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verschiedene: Die Gartenlaube (1856)

Der mit großem Beifall aufgenommene „Kunz von Kauffungen“ ist eins seiner ersten Bücher. Dabei lies’t er bei Barth Korrekturen, und verschafft sich und den Seinigen durch großen Fleiß eine anständige Existenz. Der Plan, mit zwei andern jungen Gelehrten eine Buchhandlung in Gotha zu gründen, treibt ihn dahin zurück, aber auch diese neue Hoffnung scheiterte an Leichtsinn und Untreue. Storch wurde betrogen und erlitt Verluste, die Früchte seines angestrengten Fleißes, die für seine Verhältnisse groß genannt werden durften. Zu jener Zeit übersetzte er aus dem Griechischen, Lateinischen, Französischen und gab zwei Novellen, die „Kurrutzen“, heraus, die so allgemeine Anerkennung, namentlich in Oesterreich fanden, daß ihm von vielen Seiten buchhändlerische Offerten zugingen. Die Verhältnisse in Gotha konnten ihm indeß nicht behagen, er fühlte sich dort sehr unglücklich. Deshalb ergriff er das Anerbieten eines jungen Buchhändlers Franckh in Stuttgart, dorthin zu kommen und für denselben thätig zu sein, und war im Herbst 1828 schon in der Hauptstadt Würtembergs. Dort lebte er mit Carl Spindler zusammen.

Aber Franckh war ein unedler Mensch, der Storch mißbrauchen wollte. Das erste Auftreten des Schauspielers Seidelmann auf der Hofbühne in Stuttgart wurde auf sehr drastische Weise die Veranlassung, daß sich Storch’s Verbindung mit Franckh schon nach einem halben Jahre wieder löste, und der erstere, da er in Stuttgart keinen Verleger finden konnte, mit mehren fertigen und angefangenen Manuskripten im Herbst 1829 nach Leipzig ging, wo er leider in die Hände eines gewissenlosen Buchhändlers fiel, der ihn sehr gemißbraucht hat. Zu Weihnachten hatte er seine Familie wieder bei sich, und nun erschienen „Vörwerts-Häns“, „der Glockengießer“, „die Fanatiker“ und der erste Band des „Freiknecht“, ein Roman, der mit den verschiedenen Nachdrücken nicht weniger als fünf starke Auflagen erlebt hat, und von der Birch-Pfeiffer als „Hinko der Freiknecht“ für die Bühne bearbeitet worden ist.

Aber auch in Leipzig war dem gedrangsalten jungen Manne nicht lange Ruhe gegönnt. Die Revolution von 1830 und ihre Folgen, die ihn über die Maßen anekelten, vertrieben ihn. Zu Weihnachten wohnte er mit seiner Familie wieder in Gotha in einem abgelegenen Gartenhause, das er früher schon bewohnt hatte.

In der tiefsten Zurückgezogenheit und fast ohne allen Umgang lebte er hier zehn Jahre, und schrieb seine zahlreichen Schriften, von denen wir als besonders gelungen nur: „der Karikaturist“, „der Jacobsstern“, „die Beguine“ und „der Freibeuter“ aufführen. Seine Abgeschlossenheit hatte nicht nur einen moralischen, sie hatte auch einen physischen Grund. Im Jahre 1833 zeigten sich die ersten Spuren von einer den Dichter heimsuchenden nervösen Schwerhörigkeit, die sich mit den Jahren vermehrte. Vielfache Verluste und unerfreuliche Behandlung von Buchhändlern veranlaßten unsern Storch, im Jahre 1840 auf Anregung eines jungen, ihm entfernt verwandten Schriftsetzers, der ihm vorspiegelte, Besitzers eines ansehnlichen Vermögens zu sein, mit demselben eine Buchdruckerei zu errichten, und damit eine Verlagsbuchhandlung zu verbinden. Nachdem die ersten Schritte schon geschehen waren, erwiesen sich die Vermögensangaben des jungen Mannes als falsch und Storch mußte einen Compagnon in der Person eines andern jungen Mannes annehmen. Auch in dieser Wahl war er unglücklich. Die trübste Periode in Storch’s Leben beginnt hier; er wird von allen Seiten hintergangen und getäuscht, und seine bösen Erfahrungen in dieser Beziehung endeten 1844 keineswegs mit dem Verlust seiner gänzlichen Habe. Storch erzählt über diesen Gegenstand Dinge, die nur ein mit der Verworfenheit von Menschen vertrauter Mann für möglich halten kann.

