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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

„Amanda!“ rief endlich die Stimme ihres Vaters von drinnen.

„Ich bin schon längst hier, aber die Thür ist verschlossen!“ antwortete Amanda.

„Untersteh’ Dich nicht, sie einzulassen!“ rief die Regierungsräthin ihrem Manne zu und dann ergoß sie – die vor Kurzem im Salon als feine Weltdame geglänzt – durch die Thür eine Fluth der gemeinsten Schimpfreden über Amanda und erklärte, sie nun und nimmer hereinzulassen, sie sei unwerth, mit ihnen unter einem Dache zu weilen. Das Rendez-vous mit einem fremden Abenteurer ward ihr vorgeworfen und daß nun kein ordentlicher Mann mehr etwas von ihr werde wissen wollen.

Amanda erwiederte kein Wort darauf. Nach längerer Zeit aber rief sie: „Vater, dieser Auftritt wird nicht mich, sondern Sie compromittiren, die Leute im Hause hören diese Reden, sagen Sie mir, was ich thun soll, denn hier kann ich nicht länger stehen bleiben, wenn Sie mich nicht wenigstens einlassen.“

„Geh’ hinüber zu Bertha, damit ich endlich Ruhe habe,“ antwortete grollend der Vater.

„Du heißt mich gehen? Ich gehe! Gute Nacht, Vater!“ und Amanda wankte die Stiege hinab. Wie sie an das Geländer sich anhielt, fühlte sie Bruno’s Karte in ihrem Handschuh. Mechanisch zog sie dieselbe heraus und las auf der Kehrseite mit Silberstift geschrieben beim Scheine der Hauslampe:

„Die Post fährt täglich früh drei Uhr von Wunsiedel nach Baireuth. Daselbst empfohlen an Fräulein Marianne Spindel, Malerin, Gymnasialplatz Nr. 12.“

Es war bald ein Uhr geworden, die Nacht klar und warm, als Amanda hinaustrat. Was sollte sie bei Bertha? Was konnte daraus entstehen, als morgen eine neue Scene mit den Eltern, die sie doch dahin bringen mußte, sich von ihnen zu trennen? Sie hielt die Karte in der Hand, die ihr den Weg zur Rettung wies, und sie trat ihn an.

Nächtliche Schauer schüttelten sie, aber sie nahm ihren Muth und ihre Entschlossenheit zusammen und wollte besonnen sein und handeln. Sie griff in ihre Tasche. Zum Glück hatte sie ihr Portemonnaie mit einigen Gulden und auch ihre Brieftasche mit einigen Cassenbillets darin. So war sie doch im Augenblicke in dieser Beziehung keiner Verlegenheit ausgesetzt. Ringsum war es still geworden, der Tanz pflegte nicht bis nach Mitternacht zu dauern und andere Nachtschwärmer gab es auch nicht in dem stillen Alexanderbad. Hastig eilte sie auf der Landstraße dahin, deren eigenthümliches Weiß selbst im Dunkel leuchtete. In einiger Entfernung hob sich ein dunkler Schatten von ihr ab. Amanda zögerte. Sollte sie umkehren? War es eine fremde Person, die sich nicht um sie kümmern würde, oder eine bekannte, der sie ungesehen zu bleiben wünschen mußte? Aber da sie zögerte, kam die Gestalt auf sie zu und rief:

„In der Hoffnung, daß Sie kommen würden, erwarte ich Sie hier! Ich habe indessen an Fräulein Spindel einige erklärende Zeilen für Sie geschrieben; es steht bei Ihnen, dieselben vorher zu lesen oder nicht, es ist kein Urias-Brief.“ Und Bruno überreichte ihr mit diesen Worten einen unversiegelt couvertirten Brief.

Amanda nahm ihn und sagte: „Ich handele wie eine Träumende und verstehe mich selbst nicht mehr. Aber da mir eben jetzt meine Eltern die Thür gewiesen, so muß ich wohl als eine Verstoßene durch die Nacht wandeln und mir selbst einen Lebensweg suchen.“

„Es ist immer besser, durch eine Nacht dem Tage entgegenzuwandeln, als immer nur in der Dämmerung sich im Kreise zu drehen,“ entgegnete Bruno. „Erlauben Sie, daß ich Sie nach Wunsiedel begleite?“ Er sah, daß sie eine Einwendung machen wollte, und fügte, neben ihr weiter wandelnd, hinzu: „Nur bis dahin, nicht weiter. Ich weiß, was ich Ihrem Rufe schuldig bin. Sie werden verschwunden sein und ich werde noch einige Tage in Alexanderbad bleiben und jedes böswillige Gerücht Lügen strafen, das sich über Sie verbreiten möchte. Dann muß ich wieder zurückkehren in meine sächsische Heimath, wohin mein Beruf als Ingenieur mich führt.“

