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verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

er schon weit vor’m Hause am Schritte und ruft, daß man öffnen solle. Er hat mich lieb bis zur Unerträglichkeit und klettert, so oft es geht, an mir in die Höhe, um mich zu küssen und sich dafür unter dem Flügel krauen zu lassen. Dafür macht er mir mit seiner großen gelben Krone ununterbrochen Komplimente. So oft er unten entwischen kann, kommt er die Treppe heraus und klopft an meine Thür, um „Good morning, Doctor!“ zu rufen und dann mit Kennermiene zuzusehen, wie ich schreibe, mir Zucker in den Kaffee zu werfen, immer ein Stückchen für sich zu behalten, und sich zu verdefendiren, wenn man ihn deshalb schilt: „Never mind! Only a little bit! Of no consequence, you know!“ („Schon gut! Blos ’n kleines Bischen! Ist ja gar nicht der Rede werth!“) nur daß dieser Sinn im Englischen ungemein leichter für die Sprechwerkzeuge ist, wie es auch überhaupt bekannt ist, daß Vögel von allen Sprachen Englisch immer am Leichtesten und Schnellsten lernen.

Dieser „Kocki“ spricht blos Englisch, weil er seit funfzehn Jahren nie etwas Anderes vernommen. Doch daß ich nicht lüge: er bellt auch zuweilen, aber selten und immer seltener in zärtlicher Erinnerung an einen dahingeschiedenen Freund, ein kleines Hündchen, mit welchem er zehn Jahre zusammenlebte, der aber auf der Reise von Australien starb. Wenn er so einsam in der Sonne sitzt und an die Vergangenheit denkt, tritt sein ehemaliger Freund und Spielgenosse vor seine Seele und da bellt er so rührend, so melancholisch, so zärtlich, so piano.

Der amerikanische Spottvogel, von den Indianern „Contla tolli“, d. h. „400 Zungen“ genannt, hat seit dem Eindringen der Civilisation seine 400 Sprachen bedeutend vermehrt: er spricht in der Nähe von Eisenbahnen wie eine Locomotive u. s. w. Noch weiter hat es der mächtige Lyra-Fasan in Australien gebracht. Der macht Alles nach: Pferdegetrappel, Rossegewieher, Rädergeknarre, Hundegebell, Kindergeschrei, Weibergezänk, kurz Alles, was er hört. Ein ähnliches Sprachgenie mag der Ulama auf Ceylon sein, wodurch sich die furchtbare Sage und sein furchtbares Höllengekreisch natürlich und ohne Mystik erklären lassen mag. Auch die schauerlichen Sagen von furchtbaren, unheimlichen Stimmen verborgener Naturgeister in der Wüste Cop, am Hindu-Kusch bei Kabul, bei El Nakuhs am rothen Meere, in den Granitfelsen am Orinokko, die Höllenmusikanten des Teufelsberges am Cap, das Tönen der Memnonssäule in Aegypten und anderer tönender oder blos erscheinender Spuk haben allmälig nüchternen natürlichen Erklärungen furchtloser Naturforscher weichen müssen, obgleich dadurch das Schauerliche, Fürchterliche, Unheimliche dieser in Sagen und Religionen verherrlichten Naturstimmen dadurch im Wesentlichen nicht geschwächt wird. Die Orgelmusik der Granitfelsen am Orinokko bei Sonnenaufgang soll zuweilen so hinreißend erhaben und überwältigend sein, wie kaum die genialste Composition von Mozart oder Beethoven, oder die renommirende „Zukunfts“-Musik Wagner’s, die sich in der Meinung abfiedeln läßt, als wären Mozart und Beethoven „überwundene Standpunkte.“

