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verschiedene: Die Gartenlaube (1857)

vergißt man vollständig, daß der berühmte Mann bereits sein siebenundachtzigstes Jahr zurückgelegt hat, so jugendlich frisch, so anregend fließt seine Rede im wunderbaren Wechsel von Scherz und Ernst. Er ist im wahrsten Sinne und in der vollsten Bedeutung Meister des Wortes, der beste Erzähler, der klarste Redner. Ein unermeßliches Wissen steht ihm zu Gebot und trotz des hohen Alters bemerkt man auch nicht die geringste Abnahme eines Gedächtnisses, das wohl kaum seines Gleichen hat. Thatsachen, Namen und Zahlen lassen ihn nie im Stich und er erinnert sich oft der unbedeutendsten Kleinigkeit mit derselben Schärfe, wie der größten und wichtigsten Begebenheit. Um dieses Wunder zu erklären, behauptet zwar die böswillige Fama, daß Humboldt sich auf seine Besuche förmlich vorbereiten soll und oft den staunenden Gast, besonders wenn derselbe Schriftsteller ist, durch Citate aus den kurz zuvor gelesenen Werken desselben überrascht. Wir führen dies Gerücht nur an, ohne demselben den geringsten Glauben zu schenken. Wäre diese Behauptung aber selbst wahr, so könnten wir auch dann nur darin eine zu weit getriebene Nachsicht gegen die Schwäche und die Eitelkeit der ihn besuchenden Autoren finden, denen die geringste Anerkennung aus seinem Munde unendlich schmeicheln muß. – Der Grundzug seines ganzen Wesens ist eine seltene, fast bis zur Selbstvergessenheit weit getriebene Humanität gegen Andere. Es ist eine nur seinen genauesten Freunden bekannte Thatsache, daß Humboldt den größten Theil seines Einkommens zu Wohlthaten und zur Unterstützung junger und strebender Gelehrten verwendet. Sein Privatvermögen soll nur unbedeutend sein, aber er bezieht vom Könige von Preußen einen ansehnlichen Gehalt für seine Stellung am Hofe, und außerdem zahlt ihm Cotta für die Herausgabe seiner Werke jährlich eine entsprechende Summe. Bei der Einfachheit seiner Bedürfnisse würde dies Einkommen nicht allein hinreichen, sondern auch noch Ersparnisse gestatten, aber Humboldt glaubt einen besseren Gebrauch davon zu machen, wenn er das unverdiente Geschick so manches Unglücklichen dadurch lindert. Ueberhaupt verwendet er den Einfluß, den er bei dem Könige besitzt, lediglich zur Förderung der Wissenschaft. Es gibt keine Erscheinung, keine Persönlichkeit, welche sich einigermaßen hervorthut, die er nicht beachtete. Fern von jedem Neide, von kleinlicher Eifersucht verschafft er dem verdienstvollen Gelehrten oft nicht nur die gebührende Anerkennung, sondern Anstellungen, Brot und Auszeichnungen aller Art.

Schloss Tegel, Familiensitz der Humboldt’s.

Humboldt’s Verhältniß zum Könige und zum Hofe ist somit in jeder Beziehung ein segensreiches. Viele seiner Freunde und Verehrer sind allerdings überrascht, wenn sie den berühmten Gelehrten bei einem öffentlichen Feste oder im Theater als preußischen Kammerherrn in der fast livréeähnlichen Uniform eines solchen zum ersten Male sehen. Ich gestehe, daß auch mir der Anblick nicht eben wohl that, wie ich den großen Mann hinter dem Stuhle irgend eines fremden Prinzen in der königlichen Loge aufwartend erblickte. Humboldt genießt jedoch durch diesen Posten das Glück, stets in der nächsten Umgebung des Königs zu verweilen und somit einen bei weitem größeren Einfluß auszuüben, als dies in jeder anderen Stellung für ihn möglich wäre. Dabei weiß er sich eine geistige Freiheit zu wahren, die er mehr als einmal öffentlich bethätigt hat. Er besitzt im reichsten Maße jenen „Muth der Meinung“, die er vor aller Welt auszusprechen sich nicht scheut. Religiöse und bürgerliche Freiheit finden stets an ihm einen beredten Vertheidiger und er nimmt keinen Anstand, die übertrieben pietistische Richtung, wo sie ihm entgegen tritt, mit den Waffen des ihm zu Gebot stehenden Witzes zu bekämpfen. – Als die erste Kritik über den Kosmos so eben in einer Berliner Zeitung erschienen war, frug ein hochgestellter Würdenträger Humboldt in Gegenwart des Königs, ob er die Recension schon gelesen hätte. Als dieser verneinte, setzte der Redner hinzu: Ihr „Kosmos“ wird von dem Beurtheiler ein wahres „Erbauungsbuch“ genannt. „Das kann mir jetzt nur nützen,“ entgegnete Humboldt mit einem Seitenblick und feinem Lächeln auf seine Umgebung. So weiß er die sich widersprechenden Elemente des gewandten Hofmanns und des Wahrheit suchenden Gelehrten in seiner Person zu verbinden, mit Feinheit zu belehren und mit Grazie auch zu tadeln, wo er anderer Ueberzeugung ist. – Ein Räthsel bleibt allerdings noch zu lösen, wie der berühmte Mann den Zeit raubenden Ansprüchen des Hofes und den Forderungen der Wissenschaft zugleich genügen kann; bedenkt man noch dabei, daß Humboldt bereits sein siebenundachtzigstes Jahr zurückgelegt hat, so muß man allerdings an Wunder glauben. Selbst mancher junge Mann müßte nach unserer Meinung den doppelten Anstrengungen des Vergnügens und der Arbeit erliegen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1857). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1857, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1857)_069.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2017)