Amanda blieb stehen und sagte: „Folgen Sie mir auch jetzt nicht weiter. Sie haben mit entscheidender Hand in mein äußerlich nur alltägliches, innerlich aber namenlos qualvolles Leben eingegriffen; lassen Sie mich glauben, daß es so sein mußte, daß Sie der Himmel zu diesem Zwecke auf meinen Pfad führte. Ich weiß nicht, ob ich Ihnen danken und Sie verehren, oder Ihnen mißtrauen und Sie hassen soll. Aber das weiß ich, daß wir jetzt schnell, wie wir uns begegneten, und für immer scheiden müssen. Leben Sie wohl und wagen Sie nicht, mir noch einen Schritt zu folgen, sonst kehre ich in das Joch zurück, aus dem Sie mich gerettet.“

Bruno blieb stehen. Unbegreiflich erschien ihm diese plötzliche Veränderung in ihrem Benehmen, dieser heftige gebietende Ton ihrer Stimme.

„Ich gehorche,“ sagte er, „aber wir sehen uns wieder!“

Bald waren Beide einander aus den Augen geschwunden.




VI.

Am folgenden Morgen ging Bruno zur bestimmten Stunde zu Blumenbach. Zu seiner Verwunderung fand er Herrn von Subow bei ihm.

Herr von Subow war während der Badesaison der unzertrennliche Hausfreund der Familie des Regierungsrathes; zunächst der seiner Gemahlin. Seine Aufmerksamkeiten für sie mochten wohl, obschon sie von ihr geduldet wurden, über das Maß des Erlaubten hinausschweifen – darum war er der natürliche Feind der unbequemen Stieftochter und strebte gleich der Regierungsräthin danach, auch Amanda’s Sittenreinheit in ein zweifelhaftes Licht zu stellen. Ueber ihre einsamen Spaziergänge hatte er schon oft hämische Bemerkungen gemacht, und da sie an jenem Concertabend aus dem Saale verschwunden war, beschloß er, ihr zu folgen. Er vermuthete, wohin sie ihren Weg genommen, da die Louisenburg immer ihr Ziel war. Fragen an andere Spaziergänger, welche sie hatten gehen sehen, bestätigten ihm seine Vermuthung; wie triumphirte er, da er Amanda im Zwiegespräch mit einem jungen Manne sah, und wie eilte er wieder zurück, ihren Eltern und ihrem Bräutigam seine Entdeckung zu verkünden! Da aber Bruno ihn im Concertsaal suchte, war er feig daraus verschwunden und auch Blumenbach, wie betäubt von den Erlebnissen dieses einen Tages, hatte sich zurückgezogen, um sich in Nichts zu übereilen und lieber von dem Zufall eine Entscheidung zu erwarten, als sie selbst herbeizuführen.

Der reiche Blumenbach hatte die arme, aber einer angesehenen Familie angehörende Amanda aus Liebe gewählt, aber es war die maßvolle Liebe eines älteren behäbigen Mannes, der nur daran denkt, sich durch seine Wahl ein ruhiges und angenehmes Leben zu bereiten. Daß Amanda erklärte, ihn nicht lieben zu können, hörte er ruhig als die Erklärung einer überschwänglichen Mädchenphantasie an und war mit ihrer Achtung wie mit der freudigen Einwilligung ihrer Eltern vollkommen zufrieden. War Amanda nur erst sein, dachte er, werde sich das Uebrige Alles von selbst finden. Aber er war schon bedenklich geworden, da der ihm fremde Bruno auf der heutigen Morgenpromenade dem Gespräch mit ihm eine so sonderbare Wendung gab. Was konnte ihm der Fremde zu sagen haben? Und um sich kein Dementi zu geben, zog er vor, unter einem Vorwand die doch nur erzwungene Verlobung aufzuschieben.

Als jetzt Bruno bei ihm eintrat, sagte Blumenbach: „Mein Herr, ich erwarte Ihre Erklärung, und zwar vor diesem Zeugen.“

„Ich hätte einen Würdigeren gewünscht, denn einen Spion und Verleumder –“

„Mein Herr,“ unterbrach ihn Subow hitzig, „wir werden uns schlagen nach solcher Herausforderung! Kommen Sie auf die Stelle, wo Sie die Braut dieses Ehrenmannes ihm abwendig machten.“

„Wo ich erfuhr, daß Sie es niemals sein wollte!“ rief Bruno, „und Jean Paul auf dem Platze, der seinen Namen trägt, eine würdigere Huldigung darbringen wollte – ein weibliches Herz vom Untergange erretten! Der Platz, der den Namen dessen trägt, der die „Kriegserklärung wider den Krieg“ geschrieben, wäre auch schlecht gewählt zu einem Duell, ich schlage mich nicht, aber bin zu jeder andern Erklärung bereit. Lassen Sie mich von mir beginnen. Meine Mutter, deren einziger Sohn ich bin, war mir das Ideal eines Weibes. Aber in ihrer himmlischen Milde erschien sie mir, so lange mein Vater lebte, wie eine duldende Heilige.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 170. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_170.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)