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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

die Bedeutung der elektrischen Vorgänge im Haushalt des lebenden Körpers eine allgemeinere Würdigung erfahren hat.

Was Duchenne’s Persönlichkeit anlangt (s. Fig. 1.) so hat er – abgesehen von der französischen Urbanität und Pariser Eleganz – ganz auffällig ein deutsches Aeußere: hellblaue sanfte sinnende Augen, blonde seidenweiche Haare, eine von vielem Denken zeitig kahl gewordene Stirn, eine kurze behäbige dicke Figur mit rundem Doppelkinn. Von dem prätentiösen, schauspielerhaften Wesen der Mehrzahl seiner Fachgenossen zeigt er keine Spur. Seine Sprache ist sanft; seine Geduld gegen andere musterhaft. Jeden Morgen sieht man ihn Stunden lang in einem der größeren Pariser Spitäler arme Kranke unentgeltlich elektrisiren und den Hinzutretenden französischen oder fremden Aerzten die Grundsätze und Kunstgriffe seiner Methodik mittheilen. Den fremden Aerzten widmet er oft zwei und drei Nachmittagstunden. Er prakticirt gar nicht, außer in dem einen Fache und behandelt Jahr aus Jahr ein Hunderte unentgeltlich in zeitraubenden Sitzungen. – Wir überlassen unsern Lesern, Vergleiche mit dem geheimnißkrämerischen und wunderthäterhaften Gebahren vieler unserer einheimischen Elektrisirer und Aerzte (sogar solcher, die nur mit Duchenne’s Kalbe pflügen) selbst zu ziehen.

Fig. 3.      Rechts Lachender und Links Weinender.

Um die Verfahrungsweise Duchenne’s an einem in Deutschland noch weniger bekannten Beispiel zu erläutern, erwählen wir die von ihm gelehrte örtliche Faradisation einzelner Antlitzmuskeln. Diese Operation lehrte, daß jeder dieser Muskeln bei seiner Zusammenziehung (sie geschehe nun willkürlich, wie beim Mimen, oder unwillkürlich wie eben durch Elektricität) bestimmte Gemüthsaffecte ausdrückt. – Dieses Ergebniß, die scharfe Nachweisung, daß die mimischen Gesichtsausdrücke auf bestimmten mechanischen Vorrichtungen beruhen – die Méchanique de la physiognomie, wie es Duchenne nennt, hat in Paris nicht nur unter Aerzten, sondern namentlich unter darstellenden Künstlern (wie Maler, Bildhauer, Schauspieler) mit Recht großes Aufsehen erregt. Wir geben unsern Lesern hier einige Proben davon.

Duchenne wählte zu diesen Darstellungen ausdrücklich einen alten Mann mit ganz geist- und ausdruckslosen Zügen. „Diesen mache ich Euch,“ sagt er, „nach Belieben geistreich, gedankenvoll, schwermüthig, heiter, wüthend, verzweifelnd etc.,“ – natürlich nur im Gesichtsausdruck! – In Fig. 2. sind die Spitzen der den elektrischen Strom (und zwar ist der primäre Inductionsstrom erforderlich) leitenden Conductoren (der Stromgeber oder Rheophoren), nachdem sie vorher mit feuchter Thierblase überzogen worden, auf die sogen. großen Jochbeinmuskeln (zygomatici majores) beider Gesichtshälften aufgesetzt, deren Zusammenziehung den Ausdruck des herzlichsten Lachens gibt, obschon es dem armen Teufel vielleicht gar nicht so zu Muthe ist; denn die Empfindung ist nicht angenehm.

Fig. 4.       Sich Entsetzender.

Nun könnte aber irgend ein Skeptiker sagen: „der Mann ist abgerichtet; er lacht Euch zu gefallen, um dafür von Duchenne bezahlt zu werden!“ Zu dessen Widerlegung dient die 3te Figur. Hier ist der Stromgeber auf dem großen Jochbeinmuskel der rechten Wange stehen geblieben, hingegen der der linken Wange ist höher hinauf auf den kleinen Jochbeinmuskel placirt worden, welcher beim Weinen thätig ist. Der Mann lacht rechts und weint links! geneigter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_212.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)