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Männlichkeit und Würde läge! Napoleon hatte keinen, Goethe keinen, Kant, Lessing – sie waren alle unbebärtet und waren – Männer, die die Welt umgestalteten. Doch immerhin! Wem das Haar um Kinn und Wange Freude macht, möge nehmen was und wie viel die Natur ihm gibt. Doch immer die Schönheit beachtet! Barbaren wollen wir doch auf keine Art sein und heißen. Ein junger Mann mit vollem, aber in die Schranken der Schönheit gehaltenem Barte und der entsprechenden Kleidung, wie unsere Abbildung darstellt, ein ältlicher männlicher Kopf, ein sog. Apostelkopf, sind mit vollem Barte schön, auch bei dem Soldatenstande, besonders wenn der mittelalterliche Helm, der zugleich an den antiken, griechisch-römischen mahnt, auf dem Haupte sitzt, ist der volle Bart schön zu nennen, aber bei einem Frack, weißer Halsbinde und hellgelben Handschuhen ist er – lächerlich. Ein kleiner Lippenbart kann einem schönen jugendlichen Munde noch einen Reiz mehr geben, aber niemals kann ein kolossaler und nach allen Seiten hin sträubender Backenbart, oder ein grimassirter Kinnbart von enormer Länge die Zierde eines Gesichts sein. Schon wie viele einnehmende belebte und sprechende, feine Züge versteckt der dicke, wirre Bart um Mund und Wangen! Die Mundwinkel, die Oberlippe, das Lächeln, das die Wange rundet, alle diese Reize der Jugend, gehen durch den Bart dem Auge verloren. Die Bewegung des Kopfes wird ungeschickt, der Halskragen, das Halstuch, selbst der Rock, nichts kann so anliegen, wie es anliegen soll, und was muß es für den, der Reinlichkeit liebt, für eine Plage sein, täglich vier oder fünf Mal diese üppige Waldparthie mit Kamm und Scheere zu bearbeiten und sie in den gehörigen Schranken zu halten, die bei jedem Mittagsmahle das Ihrige, wie eine mitessende gefräßige Bestie, verlangt und zu sich nimmt. Nicht doch, wir verwerfen den Bart nicht, aber diese Uebertreibungen sind lächerlich und albern.

Nun zur Cigarre. An und für sich ist die Cigarre nicht entstellend, sie ist es weniger, als die Pfeife es bei unsern Alten war, besonders die kurze Art Pfeifen, die mit den Zähnen gehalten werden mußten, und Zähne, Lippen und Sprache zugleich entstellten. Jedoch hat die Mode auch hier ein Mittel gefunden, die Cigarre, im Bunde mit Bart und Brille, zu einem alle Schönheit, alle Natürlichkeit und jeden Reiz tödtenden kleinen Instrument zu machen. Hielte man die Cigarre ohne Zwang im Munde, so würde dem Ausdruck des Gesichts und des Mundes namentlich nicht so sehr geschadet; allein die Mode will, daß man seine Cigarre „mit Impertinenz“ rauche, das heißt, daß man dazu ein Gesicht schneide, das, in Worte übersetzt, etwa so lautet: „Ich bin der Erste in der Gesellschaft, alles Uebrige ist tief unter mir, ich rauche ein feines Blatt, und überhaupt – ich bin ein nobler und eleganter Herr!“ Mit diesem Ausdrucke wird die feine Cigarre an den Mund gebracht, dessen Lippen sich dabei höhnend und geringschätzend verziehen. Diese Grimasse gilt für vornehm. Wollte man ein feines Blatt rauchen und dabei artig, gegen seinen Nachbar nicht beleidigend, gegen alle Welt nicht herausfordernd sein, so wäre es nicht das feine Blatt, und es wäre nicht der noble Raucher. Die Stellung des Körpers ist dabei nie eine sitzende, sondern immer eine flegelhaft liegende, oder weithin ausgestreckte, wo möglich werden dabei kostbare Stoffe von Sopha’s und Stühlen mit Andenken der Stiefel bedacht. Die Cigarre auf diese Weise „in’s Gesicht gesteckt,“ macht einen schwarzen Strich mehr in dasselbe und harmonirt auch dergestalt mit dem schwarzen Bande, an dem das Augenglas hängt, und das sich über die Wange hinzieht. Nimmt man nun noch hinzu ein mit Bart überwachsenes Gesicht, in welchem zwei glitzernde Glasaugen blinken, so ist die wahrhaft scheußliche Karrikatur fertig, zu der sich unsere jungen Herren selbst herabdrängen und zwängen.

O, großer Apoll, du der du die ewige Jugend und Schönheit bist, errette uns von dem Uebel dieser abscheulichen Modenarrheiten!

v. S.