Von 1845–1849 schrieb der Dichter wieder in der alten tiefen Zurückgezogenheit seinen neunbändigen historischen Roman „Ein deutscher Leinweber,“ ein Werk, daß trotz seiner Ausdehnung allgemeinen und großen Beifall fand und noch jetzt zu den gelesensten Büchern gehört. Storch zeigt sich darin zugleich als Geschichtsforscher. Die Bewegungen der Jahre 48 und 49 berührten ihn nur in den ersten Wochen. Dagegen ergriff ihn Friedrich Fröbel’s Idee der Kindergärten lebhaft; er ließ eine Nichte, die er erzogen, von Fröbel zur Kindergärtnerin bilden, und gründete einen Kindergarten in Nordhausen, welcher schon nach wenigen Monaten vom königl. preuß. Ministerium des Unterrichts geschlossen wurde, worauf das bekannte Verbot der Kindergärten in den preußischen Staaten erfolgte. Storch hatte seinen ganzen zeitherigen Erwerb darauf verwendet, und gerieth wiederum in die bedrängteste Lage. Er lebte im Jahre 1851 in Dresden und Braunschweig, um eine Kur gegen seine schweren Unterleibsleiden zu gebrauchen, 1852 in dem schönen Gebirgsdorfe Georgenthal bei Gotha, 1853–55 in dem grünen Städtchen Waltershausen, wo Frau und Nichte einen Kindergarten hielten. Um einen Lieblingswunsch, den er seit seiner Jugend gehegt, Landwirth zu werden, auszuführen, beabsichtigte er, sich in einem westlichen Staat der nordamerikanischen Union anzusiedeln, und ein Sohn ging dahin voraus.

Aber der Buchhändler E. Keil, der Verleger dieses Blattes, Storch’s thüringischer Landsmann, mit welchem er seit 1852 in nähere Verbindung getreten war, rieth so dringend von dieser Uebersiedelung ab, daß der Dichter den Plan aufgab. 1853 erschienen Storch’s lyrische Gedichte im Verlage den genannten Buchhändlers, die von der gesammten deutschen Presse mit großer Anerkennung ausgenommen wurden. Auf Betrieb desselben Verlegers erschien dann oder erscheint vielmehr noch in dessen Verlag eine Auswahl von Storch’s Schriften in einer schön ausgestatteten Familienausgabe, die ebenfalls vielen Beifall fand, und ihm, da der Verleger seinen Gewinnantheil vollständig an den Dichter abgetreten, hoffentlich die Mittel zu einer sorgenfreien Existenz liefern wird. Seit dem Spätsommer 1855 lebt der Dichter bereits auf einem kleinen Landbesitzthum in der Altstadt bei Bayreuth und giebt sich mit Eifer und Freude dem Betriebe der Landwirthschaft hin. Die schweren körperlichen Leiden, von welchen er seit einer langen Reihe von Jahren heimgesucht war, weichen von ihm, und er sieht einem ruhigen Alter entgegen. Seine Schaffenskraft ist wieder erwacht, und wir können noch manchem schönen Erzeugnisse seiner dichterischen Muße entgegensehen.

Hätte Storch früher mehr Muße gehabt, d. h. wäre seine äußere Lage eine günstigere gewesen, so würden alle seine poetischen Erzeugnisse einen weit höhern Grad von Reife haben. Wie wahr und treffend und warm er z. B. zu schildern versteht, das können am Besten seine Landsleute, die Thüringer, bezeugen, deren Berge, Wälder und Sagen von Allen Keiner so lieb und schön, Keiner so wahr und treu beschrieben hat, als L. Storch. Der arme Dichter mußte sein Leben aber meist unter drückenden Nahrungssorgen hinschleppen, gehetzt von einem Ort zum andern, und von Erholungen, wie sie den Meisten vergönnt sind, ist bei ihm niemals die Rede gewesen.

Storch’s Persönlichkeit ist eine ungemein anziehende und gewinnende – eine ächte Dichtergestalt. Man hat ihn die schlanke Edeltanne Thüringens genannt und nicht mit Unrecht. Auf einer hohen breitschultrigen Gestalt sitzt der noch immer klassisch-schöne Kopf, dessen Haare sich nach und nach weiß färben, während die Wangen noch in frischer Jugendfarbe glühen. Ein Augenpaar, so blau und treu, wie man es nur in Thüringen findet, schaut aus dem blühenden Antlitz so heiter und froh heraus, als ob es niemals Thränen des Kummers geweint. Alles an ihm, sein ganzes Wesen, besonders aber seine Sprache, die den treuherzigen thüringer Idiom noch ganz hat, macht den Eindruck eines offenen kindlichen Gemüths, das trotz aller bitteren Erfahrungen noch an die Menschheit und all’ ihre Ideale glaubt. Man muß ihn selbst sprechen hören über seine Vergangenheit, sein Leben und seine Hoffnungen, man muß mit ihm auf den thüringer Bergen gewandert sein, die er so treu liebt, muß mit ihm die Hoffnungen des Vaterlandes besprochen und berathen haben, um den Mann lieb zu gewinnen, der so hinreißend-begeistert und doch so kindlich offen, so ganz vertrauend und hingebend seine innere Welt zu offenbaren versteht. Storch ist ein Mensch im edelsten Sinne des Worten, und das ist in unsern Tagen schon ein großer Vorzug.

Er hat viel Gutes gewollt und Besseres verdient, als ihm im Leben geworden – möge sein Lebensabend ein heiterer und sorgenloser sein!

K. v. L.
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