Seite:Die Gartenlaube (1857) 331.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

Blätter scheint also einzig und allein von dem Lichtreize abzuhängen.

Bevor wir diesen Abschnitt verlassen, soll noch mit einigen Worten der Bewegungen gedacht werden, welche die Ranken und die Pflanzen mit windendem Stengel zeigen. Nicht willkürlich umschlingen dieselben eine sich ihnen darbietende Stütze, sondern auch hier walten feste Regeln, welche ihr Verhalten bestimmen. Die Ranken, wie sie der Weinstock, die Waldrebe und andere Pflanzen besitzen, sind nicht normale Bildungen, sondern durch Veränderung eines Nebenblattes, Blattes oder Zweiges entstanden. Während bei der Dornenbildung eine Verkürzung der Organe, eine Verdickung und Verholzung der Zellen zu Stande kommt, erfolgt bei der Rankenbildung das Gegentheil, die Rinde ist mächtig entwickelt und besteht aus zartem, lockerem Zellgewebe, die Gefäßbündel sind unansehnlich. Nachdem die Ranke ihre völlige Größe erreicht hat, biegt sich ihr äußerstes Ende hakenförmig nach innen um. Bei einem Theile der Rankengewächse schreitet die Krümmung in dieser Weise von oben nach unten fort, die Ranke rollt sich wie eine Uhrfeder ein z. B. bei der Passionsblume; bei der großen Mehrzahl findet jedoch gleichzeitig eine seitliche Bewegung statt. Die Ranke beschreibt eine Biegung nach innen, und eine zweite nach der Seite, so daß sie pfropfenzieherartig gewunden erscheint; ihre obere Seite ist nach außen gerichtet, die untere nach innen. Entfernt man die Rindenschicht der oberen Seite, so tritt an der verletzten Stelle nie eine Windung ein; die Annahme liegt daher sehr nahe, daß eine Ausdehnung der oberen Rindenzellen nach vollendetem Wachsthum die Ursache der Bewegung ist, die untere Seite verhält sich nur passiv. Berührt die Ranke mit der innern Seite eine Stütze, so legt sie sich derselben von unten nach oben dicht an, und der obere Theil der Ranke läuft spiralförmig um die Stütze herum.

Bei den Schling- und Kletterpflanzen ist der jugendliche Stengel stets vollkommen gerade; nachdem er aber ein gewisses Alter erreicht, erfolgt eine Achsendrehung seiner Theile, die Rinde, der Bast und der Holzkörper nehmen eine spiralige Richtung an. Diese Achsendrehung tritt nicht allein bei den Schlingpflanzen, sondern auch bei vielen Laub- und Nadelbäumen auf, doch in weit geringerem Grade; man pflegt solches Holz windschief zu nennen. Nachdem diese Drehung erfolgt, beginnt ein sehr rasches Wachsthum; das Ende des Stengels hängt herab, und beschreibt eine kreisförmige Bewegung, durch welche es mit einer Stütze in Berührung kommt; findet der Stengel keine Stütze, so sehen wir ihn niemals sich winden. So wie die Pflanze die Stütze berührt, hört die Achsendrehung auf, die Fasern bleiben gerade; der Stengel wird in seiner ganzen Länge der Stütze angedrückt, und beginnt sich um dieselbe zu winden. Hat die Pflanze das Ende der Stütze erreicht, so erfolgt in der freien Spitze die Achsendrehung von Neuem; trifft sie nicht unmittelbar eine andere Stütze, so sinkt sie herab, und umschlingt wiederum die alte. Das Winden tritt nicht ein, wenn die Stütze völlig horizontal liegt, sie muß immer etwas geneigt sein. Ist die Stütze von größerem Umfange und kantig, so biegt sich der Stengel an der Kante nie um, um sich dicht der flachen Seite der Stütze anzulegen, sondern es tritt eine Achsendrehung ein, und in Folge deren die Berührung mit der nächsten Kante; diese Erscheinung wiederholt sich, so weit die kantige Stütze der Pflanze dargeboten wird. Hat der Stengel einige Windungen beschrieben, so lassen sich diese zwar aufrollen, doch nicht wieder beseitigen.

Jede windende Pflanze verfolgt eine ganz bestimmte Richtung, sie windet nach rechts oder nach links; willkürlich läßt sich diese Richtung nicht verändern. Befestigen wir eine nach rechts windende Pflanze in der Weise, daß wir ihr die Richtung nach links geben, und umgekehrt, so stirbt stets der Stengel ab. Die Ursache des Windens beruht wahrscheinlich ebenfalls auf einer Ausdehnung der Rindenzellen an der nach außen gerichteten Seite; ein Grund für die verschiedene Richtung, nach welcher die Stengel winden, ist bis jetzt noch nicht ermittelt worden.

Bewegung der Fortpflanzungsorgane.