Die Handwerkernoth,
ihr Grund und die Mittel zu ihrer Hebung.
Von Schulze-Delitzsch.
Nr. 1.

Wenn ein Kranker lange Zeit hindurch eine Menge Kuren gebraucht hat, ohne daß es irgend besser mit ihm werden will, so sollte man meinen, er müsse am Ende von der ganzen Quacksalberei nichts mehr wissen wollen. Denn so viel könnte er nachgerade merken, daß ihm die Herren mit ihren theuern Tränken und Pulvern keine neue Konstitution machen können. Anstatt daher bei jedem Magendrücken und Kopfweh, bei jedem Reißen oder Husten nach einem Recept zu schreien, müßte er anfangen, auf sich selbst Acht zu geben, zu merken, was ihm bekommt, und was er nicht vertragen kann; was er also thun und lassen muß. Da sich seine Konstitution nun einmal nicht nach seiner Lebensweise richten will, so bleibt ihm ja doch nichts Anderes übrig, als sich mit seiner Lebensweise nach seiner Konstitution zu richten, und, damit er dies könne, die letztere gehörig zu studiren.

Aber, wie nahe dies auch zu liegen scheint, trifft es doch in der Wirklichkeit nicht zu. So überwiegend ist bei der Mehrzahl der Menschen die Trägheit und Bequemlichkeit, so gering Einsicht und Willenskraft, daß sie es selten über sich vermögen, von dem altgewohnten Schlendrian, von ihren Gelüsten und Liebhabereien zu lassen, obschon darin allein der Grund des Uebels liegt. Vielmehr verlangen sie in der Regel, von diesem Uebel unter Beibehaltung ihrer alten dasselbe hervorrufenden Lebensweise, geheilt zu werden, ohne alles Zuthun ihrerseits, ohne eine einzige ihrer schlechten Gewohnheiten abzulegen, und werfen sich jeder Wunderkur in die Arme, welche ihnen dergleichen Unsinn vorspiegelt.

Dies gilt nun nicht etwa blos für körperliche Leiden, sondern auch in einer Menge anderer Beziehungen, wo es darauf ankommt, alte, eingewurzelte Uebelstände zu beseitigen. Besonders hartnäckig ist dieser Hang auf sozialem Gebiet, wo wir es mit den so wichtigen Bedingungen der materiellen Existenz, der Beschaffung der Mittel zu unserem Dasein zu thun haben. Große, wesentliche Uebelstände, an welchen unleugbar ganze, zahlreiche Klassen der Gesellschaft siechen, rufen eine Menge der widersprechendsten und verkehrtesten Heilmethoden hervor. Aber den Gründen des Uebels in dem gesellschaftlichen Organismus tiefer nachzuspüren, damit halten sich jene unberufenen Heilkünstler nur in den seltensten Fällen auf. Freilich erfordert dies auch ein eben so gewissenhaftes und mühsames Studium, als man von einem tüchtig gebildeten Arzt hinsichtlich des menschlichen Körpers verlangt. Wie das Leben des einzelnen Menschen von einer Menge organischer Verrichtungen bedingt ist, welche in inniger Wechselbeziehung von Ursache und Wirkung zu einander stehen; wie alle diese Verrichtungen und dadurch hervorgerufene Erscheinungen nach bestimmten Gesetzen vor sich gehen, deren Störung unausbleiblich Krankheit, ja Tod zur Folge hat; eben so innig in einander greifend, eben so bestimmten Gesetzen gehorchend, treten die Erscheinungen auf volkswirthschaftlichem Gebiete im Leben und Haushalt der Gesellschaft auf, und dieser Gesammtorganismus der menschlichen Gesellschaft ist eben so verwickelt, verlangt ein eben so sorgsames Studium, um die ihn bewegenden Kräfte und beherrschenden Gesetze, die Ursachen des Heils wie des Uebels, kennen zu lernen, wie der Leib des einzelnen Menschen.

Mit dieser Vorklage gehen wir an eine der wichtigsten Fragen auf dem berührten Gebiet, die Handwerkerfrage, der sich seit einer Reihe von Jahren die Theilnahme des Publikums entschieden zuwendet. Nicht nur sehen wir die Betheiligten, die Handwerker selbst in reger Bewegung, auch die Regierungen schreiten ihnen zu Gunsten in mehreren deutschen Ländern ein, und von allen Seiten wird der Erhaltung einer so zahlreichen und achtungswerthen Klasse von Bürgern, welche Jahrhunderte lang, als Kern des deutschen Mittelstandes, eine Hauptstütze der Kultur und Gesittung der Nation war, das lebhafteste Interesse gezollt. Auch ist das Gefühl der bedrohten Existenz, welches unsere Handwerker aus langer Ruhe aufrüttelt, nur zu wichtig,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_126.jpg&oldid=- (Version vom 28.2.2022)