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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

sie waren verschlossen, wie er sie gelassen hatte, als er zu Bette ging. „Der Kerl ist fort, wenn auch in unbegreiflicher Weise. – Aber mein Kästchen! Der Schrank ist verschlossen und der Schlüssel steckt nicht mehr darin. Wie überzeuge ich mich nur?“ Während er darüber nachsann, faßte er mechanisch nach der Weste, in deren Tasche der Schlüssel zum Schranke sich befunden hatte. „Alle Wetter, was ist denn das?“ Der Schlüssel war in der Tasche; wieder oder noch? „Habe ich geträumt oder war der Kerl ein Hexenmeister?“ Jetzt schloß er den Schrank auf. Das Kästchen war noch darin, an demselben Platze, auf den er es gestellt hatte, verschlossen, unversehrt. „Ich glaube wahrhaftig, ich habe nur geträumt; aber ich hörte doch das Geräusch deutlich, besonders das zweite Mal.“ Er durchsuchte zur Vorsicht die beiden andern Stuben; auch hier fand er nichts. Keine Spur zeigte, daß Jemand da gewesen war. Thüren und Fenster waren verschlossen und ohne Verletzung. Nur eins der Fenster in seiner Arbeitsstube war blos angelehnt, und die Klinken, mit denen es versehen war, hingen nicht in ihren Ringen; er erschrak darüber. „Sollte Jemand durch das Fenster gestiegen und wieder zurückgekehrt sein?“ Er untersuchte es genauer. Es schloß nicht ganz fest in den Rahmen ein; durch eine Ritze konnte man mit einem schmalen Instrumente, z. B. einem Messer, von außen hineinlangen und die Klinke aufheben, worauf das Fenster sich von selbst öffnete. „Möglich wäre es!“ Aber das Fenster führte auf die Straße, auf die auch bei Nacht nie völlig unbelebte und von den Gaslaternen erhellte Dresdener Straße. Es war im oberen Stock, wenigstens zwanzig Fuß über der Erde; ohne eine Leiter konnte man nicht hinaufsteigen. Er bückte hinaus und sah weder eine Leiter, noch einen Menschen.

„Es ist nicht wahrscheinlich, es ist nicht möglich,“ sagte er.

„Aber ein leichtsinniger Bursche war ich doch wohl, daß ich das Fenster unverschlossen gelassen habe. Und im Uebrigen habe ich geträumt, es ist kein Zweifel mehr.“

Er verschloß sorgfältig das Fenster, kehrte in sein Schlafzimmer zurück, löschte das Licht aus und legte sich wieder zu Bett.

Nach kurzer Zeit war er zum zweiten Male eingeschlafen.

Aber er erwachte auch zum zweiten Male durch ein Geräusch in seiner Stube. Diesmal war es stärker, als das erste Mal, er vernahm es deutlicher, und kam zur schnelleren Besinnung. Es war am Fußende seines Bettes, an dem Schranke, vielleicht sogar in demselben; ein harter Gegenstand schien laut hingefallen zu sein.

„Holla, Höh,“ rief im Bette aufspringend der kleine alte Herr.

„Wer ist da?“

Es war stockdunkel in der Stube, wie früher. Auf seinen Ruf erhielt er keine Antwort; er hörte auch nicht das geringste Geräusch mehr; eine Todtenstille herrschte in dem Zimmer.

„Da soll das Donnerwetter drein schlagen!“

Er sprang aus dem Bette, wieder zu dem Tische, auf dem das Licht und die Zündhölzer standen. Aber er konnte den Tisch nicht erreichen. Mitten auf dem Wege dahin umfaßten ihn zwei starke Arme von hinten, und suchten ihn niederzuwerfen. Aber der kleine alte Herr war trotz seines Alters und seines runden Bäuchleins ein stämmiger Gesell.

„Du kommst mir recht, Spitzbube!“

Er rang mit seinem Angreifer. Dieser hatte sich verrechnet.

Der alte Herr war ihm überlegen und anstatt zu Boden geworfen und dann wahrscheinlich geknebelt zu werden, warf nach kurzem Ringen der Herr Ehrenreich den Räuber zu Boden, und hielt ihm die Arme, daß der Mensch sich kaum rühren konnte.

In dem Kampfe war er mit dem Kerl bis an das Fenster gerathen; er hatte ihn auf die Fenstergardine geworfen, die durch den Fall mit niedergerissen wurde. Durch das freigewordene Fenster drang das Laternenlicht von der Straße in die Stube. Der Hcrr Ehrenreich sah, wie er einen jungen Menschen mit einem feinen, etwas blassen Gesichte, mit großen Augen in diesem Gesichte, und die kecke Oberlippe mit einem feinen schwarzen Schnurrbärtchen geziert, unter seinen Fäusten hielt. Daß der Mensch eher groß als klein war, hatte er schon während des Ringens mit ihm bemerkt.

