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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

In Lieschens Jahrgang waren Viele, besonders Bursche, und die waren alle gründlich in das Mädchen verliebt. Sie that’s den Burschen mit ihren fackeligen Augen an. Sie hatte sie alle am Bändel – und doch keinen – denn sie liebte es, Allen lieb zu sein und Keinen lieb zu haben. Das können Sie bei diesen Umständen ermessen, daß sie viel beneidet wurde von den andern Mädchen, besonders von den reichen; aber eine Feindschaft gab’s doch eigentlich nicht und, wie groß auch oft der Neid war, etwas Uebles brachte er nie auf das Lieschen. Sie hatte bei ihrer Leichtfertigkeit doch so eine Art, die die kecken Bursche gewaltig im Zaume zu halten wußte.

Keiner konnte sagen, daß er mehr gälte, als der Andere und Alle zappelten an der Angel, wie der gefangene Fisch. Nun geht das doch in der Regel nicht lange. Es kommt eine gewisse Zeit, da das Spaßen alle ist, und ein Mädchen an die Haube denkt, und an den eigenen Herd.

Die Breier’s Wittwe hatte nichts als ihr geringes Hausgeräthe, denn sie wohnte auf Zins, und wäre sie auf einen Baum gestiegen, so hätten ihre Rechte an dem Boden ein Ende gehabt. Da ist’s doppelt nöthig, dran zu denken, daß fünf Monate nach dem Mai der November kommt.

So viel hatte doch die Breier’s Wittwe sich abgesehen, daß der weise Salomon Recht hat, wenn er sagt: Es habe Alles seine Zeit. Sie sagte daher oft zu Lieschen: Tändeln hat auch seine Zeit. Sieh zu, daß es Dir nicht geht, wie Jener, die sieben Liebhaber, aber keinen hatte, der sie nahm.

Darauf antwortete wohl das Lieschen einmal ganz schnippisch, aber es kam ihr doch vor, als sei ihre Mutter nicht weit von der Wahrheit.

Zwei waren damals die eifrigsten Bewerber um ihre Gunst. Beide hatten sie herzlich lieb und Lieschen sie auch. Wer das Glück hat, führt die Braut heim, heißt’s - aber es konnte auch heißen: Wer die Mutter für sich hat. Hier hieß es so.

Lorenz Müller und Caspar Vogel hießen die Zweie. Grafen und Barone waren sie alle Beide nicht, sondern Holzhauer, wie ich; aber es war eben doch ein Unterschied. Der Caspar war eine Waise; er hatte das Gnadenbrot bei einem Vetter gegessen, da er klein war - und jetzt, wo er erwachsen war, mußte er sich für ihn plagen. Das war er müde, denn Caspar war zwar von Herzen, wie es schien, nicht böse, aber er war heftig, jähzornig, und dann gab’s selten eine Schranke, die er nicht übersprang. Er wollte selbstständig werden, eignes Brot essen und Lieschen heimführen. An dem Gedanken hing seine Seele. Zwar reimt Arm auf Arm am Besten, aber im Leben reimt’s doch übel, und wenn zwei Arme zusammen kommen, tragen sie am Hausrath nicht schwer. Caspar hätte seine Habe unter dem Arme tragen können oder, wie man sagt: er hätte sie in ein berliner Kofferchen packen können, und das Lieschen hatte eben auch noch für nichts gesorgt, nicht einmal für ein eignes Bettlein. Es putzte sich gerne und das kostet Geld.

Der Lorenz Müller dagegen war reicher, das heißt, er hatte ein eigenes, niedliches, aber hübsches Häuschen, ein gutes Bette, einen Tisch und ein paar Stühle; aber er war Einer, der sich zu helfen weiß. Wenn der Caspar ledig aus dem Walde heimging, so trug Lorenz gewiß einen Lastkorb Spähne oder eine Last Reisig, was ihm der Förster erlaubt hatte, auch wohl eine Last Futter für seine Ziege, die er sich hielt und die ihm Lieschens Mutter fütterte, denn er war ihr nächster Nachbar.

Für die Mutter war da die Wahl keine Qual, wohl aber für das Lieschen, das augenscheinlich mehr Neigung zu Caspar trug. Lorenz war ihr zu verständig und ruhig, seine Liebe war nicht so feurig, wie die des Caspar. Beide Bursche fühlten es heraus, daß zwischen ihnen das Loos schwankte und haßten sich, wie grimmige Feinde. Beide waren aber ohne Widerrede die schönsten Bursche im Dorfe und manch anderes Mädchen wäre glücklich gewesen, wenn es Einer von ihnen geliebt hätte; Lieschen hatte Beide und war dennoch nicht glücklich, weil sie in der Wahl zu keiner Entscheidung kam.

Lorenz war endlich des langen Hinhaltens überdrüßig. Eines Tages, als Lieschens Mutter in sein Haus trat, um ihm, wie er sie gebeten hatte, die Ziege zu melken, bat er sie um ein Gespräch unter vier Augen, wozu sie gerne bereit war.

