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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Adolf Stahr, in seinem so eben erschienenen Buche: „Nach fünf Jahren, Pariser Studien aus dem Jahre 1855,“ will folgende Züge des Kaisers Napoleon aus dem Munde einer Person vernommen haben, die dem jetzigen Beherrscher der Franzosen von Kindheit treu verbunden, damals zum öfteren bei ihm in seinem Gefängnisse zu Ham verweilte, und deren Zeugniß um so stärker in’s Gewicht fallen muß, als sie seit seiner Thronbesteigung ihr Geschick von dem des Kaiser gewordenen Jugendfreundes getrennt hat:

„Hätte Louis Napoleon nicht ohnehin, so erzählte sie, den fest gewurzelten Glauben an sein Erbrecht und an seine Mission gehabt, so hätte er ihm dort in den Jahren seiner Haft kommen müssen. Die Anhänglichkeit und Liebe der Soldaten für ihn war so groß, daß man in kurzen Zeitabschnitten immer die Garnison wechselte, aus Furcht, er könne sie für sich gewinnen und entfliehen. Auch hätte er dazu gleich in den ersten Jahren Gelegenheit gehabt, ja sie wurde ihm mehrfach angeboten. Er bewohnte ein kleines Haus in der Festung, das vergitterte Fenster und wohlverwahrte Thüren hatte, und vor dem zwei Wachtposten alle seine Bewegungen beobachteten, wenn er seinen kleinen Garten bearbeitete, den er sehr liebte, wie er überhaupt eine große Liebe für die Natur und ihren Genuß, und ein ungewöhnliches Geschick für Blumenkultur besitzt. So oft er in den Garten hinaustrat, präsentirten die Soldaten, indem sie regelmäßig ein: Gruß dem Kaiser! hinzufügten. Seht Ihr, sagte der Prinz zu seinem Gefährten, wie könnt Ihr mir immer von der Republik sprechen, wenn Frankreich seinen Kaiser zurückverlangt? Ein ander Mal kam der General Changarnier nach Ham, um die Festung zu inspiciren. Er sah nur ganz flüchtig in das Haus des Gefangenen hinein, damit Niemand sagen könne, er habe irgend eine längere Unterredung mit ihm gehabt, und nahm die Musterung der Truppen nicht in der Festung, sondern außerhalb derselben vor. Nur etwa zwanzig Mann mit einem Unteroffizier blieben im Festungshofe zurück, und als der Prinz mit seinem Besuche an das Fenster trat, verließ der Unteroffizier eine Gruppe Soldaten, zu der er gesprochen hatte, und näherte sich der Mauer den Hauses, als wolle er dort ein nicht näher zu bezeichnendes Geschäft verrichten. Unter dem Fenster, angekommen sagte er plötzlich halblauten Tons: es sind nicht mehr als zwanzig Mann in der Festung, die Thüren sind geöffnet, die Garnison ist beschäftigt, wenn der Gefangene fliehen will, hat er leichtes Spiel – man würde es nicht bemerken. Der Prinz stutzte einen Augenblick, antwortete aber sofort in demselben Tone: Dank, mein Braver, ich will Niemanden unglücklich machen, ich bleibe im Gefängniß. – Wie denn? Sie wollen nicht? – Nein! – Aber das ist dumm, fährt der Unteroffizier heraus, und wiederholt dann: Ueberlegen Sie sich’s wohl! Sie wollen nicht’? – Nein, ich will nicht! – Gut, denn, so bleiben Sie, wo Ihnen gefällt, antwortet der Andere ärgerlich und geht brummend davon. Einige Zeit später hatte ein Regiment in der Umgegend einen Garnisonswechsel, und sollte eigentlich in Ham selbst Rast halten. Plötzlich besann man sich anders, ließ es außerhalb der Festung bivouacquiren, und am Morgen sollte es weiter marschiren: Es waren eben einige Fouriere bestimmter Verrichtungen wegen in die Festung gekommen, und einer derselben fand Gelegenheit, einen Stein mit einem Zettel in das Fenster des Gefangenen zu werfen, auf dem die Worte standen: Das Regiment wünscht, daß sie es morgen die Revue passiren lassen. Da begab sich der Prinz zum Spazierengehen auf den Wall, und sah von dort dem Vorbeimarsche des Regiments zu. Nach solchen Ereignissen bemerkte er dann mit Selbstgefühl: „Und sie können noch zweifeln, daß ich einst Kaiser werde.“ – Man sagt, ein großer Theil der Armee sei jetzt weniger enthusiastisch für den Kaiser gestimmt.






