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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Kanonenkugeln, Bomben und sonstige Ladungskörper für schwere Geschütze, zehn Millionen Pfund Pulver in Fässern und 66 Millionen scharfe Patronen für Musketen und Rifles. Kurz vor dem Falle Sebastopols hatte es Frankreich zu 400 Bomben-Mörsern vom größten Kaliber (außer der andern Belagerungs-Artillerie) und zu 1000 Bomben für jeden gebracht, hinreichend zu einem 20 Mal 24 Stunden ununterbrochenen Bombardement und 14 Bombenschüssen für jede Minute aus jedem MörserBerichtigung (Die Gartenlaube 1857/6)[WS 1]. Die Franzosen gruben und sprengten und bauten während der Belagerung Sebastopols über 100 Batterieen. Das Gewicht der Artillerie allein schätzt Marschall Vaillant auf 50 Millionen Kilogrammes, d. h. etwa eine Million Centner.

Dazu kam aber noch das „matériel du génie“, wie er’s nennt, die Sappeurs, Ingenieurs und Minirer mit ihren Werkzeugen und Materialien: Hacken, Schaufeln, Bohrer, Sandsäcke, Pallisaden, chevaux de frise, Mühlen, Leitern, Wagen, Kasten, Räder, Planken, Eisenbarren, Nägel, Pech, Kohlen, Leinwand, Minenpulver, Zelte, Holzhütten u. s. w. zusammen 14 Millionen Kilogrammes oder 280,000 Centner.

Zu den auffallendsten Posten gehören 920000 Sandsäcke und 3000 Holzhütten und Kasernen. Die Materialien des Geniecorps waren nach Ausspruch des Kriegsministers fünf Mal größer, als für eine gleich große Armee für Belagerungszwecke gewöhnlicher Art, so großartig und ausnahmlich war diese ganze Belagerung Sebastopols, freilich nichts in dem Grade, als die beispiellose Ueberwinterung zwischen Felsen und Sümpfen, welche so menschenfeindlich aussehen, wie die Erde kaum zur Zeit der Ichthiosaurier, ein paar Millionen Jahre vor Erschaffung der Welt (nach Calaisius) gewesen sein kann.

Die französischen Ingenieurs errichteten und sprengten während der Belagerung über 10 geographische Meilen Laufgräben, wozu sie 60000 Fascinen (Holzbündel), 80000 Gabionnen (große mit Erde gefüllte Körbe) und außerdem über eine Million mit Erde gefüllte Säcke verbauten, außerdem gegen drei Meilen „Linien“ oder Schanzwerke um die Belagerungslager herum. Diese „Linien“ bestanden aus tiefen Gruben, fast alle in soliden Felsen hineingehöhlt, mit hohen Parapeten und starken Redouten. Franzosen und Russen zusammen sprengten und gruben beim Miniren und Contreminiren außerdem über eine deutsche Meile unterirdische Galerien oder Passagen durch solide Felsen hindurch, an manchen Orten über 50 Fuß unter der Oberfläche. Bei dieser Arbeit mußte man aber auch essen und trinken und Alles weit über’s Wasser, größtentheils von Frankreich (Frankenarm) selbst her, z. B. 30 Millionen Pfund Bisquit, 50 Millionen Pfund Mehl, 7 Millionen Pfund eingesalzenes Fleisch, 14 Mill. Pfund Pökelfleisch und Fett, 8 Mill. Pfund Reis, 4½ Mill. Pfund Kaffee, 6 Mill. Pfund Zucker, 10000 lebendiges Hornvieh, 2½ Mill. Gallonen Wein und andere Kleinigkeiten in ähnlichen kleinen Quantitäten.

Man merkt’s schon an den Zahlen, wie demoralisirend, unmenschlich der Krieg ist. Sie stehen so kalt da diese Zahlen, ob man sagt: 10000 Ochsen oder 70000 Franzosen geschlachtet (Summa Summarum schlachtete diese einzige Belagerung etwa 700000 Menschen). Wie viel Trauer, wie viel Thränen, wie viel Herzeleid zieht sonst hinter der Bahre eines einzigen, selbst des unbedeutendsten Menschen her! Und dem Worte Krieg gegenüber liest man von 70000 und 700000 Todten wie von einem Posten in der Rechnung, der sich beiläufig mit von selbst versteht. Nun, sie starben doch für einen ehrenvollen, dauerhaften Frieden, hieß es. Ist doch Rußland auf ewige Zeiten gedemüthigt, renommirte Palmerston in seinen Zeitungen, während es in der That nie mächtiger gegen England da stand, als jetzt zur neuesten Pariser Konferenz, welche Napoleon auf Seiten Rußlands sieht und Sardinien nur deshalb nicht, weil Palmerston dessen Ausschließung bewerkstelligte (wenigstens beantragte) und zwar aus dem Grunde, weil er auch dessen Stimme für Rußland fürchtete. Die englische Diplomatie (welche so viele gutmüthige Menschen als westliche Civilisation umhofften) steht jetzt unter dem weisesten Nestor derselben allein da in Europa, allein, freundlos, von Freunden und Feinden verachtet und – zwar mit allem Recht. (Wer dafür die Thatsachen in gedrängter Kürze beisammen haben will, muß den Artikel „Palmerston“ in der neuen Wochenschrift, welche F. A. Brockhaus zur Ergänzung des Conversationslexikon herausgibt, nachlesen. Er ist aus derselben Feder, welche diesen Artikel schrieb.) Fahren wir in unserer Rechnung fort. Manchmal ist eine Zahl durch sich selbst gar nicht zu begreifen. Man ahnt gar nicht, wie groß sie ist und nimmt es ziemlich gleichgültig hin, ob eine Null mehr oder weniger an der Hauptzahl hängt. Aber eine kann die andere unterstützen. Wir lesen: 30 Millionen Pfund Bisquit und denken uns nichts weiter dabei, zumal da gleich noch mehr Millionen anderer Pfunde uns in Beschlag nehmen. Aber wenn man liest, daß zur Verpackung dieses einen Postens allein ein halbes Tausend Menschen Tag und Nacht arbeiten mußten, nur um die Fässer dazu zu schaffen und zusammen 260000 Fässer und Tonnen zur Verpackung dieses einzigen Artikels gehörten, wird uns diese Bisquitmasse schon etwas deutlicher. Für Verpackung anderer trockener Lebensmittel wurden über eine Million Säcke gebraucht. Unter der Rubrik Pferdefutter finden wir 170 Millionen Pfund Heu, 180 Millionen Pfund Hafer und Gerste und andere Artikel.