Man braucht nicht Rathsherr von Nürnberg zu sein, um sich vorzustellen, was das Gespräch betraf. Es galt die Werbung um Lieschen. Die Mutter hatte Gründe genug, Lorenz ihre Einwilligung zu geben, und ihm zuzusagen, daß sie Alles aufbieten wolle, Lieschen für ihn zu gewinnen. Was sie besonders bestimmte, war die Aussicht, daß sie es in ihren gebrechlichen Alterstagen bei Lorenz besser haben würde, als bei dem hitzköpfigen Caspar. Sie überlegte sich’s, wie sie es anfangen wolle, um Lieschen der Anfrage des braven Lorenz geneigt zu machen, und als ihr Plan fertig war, ging sie an’s Werk mit aller Klugheit. Ob es Caspar merkte, daß sich die Wagschaale auf Lorenz’s Seite neigte, und ob er durch einen verzweifelten Schritt sicherer auf Lieschen wirken, oder ob er sich an ihr rächen wollte, ich weiß das nicht, und es ist mir nie klar geworden, aber das weiß ich, daß er mit einem Male aus Lieschens Hause blieb, und einem andern Mädchen zu Gefallen ging, und Lieschen völlig unbeachtet ließ, ja, wenn er vorüber ging, nicht einmal nach dem Fenster sah, wo sie mit ihrer Näharbeit saß. Das war ein Stich, der in das Herz traf. In der Aufwallung gab sie dem Drängen ihrer Mutter nach. Lorenz kam und sie verlobten sich. Es war Samstag, als dies geschah und Sonntag Morgens rief sie der Pfarrer als Brautleute zum ersten Male aus.

Mittags war Caspar spurlos verschwunden. Kein Mensch wußte, wohin er gekommen war und Niemand konnte es ahnen, da er keine Andeutung darüber hatte verlauten lassen. Anfänglich lief das Gerede durch’s Dorf, er habe sich ein Leid angethan, aber es erwies sich bald als irrig, denn er hatte seine Kleider und Hemden mitgenommen.

Lieschen war, als sie das Gerede hörte, völlig außer sich und geberdete sich wie eine Irrsinnige, da sie sich anklagte, die Ursache seines Todes zu sein; sie beruhigte sich aber scheinbar wieder, als sich jenes heillose Gerede als falsch erwies. Dennoch nagte ein Wurm heimlich an ihrem Herzen, denn nun erst erkannte sie das Maß seiner Liebe, deren Verlust ihn fort in die Welt trieb.

Das waren schlimme Aussichten für den guten Lorenz. Sie zeigte zwar ihren Kummer nicht, aber wenn sie allein war, flossen ihre Thränen und in gar mancher Nacht mußte ihre Mutter sie mit harten und strengen Worten zurechtweisen. Sie duldete es stille, obwohl sonst ihr Mäulchen fix war. Endlich wurde sie mit Lorenz getraut und kein König war glücklicher als er.

Jedermann dachte, das werde eine recht glückliche Ehe werden. Lorenz verdiente schönes Geld, er war ein besonderer Liebling des Oberförsters und Lieschen konnte den Verdienst ihrer Nadel auch schon sehen lassen. Bewahrte sie der liebe Gott vor Unglück, so konnten sie sich etwas Schönes erwerben und ohne Sorgen in die Zukunft blicken; aber wie hatten sich die Leute verrechnet! Lorenz war und blieb die treue Seele, die voll und ganz an Lieschen hing. Er trug sie auf den Händen und ihre Mutter hatte die besten Tage von der Welt; anders war es bei Lieschen. Sie wurde alle Tage kälter, gleichgültiger und abgeneigter gegen ihren guten, braven Mann. Sie wurde launisch, mürrisch und unzufrieden. Nie gönnte sie ihm ein Wort der Liebe, nie einen herzigen Blick. Seine Freundlichkeit war ihm zuwider. Sie hatte oft rothgeweinte Augen und ihr träumerisches Wesen ließ es ahnen, was ihre Seele erfüllte. Wie unrecht und sündhaft sie handelte, bedachte sie nicht. Ihre Mutter hoffte eine Veränderung, wenn sie ein liebes Kind an ihr Herz legen könne. Diese Stunde des Segens kam, aber es starb schnell dahin, und forthin blieb ihre Ehe kinderlos. Dies Mißgeschick vollendete das häusliche Unglück.

Lorenz trug’s mit schwerem Herzen und hoffte durch seine sich gleichbleibende Liebe sie zu gewinnen, aber leider, je länger je mehr zeigte sie eine abstoßende Widerwilligkeit gegen ihn. Sein Holzhauergeschäft brachte es mit sich, daß er oft Wochen lang seine Schwelle nicht betrat. Dann war es ihr ordentlich wohl. Was sie gegen ihn hatte – erfuhr nie ein Mensch. Vergebens redete ihre Mutter und der Pfarrer ihr in’s Gewissen. Sie setzte ihnen ihre Thränen und ihr Schweigen entgegen. –

So blieb’s und die Jahre gingen und kamen. Die Zeit machte keine Aenderung, auch nicht der Kummer der Mutter und ihres Mannes. Endlich starb ihre Mutter. Die Leute sagten: Das wird ihr Herz wenden! Sie irrten. Sie änderte sich nicht.

Das Wahrscheinlichste war, daß sie zu glauben schien, ihre Mutter und Lorenz seien Schuld gewesen, daß Caspar zu der Andern ging, und hätten sie dann im ersten Augenblicke der eifersüchtigen Aufregung in ihr Netz gelockt. So sah sie sich als eine Ueberlistete, als eine Betrogene an, sich und Caspar, den sie doch

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