„Verdammter Spitzbube,“ sagte Herr Ehrenreich. „Ich werde Dich lehren, in dieser Stadt der Aufklärung und des Lichtes die Leute in der Finsterniß und von hinten zu überfallen!“

„Spitzbuben, Räuber!“ wollte er sich nun durch das Fenster Succurs herbeirufen.

Aber in demselben Augenblicke fühlte er sich noch einmal von hinten gepackt, und zwar diesmal fester und von kräftigeren Armen, als das erste Mal, und ehe er sich besinnen konnte, bekam er zugleich einen furchtbaren Faustschlag auf den Kopf, daß ihm Hören und Sehen verging.

Es mußte ihm auf lange Zeit vergangen sein, wahrscheinlich von mehreren Schlägen, die er hinter dem ersten noch in den Kauf erhalten hatte. Denn als er wieder zur Besinnung kam, war der helle Tag längst angebrochen. Er war allein in seiner Stube, und lag an der Erde unter dem Fenster. Er wollte aufstehen, der Kopf war ihm zu schwer, er fiel wieder um. Jetzt erst besann er sich auf sein Nachtabenteuer. Er versuchte nochmals aufzustehen; es gelang ihm, schwer genug. Er ging zuerst an den Nachttisch, um zu sehen, wie viel Uhr es sei; seine goldene Repetiruhr war fort. Er ging an den Kleiderschrank, der Schrank stand offen, aber –

„Donnerwetter, was ist denn das? Sind denn auch die Spitzbuben hier anders, als anderswo? Will hier Jedermann etwas Besonderes, ein Genie sein?“

Er hatte das Kästchen, als er es in den Schrank brachte, unten auf den Boden gestellt, so daß die darüber hängenden Kleider es bedeckten. Als er nun in dem Schranke nachsah, fand er das Querholz, an welchem die Kleidungsstücke gehangen hatten, abgerissen; die sämmtlichen Kleider lagen bunt in dem Schranke umher, und er mußte lange umherwühlen und aufräumen, um unten auf den Boden zu gelangen. Und hier fand er sein Kästchen, verschlossen und unversehrt, wie er es auch in der Nacht gefunden hatte. Er öffnere es, indem er an einer geheimen Springfeder drückte. Es mußte auch an dem Inhalte nichts fehlen, denn er verschloß es sehr vergnügt wieder und stellte es an seinen Platz zurück. Dann warf er als ordentlicher Mann – er hatte seinen nächtlichen Kampf in bloßem Hemde bestanden – sich rasch in einige Bekleidung, und öffnete darauf die Stubenthür.

„Madame! Madame!“

Die Frau Rohrdorf schien schon lange auf den Ruf gewartet zu haben. Sie war sofort bei ihm.

„Wie sehen Sie aus, Herr Ehrenreich? Das ganze Gesicht ist Ihnen aufgeschwollen, Sie haben dicke Beulen auf dem Kopfe.“

„Ich glaube es, Madame, denn der Kopf ist mir verdammt schwer.“

„Was ist Ihnen begegnet, was für ein Geräusch war heute Nacht bei Ihnen?“

„Haben Sie etwas gehört?“

„Es kam mir vor, als wenn ich ein Schlagen und Fallen bei Ihnen hörte. Es war zwischen eins und zwei Uhr. Ich stand auf und lauschte hier an Ihrer Thür. Ich hörte darin gehen und flüstern. Nun hatten Sie mir zwar befohlen, ich sollte mich vor sieben Uhr nicht um Sie bekümmern, dennoch klopfte ich an, bekam jedoch keine Antwort. Gleich darauf hörte ich aber ein Fenster zumachen. Ich dachte mir, Sie hätten mit Jemanden auf der Straße durch das Fenster gesprochen, und als ich nichts weiter vernahm, ging ich zurück und legte mich wieder zu Bette.“

„Sahen Sie nicht auf die Straße, Madame?“

„Sie bewohnen alle meine Stuben, die nach der Straße liegen.“

„Hm, hm, Madame, sein Sie so gut, zur Polizei zu schicken. Ich hatte heute Nacht Besuch von Räubern.“

„Sie sind bestohlen?“

„Schicken Sie zur Polizei, Madame.“

Die Frau Rohrdorf sandte ihre Tochter Anna zu dem Polizeicomnnssarius des Reviers. Dieser traf schnell ein, mit ihm der Referendarius, der bei der Polizei seine Carriere machen wollte. Er wohnte in der Nähe. Als Criminalpolizeibeamter war er die Hauptperson. Er inquirirte. Ihm erzählte Herr Ehrenreich sein Abenteuer. Dem alten Herrn war der Kopf noch immer schwer; er konnte die Sache nicht recht begreifen. Auch der Referendarius und Reviercommissarius schüttelten über Manches bedenklich die Köpfe, gaben sich aber zuletzt zufrieden mit der genauen Beschreibung, die ihnen der Beraubte von dem jungen Menschen mit dem kleinen schwarzen Schnurrbärtchen machen konnte.

(Schluß folgt.)



 

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_412.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)