Das Reich der Gewächse zerfällt in zwei Hauptabtheilungen, welche die Namen Phanerogamen und Kryptogamen tragen. Unter die Phanerogamen gehören alle Pflanzen, welche sich durch Samenkörner vermehren, somit alle, welche eine Blüthe erzeugen; zu den Kryptogamen rechnen wir die Gewächse, welche sich durch Sporen fortpflanzen, deren reproductive Theile dem Auge verborgen sind. Bei einem Theile der Kryptogamen, nämlich den Farren, Bärlapp-Arten, Moosen und höher organisirten Algen hat man, analog den Phanerogamen, männliche und weibliche Geschlechtsorgane aufgefunden; die männlichen, bestehend in einem gallertartigen Faden, welcher von einem Säckchen umschlossen wird, heißen Antheridien; die weiblichen, bestehend aus einfachen Zellen, welche zu mehreren in Umhüllungen verschiedener Art angetroffen werden, Sporen. Die übrigen Kryptogamen, die Pilze, Flechten und die Mehrzahl der Algen, besitzen, so weit unsere Kenntnisse jetzt reichen, nicht reproductive Organe zweierlei Geschlechts; sie vermehren sich durch Zellen, welche, nachdem sie entweder durch freie Zellbildung im Innern einer Mutterzelle oder durch Abschnürung entstanden, sich von der Mutterpflanze trennen und zu selbständigen Individuen auswachsen; diese Zellen werden ebenfalls Sporen genannt.

Unter beiden Hauptabtheilungen finden wir Pflanzen, deren Fortpflanzungsorgane die Fähigkeit besitzen, sich zu bewegen; es wird aber aus dem eben Besprochenen hinlänglich hervorgehen, daß Phanerogamen und Kryptogamen auch in dieser Hinsicht gesondert betrachtet werden müssen. Bei den Phanerogamen hat man folgende drei Fälle der Bewegung wahrgenommen: 1° Die Staubgefäße nähern sich zur Zeit der Befruchtung dem weiblichen Geschlechtstheil, dem Griffel, und kehren nach Vollziehung derselben in ihre ursprüngliche Lage zurück. Auch wenn die Staubbeutel entfernt werden, beschreiben die Staubfäden diese Bewegung. Wir treffen unter einheimischen Pflanzen diesen Fall bei der Gartenraute und dem Studentenröschen, einer auf feuchten Wiesen häufig vorkommenden Blume, in der Gegend von Leipzig zwischen Leutzsch und Ehrenberg, welche ihren Namen dem Umstände verdankt, daß sie zur Zeit der Herbstferien blüht. 2° Der Griffel bewegt sich zu den Staubgefäßen, und kehrt nach der Befruchtung in seine frühere Stellung zurück; so bei der Passionsblume. Auf die Blumenblätter folgend finden wir bei dieser einen Kreis von Staubgefäßen, welcher den Fruchtknoten umschließt; die Spitze desselben krönen drei an ihrem Ende mit braunen Narben versehene Griffel, welche zur Zeit des Aufblühens dicht an einander liegend in die Höhe stehen. Allmählich biegen sich dieselben jedoch auseinander, neigen sich herab zu den Staubgefäßen und kehren im Verlauf einer Stunde in die alte Richtung zurück. Ein zweites Beispiel für diesen Fall liefert der gemeine Schwarzkümmel. 3° Staubgefäße und Griffel bewegen sich gegeneinander, und nehmen nach einiger Zeit die frühere Lage wieder an. Unter einheimischen Pflanzen hat man bis jetzt noch kein Beispiel für dieses Verhalten gefunden, sondern nur bei einigen Gliedern einer den warmen Klimaten angehörigen Familie, den Nyktagineen.

Bei den Kryptogamen finden wir eine Bewegung des Fortpflanzungsorgane weit häufiger, als bei den Phanerogamen. Die Antheridien der höheren Kryptogamen, so wie die Sporen vieler Algen und Pilze sind mit sehr feinen Fäden, Cilien genannt, versehen; die Cilien gehen von dem Zellinhalte aus und durchbrechen die Zellmembrane, mit welcher sie in keinem Zusammenhange stehen. Wenn der Antheridiumfaden seine Hülle durchbricht, oder die mit Cilien versehene Spore ihre Mutterzelle verläßt, und diese Körper mit Wasser in Berührung kommen, so erfolgt alsbald eine lebhafte Vibration der Cilien. Durch diese Vibration wird der mit Cilien versehene Körper in Bewegung gesetzt; nach einiger Zeit hört die Vibration auf und mit ihr die Bewegung der ganzen Masse. Die sich nicht bewegenden Sporen nennt man ruhende, die mit Cilien ausgestatteten Schwärmsporen; viele Algen besitzen beide Arten, jedoch stets an verschiedenen Stellen. Man hat die Bewegung der Schwärmsporen in anderen Ursachen suchen wollen, den besten Beweis für die Richtigkeit unserer Erklärung liefert indeß der Umstand, daß eine Bewegung nur bei Sporen vorkommt, welche Cilien besitzen.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_331.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)