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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Unser Pseudo-Schiller war zugleich Leiter und Arrangeur der Tableaux. In dieser Eigenschaft war er sich der Schwierigkeit einer Aufgabe vollkommen bewußt, deren würdige Lösung, wie jede künstlerische Production, die vor die Oeffentlichkeit tritt, so vielen Zu- und Unfällen unterworfen ist. Er hatte zwar seine kleine auserlesene Schaar, die ihm ihre Mitwirkung bei den Bildern zugesagt hatte, auf den Proben tüchtig eingeübt, hatte sich dann jeden Kopf, jedes Costüm so portrait-ähnlich wie möglich hergerichtet, doch waren seine Bilder einfacher, stiller Natur, entsprechend dem Leben des großen Dichters; und er fürchtete nicht ohne Grund, diese Einfachheit könnte von einem Publikum mißverstanden werden, das, wie fast jedes Publikum heutiger Zeit, des Prunkes und äußerlichen Aufwands nur zu sehr bedarf, um sich noch anregen oder fesseln zu lassen. Mit dieser Besorgniß erfüllt, ging er eilig in das Zimmer, wo die mitwirkenden Damen und Herren (sämmtlich dem Privatstande angehörend), schon im Costüm und ihres Auftretens gewärtig, in den verschiedensten Gruppen der Spannung und dem Gefühle eines leisen „Lampenfiebers“ versammelt waren.

„Meine Verehrten,“ sprach er hier mit erhobener und zugleich gepreßter Stimme, „der Augenblick naht, der uns entweder die Sonne von Austerlitz zeigt, oder die gewitterschweren Wolken von Waterloo – hoffen wir Ersteres. Ich sah so eben durch den Vorhang – der Saal ist so furchtbar gedrängt voll, wie ihn die Räume dieses Hotels noch nicht gesehen haben. Bei einer solchen Menschenmenge ist für den Darsteller Alles zu erwarten – ein Mittelding von Erfolg giebt’s da nicht – entweder vollständiger Sieg – oder eine vollständige Niederlage. Lassen Sie sich indessen durch Nichts abhalten und irritiren, was, während Sie auf der Bühne stehen, sich etwa Störendes in dem Zuschauerraume ereignen könnte. Ertönt da oder dort ein Schrei von einem Gepreßten, lassen Sie ihn ruhig schreien, denn helfen können Sie ihm ja doch nicht – fallen Zehn in Ohnmacht, lassen Sie sie fallen – stehen Sie wie Statuen von Erz oder von Marmor, meine Herrschaften, seien Sie der großen Geister, die Sie repräsentiren, eingedenk, die sich durch dergleichen Vorkommnisse gewiß auch nicht so leicht außer Fassung hätten bringen lassen.“

Lebende Bilder des leipziger Schillerfestes.*[1]


So schloß dieser Impresario seine Standrede und musterte noch zu einem letzten Male seine Genossen. Einem Knaben von acht Jahren ordnete er das goldblonde, lange Haar so schlicht, so frei als möglich, und zupfte da und dort an der Hemdkrause. Dies ist das Kind: Schiller, mit dem frommen, sanften Antlitz, der feinen, durchsichtigen Gesichtsfarbe, dem träumerischen Auge. Diesem Kinde entsprechend, sehen wir in der „Mutter Schiller’s“ eine Frau voller Güte und Wohlwollen, voller Religiosität und treuer Liebe. Strengeren Ausdrucks hingegen ist der Kopf des Vaters, der schon als Werbeoffizier, welchen Posten er damals begleitete, nicht mild aussehen kann. Die Biographen beschreiben ihn uns als einen ernsten, kurzangebundenen Mann, der ein blindgehorsamer Diener seiner gestrengen Herren war. Eine hohe Jünglingsgestalt mit einem Ausdrucke im Gesicht, als sähe man den Dichter der „Räuber“ vor sich, ist eben im Gespräch mit der Adoptivtochter des Herzogs von Würtemberg, einem schönen Mädchen mit braunem Auge und leicht brünettem Teint, wozu der Puder so schön kleidet. In stolzer Haltung und mit dem Fächer tändelnd, steht ihr zur Seite Gräfin Franziska von Hohenheim, die Favorite des Herzogs, während dieser, schon im Charakter seiner Rolle, finstern Blicks den jungen Regimentsmedikus Schiller mißt. Ein junger Mensch, in einfach bürgerlicher Tracht, lehnt still für sich an einem Fenster, sein großes, dunkles Auge auf seinen besten Freund gerichtet – es ist dies ein zweiter Blondel, der treue Streicher. Jener imposante Mann dort mit dem Alles gewinnenden Blick, mit einer Stirn, die „Jovis Thron“ zu sein scheint – ist Goethe, zu jener Zeit noch ein Funfziger. Stolz, vornehm und seines Werths nicht minder bewußt, steht neben ihm Herder mit dem Feuerauge und der Adlernase – aber gebückt sitzt dort in seinem Lehnstuhl, das schwarze Sammetkäppchen auf dem Silberhaar, ein Greis voll Menschenliebe und unvergänglichem Humor – es ist Wieland – der herrliche, unvergeßliche Sänger des Oberon. Mitten unter ihnen befindet sich Karl August von Weimar mit dem großen klaren Auge, das ein treuer Spiegel seiner großen Seele – in markiger gedrungener Gestalt. Die beiden Philosophen, Fichte und Reinhold, stehen vereinzelt da; der Eine fest, mit derben Zügen, der Andere mit feinem Wesen und gewinnendem Ausdruck.

Viele unserer Leser werden bereits aus den Zeitungen wissen, daß der geistvolle Künstler Herb. König der Leiter und Arrangeur dieser lebenden Bilder war, die den Glanzpunkt diesjährigen Schillerfestes bildeten. Von ihm rühren auch die beiden Skizzen her, die wir diesem Artikel beigeben.

Mit dem Schlage sieben betrat Dr. Gustav Kühne, der Festredner des Abends, die Rednerbühne, und begann mit der Anzeige der Ernennung neuer Mitglieder. Wie am 9. Mai d. J. König Ludwig, so ward jetzt König Maximilian von Baiern das Diplom


  1. * Von den sieben Gruppen, die im Gedicht näher bezeichnet sind, finden wir in obigem Bilde nur 1 bis 5 und 7. Schiller’s Zimmer dürfte schon bekannt sein.     D. Redakt.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 682. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_682.jpg&oldid=- (Version vom 7.8.2023)