Vom Weihnachtsmarkte für die Jugend. Die liebe Weihnachtszeit mit ihren süßen Freuden und Ahnungen rückt mit jedem Tage naher und näher. Mehr als je hat die Spekulation dafür gesorgt, daß die Bescheerung unter’m Tannenbaume möglichst reich und schön ausfalle und auch die Literatur, namentlich die Jugendliteratur, ist nicht zurückgeblieben. Unter der Menge neuerschienener Kinderschriften für jedes Alter zeichnen sich dieses Jahr die im Verlage von Flemming in Glogau erschienenen, durch Inhalt und geschmackvolle Ausstattung sehr Vortheilhaft aus. Aus der Jugendzeit von Rosalie Koch (für Kinder von acht bis zwölf Jahren), die Geschwister von der frühverstorbenen Marie Förster (für die reifere Jugend), besonders aber „Herzblättchen’s Zeitvertreib, Unterhaltungen zur Herzensbildung und Entwickelung der Begriffe,“ mit vielen unterrichtenden Abbildungen dürfen überall empfohlen werden. Auch der 2. Bd. des in demselben Verlage erscheinenden bekannten Töchter-Albums von Thekla v. Gumpert ist erschienen und enthält wieder eine Anzahl sehr hübscher Abbildungen. Weniger sind wir mit dem Inhalte einverstanden, der, die belehrenden Artikel ausgenommen, theilweis sehr an krankhafte Frömmelei anstreift. Da das Buch der Königin von Preußen gewidmet wurde, so zeigte es eben nicht von übergroßem Takt, daß die Verfasserin ihr eigenes Portrait als Titelbild vorsetzen ließ. Wer ist Thekla v. Gumpert, und was hat sie Großes auf dem Felde der Literatur gethan, daß sie schon an eine Berechtigung glaubt, ihr Bildniß dem Publikum vorzuführen? – Eltern, denen eine praktische Beschäftigung ihrer Kinder am Herzen liegt, empfehlen wir als Arbeitsübung für die Jugend die in demselben Verlage erschienenen Heftwerke: „Aus- und Zuschneideschule“ und die „Bilderwerkstatt,“ namentlich das erstere als sehr praktisch und unterhaltend.

Neben dem Töchter-Album, das eine Reihe von Beiträgen preußischer Autoren und Schriftstellerinnen bringt, müssen wir eines sächsischen Unternehmens für die reifere Jugend erwähnen, das soeben unter dem Titel: „Zum Feierabende“, herausgegeben von Stiehler in 2 Bänden, bei Meinhold in Dresden erschienen ist. Es bringt nur Beiträge sächsischer Autoren, unter denen wir Hofrath Klemm, Nieritz, Elise Polko, Dr. Reichenbach, Wildenhahn etc. nennen. Jedenfalls ist diese Schrift, deren Ertrag zum Besten den Lehrerpensionsfonds bestimmt ist, an literarischem Werth der Gumpert’schen Töchterschule weit überlegen, und auch die Ausstattung steht in keiner Weise dem preußischen Buche nach. Für Sachsen erhält das Buch insofern noch ein besonderes Interesse, als es eine sehr gelungene Abbildung aus den letzten Augenblicken des verstorbenen Königs enthält.

Für Knaben, die da Freude an Kampf und Gefahren haben – und welcher hätte sie nicht – empfehlen wir das bei Trewendt in Breslau erschienene vortrefflich ausgestattete Buch: „die jungen Büffeljäger auf den Prairien des fernen Westens von Nordamerika,“ herausgegeben von K. Müller. Es ist unterhaltend und belehrend zugleich und bringt viele sehr gut geschriebene Naturbilder.



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