Bis vor nicht langer Zeit hielt man fast alle niedrigeren und niedrigsten Thiergattungen für taubstumm. Neuerdings haben wir die schönen Augen dieser Blinden und die verständliche Sprache dieser Tauben entdecken und bewundern lernen. Die Ohren mancher Muscheln und anderer Schalthiere sind Wunder von Schönheit. Da man durchweg bis in die niedrigsten Geschöpfe herab Andeutungen von Gehör und Mittheilungstalent bemerkt hat, darf man annehmen, daß alle Geschöpfe je nach ihrem Bedürfniß ihre Thore haben, aus denen und durch welche sie mit der Außenwelt verkehren. Dies geht so weit, daß selbst die durch und durch sprachlosen Thiere nicht nur sprechen, sondern auch Musik machen. Wenigstens hört man genau, wie sie Takt schlagen. Und warum sollten sie Takt schlagen, ohne in ihrer Weise zu singen und zu spielen? Sie machen Instrumentalmusik. Der große Roßkäfer schlägt jedesmal für die Ohren seiner Kollegen Höllenlärm, so oft man ihn erfaßt oder beunruhigt, indem er mit den Flügeldecken auf die Brust trommelt. Zwei Käfer, Todtenuhr und Tickuhr genannt, deren letzterer in regelmäßigen, schnellen Tritten sich durch’s Holz frißt und die wurmstichigen Löcher in Tische und Stühle der Bauern meißelt, gelten bei wackelköpfigen Großtanten immer noch als Verkündiger des Todes. Ersterer schlägt mit seinem wundervoll scharfen und künstlichen Meißel in der Nacht oft außerhalb alten Holzes, wohl gar an unsern Bettbrettern, seine Taktsprache, die von Andern seiner Art beantwortet wird. So unverständlich sie uns auch klingt, die Leutchen unter sich verstehen sich jedenfalls. Die Spechte, während der Brütezeit nicht gut bei Stimme, schlagen mit dem Schnabel gegen dürre, hohle Aeste und Zweige auf eine Weise, der eine gewisse Philologie, eine gelehrte, uns unverständliche Sprache zu Grunde liegt. Jedenfalls haben sie’s unter sich ausgemacht, so und so viel Schläge und die und die Art Schläge bedeuten dies und bedeuten das. Die wunderbarste Art der Sprache ohne Stimme findet man bei zwei Arten italienischer Grashüpfer, Cicada plebeja und Cicada orni. Blos die Männchen scheinen sprechen zu können und zwar mit einem eigenen äußern Instrumente, welches aus mehreren gewundenen Zellen unter dem Körper besteht. Sie sind durch Häutchen von einander getrennt und laufen nach Außen in zwei enge Klappen aus. In der Mitte dieser Zellen hängt ein wundervolles, kleines Meisterstück von Triangel, neben welchem zwei beinahe stahlharte Muskeln angebracht sind, mit denen das Thier sein Sprach- und Musikinstrument vermittelst Luftstöße schlägt. Durch die eine Klappe wird mit Hülfe der beiden Muskeln Luft eingesogen, durch die andere ausgestoßen. Indem sie auf diese Weise durch die Zellen strömt, giebt der Triangel mit guter Räsonnanz in den Zellen eine so laute Janitscharenmusik von sich, daß eine einzige männliche Cicade im Zimmer die angestrengtesten Stimmen einer ganzen menschlichen Gesellschaft übertäuben kann. Doch kann der Spieler auf seinem merkwürdigen Instrumente auch sehr piano flöten, namentlich in Liebesaffairen, wo die weiblichen Cicaden eben blos zum stummen Gehorchen verurtheilt zu sein scheinen, da sie eben gar keine Stimme haben.

Ameisen haben auch keine Sprachwerkzeuge und machen sich deshalb nur durch äußerliche Zeichen und Instrumente gegenseitig Mittheilungen, wie man besonders beim Häuserbau der Termiten beobachten kann. Die ausstehenden Wachen schlagen dann genau alle zwei Minuten (so daß man die Uhr danach reguliren kann) mit ihrer Zunge gegen eine Wand oder sonst einen festen Gegenstand. Jeder dieser Schläge wird jedesmal durch das ganze Gebäude von allen Arbeitern durch ein leises Hissen beantwortet. An der Spitze dieser Wachen oder Aufseher stehen eine Art Offizier oder Chef von stolzer, militärischer Haltung, der immer das Zeichen zu den zweiminutlichen Schlägen giebt. Bienen sind große Musikliebhaber und unterscheiden Menschen an deren Stimme. Der Engländer Huber, einer der intimsten Kenner des Bienenstaates (obgleich er blind war), erzählt uns, wie sie den Ruf des „Bienenvaters“ vernehmen und seinem Commando gehorchen. In Asien versteht man das besser als bei uns. Dort führen Väter ihre Bienen auf’s Feld und lassen sie nach Herzenslust weiden in den würzigen Blumenkelchen, bis sie ihnen auf eine eigenthümliche Weise pfeifen und sie sich dann folgsam wieder nach Hause führen lassen.

In allen Ameisen- und Bienenstaaten herrscht eine sehr ausgebildete Telegraphensprache vermittelst der Fühlhörner. Der Tod der Königin ist im Augenblicke durch das ganze Land telegraphirt. Menschen sehen dann blos geheimnißvolle Bewegungen, hören aber keinen Ton, obgleich jede Bewegung Lufterschütterungen erzeugt, die auch uns hörbar sein würden, wenn wir das Ohr so bewaffnen könnten, wie das Auge, durch 2 bis 4000 Mal vergrößernde oder näher bringende Mikro- und Teleskope. Auch „Wachsen“ ist Bewegung, so daß man am Ende noch wirklich das Gras wachsen hören könnte. Huber versichert, daß die Sprache der Bienen nicht blos Zeichensprache sein könne, sondern die Bewegungen hörbar sein müßten. Ameisen, die sich begegnen, erzählen sich unterwegs vermittelst der Fühlhörner lange Geschichten und bestimmte Thatsachen, wofür es so viele Beispiele giebt, daß wir sie im Allgemeinen als bekannt voraussetzen.

Mancher Gefangene erwarb sich in der einsamen häßlichen Spinne den einzigen, treuen Freund seines lebendigen Todes. Fauzun, Quatermère d’Jjonville und andere berühmte Gefangene gingen mit ihren Spinnen um, wie mit den treuesten Freunden. Sie ließen sich aus deren Händen füttern, und kamen freudig herangekrochen, wenn sie gerufen wurden. Die Gefängnißwärter ahmten den Ton vergebens nach. Die Spinnen kannten und unterschieden die Stimme ihres Freundes. Gänse retteten einst durch ihr Geschrei das Capitol in Rom, d’Jjonville’s Spinnen ihren Freund. Er hatte ihr Wetterprophezeihungstalent studirt, aus welchem er auf einen frühen harten Winter schloß. Deshalb sandte er den

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