oder die schwammigen Dielen; selbst der Wasserkäfer, groß und klein, verlassen Nachts ihre Teiche, heben ihre schwerfälligen Flügel und gehen auf Besuch. Blattnager und Borkenkäfer, Zimmerböcke und Hirschkäfer und die Blattkäfer, vor Allen die auf Gemüsen so lästigen Erdflöhe, kleine Käfer, wüsten im Dunkeln am ärgsten. Auch die Ameisen ruhen des Nachts nicht ganz. Die schönsten Boten aber sendet die nächtliche Welt in ihren Schwärmern und Faltern. Sitzt man bei der Lampe, etwa in der Jelängerjelieberlaube oder in der Stube bei offenen Fenstern, so schweben oft, dem Lichte entgegen, dickleibige bunte Schmetterlinge, das sind die Schwärmer. Sammetartige blaßrothe und grüne Weinschwärmer, bunte Wolfsmilch- und große Ligusterschwärmer, Fichten- und Lindenschwärmer, Taubenschwänze, Abendpfauenaugen, vor Allem aber der prachtvolle, dunkel-marmorirte, in Aengsten wie ein Kind schreiende Todtenkopf kommen zum Fenster hereingeflattert. Vorigen Herbst fing ich unter Andern an den Fensterrouleaux einen prachtvollen Todtenkopf, der sich solcherweise verflogen hatte.

Aber auch Nachtpfauen, Hammerschmiede, wie die meisten mitunter prachtvollgefärbten Spinner zeigen sich meist nur Nachts, und die blendend weiß schimmernden unter ihnen sind’s, welche den Fledermäusen selbst schon Weg und Steg zeigen. So die Liparisarten, wie der Weidenspinner, der um die Pappeln flattert, der Goldaster und der „goldenüberfließende“ Schwan. Einem dieser Schmetterlinge hat die Natur selbst die Flügel versagt und das Weibchen sitzt nun Abends, etwas leuchtend, und harret der Wiederkehr des Gatten, wie es denn überhaupt unter diesen nächtlichen Vagabunden Ordensbänder, Sackträger und Bräute gibt. Die Eulenschmetterlinge, so genannt wegen ihres dichtverpelzten Kopfes, schweben um Obstbäume, in Wäldern und Gärten umher. Wie viele Pflanzen findet der Gärtner am Morgen durchfressen und verdorben, ohne den wahren Dieb beobachten zu können. Er würde ihn in später Abendstunde bei der Laterne finden. Licht ist ja immer den thierischen Nachtwandlern ein Ding der Neugier, und so manche Häringe verlieren alle Jahre durch das Häringsleuchten Freiheit und Leben. Beim Lichte findet man dann auch die Gemüse-, Kohl- und Ampfereulen um die Blätter flatternd; Raupen der Nelken- und Erbseneulen zerfressen die Saamenkapseln und verbergen sich dann unter Blatt und Kapseln. Auch die Lichtmotten oder Zünsler sind nächtliche Schmetterlinge, klein und langgebeint, welche Leder, Bücher, Speck und Butter benagen; ihnen nahe stehen die verderblichen Tineen, kleine Motten, welche Pelz, Tuch, Tapeten, Ueberzüge und Polster zerfressen, und Ende Mai oft Nachts in ganzen Gesellschaften silberflügelig durch die Zimmer schwärmen. Grillen, Kakerlaken und Schaben, sämmtlich ekelhafte Thiere, entfalten Nachts ihren Vandalismus und benagen Feldfrüchte, Speisevorräthe, letztere selbst Leder und trockne Fische.

Am ekelhaftesten aber durch Form, Geruch und Lebensweise sind jene zwei nächtlichen Wanzenarten; zuerst nämlich unsere Bettwanze, die, vom feinsten Geruch geleitet, sich von der Decke herabläßt, und nur Nachts oder vom Morgen überrascht, frei herumkriecht. Ihr Lichthaß geht so weit, daß sie oft selbst von ein paar brennenden Nachtkerzen zurückgescheucht wird; sie kehrt in ihren Schlupfwinkel zurück, ja man weiß, daß Wanzen mehrere Wochen lang ohne Nahrung leben können. Ihnen opponirend stehen die über dreimal größeren Kothwanzen da, häßliche, rothbraune Geschöpfe, welche eben ihren Kehrichthaufen verließen. Nachts sind auch viele Spinnenthiere (Spinnen, Milben und Scorpione) thätig; der Morgen findet schon frisch gezogene Netze. Krebse kommen hervor; Asseln oder Kelleresel laufen in oft unbeschreiblicher Menge über den Weg. Man kann sie mit des Nachts umherziehenden Baum- und Gartenschnecken sehr leicht in Mengen wegfangen, wenn man feuchte Moosbündel, hohle Kürbisse oder Viehklauen in den Weg legt; diese Thiere suchen sich in den gefundenen Verstecken alsbald zu bergen. Ueberhaupt sind Winkel, wo große Steine oder nasse Hölzer liegen oder Blätter welken, die Schlupfwinkel dieser Nachts so häufig sichtlichen Thiere.

Unter Kagelasseln und Regenwürmern kriechen die 72füßigen „Tausendfüße“, die Laubvielringler und Scolopender umher, die am Tage kaum zu sehen sind, und eben ihres seltenen, heimlichen Wesens wegen in einen wichtigen Ruf kamen. Sie eilen bei Ueberraschungen kopfüber, meist in der Gesellschaft der ihnen in der Lebensweise so sehr gleichenden Ohrwürmer oder Ohrkneiper, fort in dumpfige, dunkele Verstecke.

So die reiche Welt außer uns. Und der Mensch? – Auch er unterliegt anderen Einflüssen. Auch er ist Nachts ein Anderer als am Tage. Durch den Wechsel der Einflüsse und Reize ist der Mensch zu anderen Tagszeiten ein Anderer. Die Nacht ist die Zeit des Schlafes für uns, wo der Gesichtssinn, der wichtigste, seinen Spielraum verliert. Bewußtsein[WS 2], Unterscheidung, die eigene geistige Spannung weicht dem Naturgesetze. Das bildende Leben tritt zurück, hört aber nicht auf; der Stoffwechsel ist wohl träger, aber das animale Leben ist geregelter. Die Störungen und Aufregungen des Tages sind beseitigt, und der große Regulirungs- und Ausgleichungsproceß in unserm Organismus kann beginnen. Langsamer und ergibiger erfolgt die Verdauung; langsamer und geregelter jeder Athemzug, jeder Pulsschlag. Die Körperwärme

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Baumstämme
  2. Vorlage: Bewußsein
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 419. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_419.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)