Mit 4 Millionen Pfund Feuerholz, 40 Millionen Pfund Steinkohlen, Coaks und Holzkohle, 150 Backöfen, 140 Pressen für Verpackung des Heus schließt das Kapitel vom Futter und Feuer, zusammen 10 Millionen Centner, zu deren Verschiffung nach dem Kriegsschauplatze 1800 Seereisen der Transportschiffe nöthig waren.

Kleider und Schuhe! Auch lauter Zahlen mit erstaunlich viel Nullen! Niemals unter 200000, in der Regel über 300000. Nur einige eigenthümlich französische Artikel, z. B. 240000 Paar Sabots, (Holzschuhe), zu den 360000 Paar ledernen. Der entsetzliche Winter durchschauert uns wieder, wenn wir von 150000 Schafpelzpaletots, 250000 bulgarischen (Schafpelz-)Gamaschen und 250000 Pelzmützen lesen.

Haus und Hof! Man hatte Zeltenbehausung hinübergeschafft, welche 280000 Mann auf einmal aufzunehmen im Stande war, wobei man voraussetzte, daß die übrigen während der Zeit „im Dienste“ und im Freien zubringen mußten.

Unter den Artikeln der Bekleidung für Pferde nehmen 800000 Schuhe oder Hufeisen und 6 Millionen Nägel dazu auch ihre Stellung ein, so daß man bis in alle Kleinigkeiten hinein genau Buch geführt haben muß. Im Ganzen wogen Kleiderstoffe für Menschen und Vieh und Zelte 400000 Centner.

Dies sind die Hauptartikel, aber die Accessorien, ärztlicher Dienst, Schatzamt, Postverwaltung, Druckerei, Telegraph u. s. w. wurden auch nicht übersehen. In keiner Sphäre waren die Franzosen so ausgezeichnet, als in ihren Hospital-Arrangements. Diese leuchten um so mehr hervor, als die englischen Soldaten, die sechs bis sieben Mal so viel kosteten, tausendweise aus Mangel an Dach und Fach, der gewöhnlichsten Arznei und der nothdürftigsten Pflege dahinstarben. Ohne Miß Nightingale und ihre barmherzigen Schwestern und beispiellose Privatwohlthätigkeit hätte die Kriegsführung nicht nur alle die vielen Millionen Pfunde, sondern auch alle Soldaten dazu todtgeschlagen –.

Die Franzosen schickten 27000 Bettstellen für Invaliden und Kranke hinüber, eben so viel Matratzen und Decken, und 40000 Decken für den Gebrauch in Zelten (außer den Feldmänteln). Dazu kamen 30 bewegliche, mobile Hospitäler für je 500 Mann und jedes mit dem nöthigen Mobiliar. Transportwagen für Verwundete waren hinreichend für 24000 Mann; 600 große Kisten chirurgischer Instrumente, 700000 Pfund Charpie und Bandagen, 200000 Pfund Erfrischungen, concentrirte Milch, Bouillonessenz, granulirte Grütze, Chole’s, eingemachte Früchte u. s. w. erinnern wohlthuend an versorgende Menschlichkeit in dieser wilden Mischung von Pulver, Kugelregen, Himmelsregen und Schnee, umhergeschleuderten Menschengliedern und bluttriefenden Krüppeln.

Die équipages militaires[WS 2] oder das Transportkorps im Felde und auf dem Lande blos für Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Gepäck beschäftigte 14000 Mann, 20000 Pferde, Maulesel, Ochsen und Buffalos mit nicht weniger als 2900 Wagen der verschiedensten Art. Auf diesen Wagen waren unter Anderem 900 wasserdicht verschließbare große Kasten; in jedem derselben wurde täglich für 1400 Mann Nahrung herangefahren.

Neunzig Personen fungirten als Zahlmeister und Postsekretaire zugleich. Marschall Vaillant versichert, daß die Soldaten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. vergl. aber: Berichtigung in Heft 6
  2. Vorlage: equipages militaires
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1856). Ernst Keil, Leipzig 1856, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1856)_709.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)