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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Hier? Das Haus hat keinen besondern Namen,“ erwiederte die Frau.

„Es gehört Ihnen? Darf ich bitten, da ich Ihnen vorgestellt bin, mich auch mit Ihrem Namen zu beehren?“

Sie besann sich wiederum.

„Haben Sie Ihren Namen vergessen?“ rief Guido lachend.

„Beinahe!“ erwiederte sie, und lachte auch, bis der Husten sie abermals überfiel. „Ich heiße Meier’n.“

„Und dies Thal?“

„Das – das hat auch keinen Namen,“ versicherte die Alte.

„Aber, jede Klippe, jede Schlucht hat doch im Harz ihren Namen und was für romantische giebt’s! Wie soll man Euch denn finden?“

„Finden?“ wiederholte die Alte und stieß einen Zischlaut durch die Zähne. „Uns braucht Niemand zu finden.“

Sie stand ihm nicht weiter Rede, und Guido setzte sich auf das Bett, denn einen Stuhl gab es im ganzen Zimmer nicht, schnitt sich mit einigem Mißtrauen ein Butterbrot und aß dann, von dem Wohlgeschmack überrascht, mit wachsendem Appetite, wobei er sich Vorwürfe machte, daß er nicht noch einmal nach seinem Pferde sah.

Er war aber zu müde, und warf sich bald in das Bett, nachdem er das Licht ausgeblasen hatte, das auch noch seinen verwöhnten feinen Sinn beleidigte. „Aber das Bett ist famos!“ dachte er im Einschlafen.


III.

Der sternhellen Nacht war ein klarer Morgen gefolgt. Längst brannten die grauen, verwitterten Felskuppen, welche in das Thal herniederschauten, im goldnen Feuer der Sonne , die Tannen, welche die schroffen Hänge und deren Fuß bekleideten, rauschten vom Morgenwinde; der Ruf der Vögel klang fern und nah, und immer heller wurde es in dem dunklen Kesselgrunde, wo das einsame Haus mit seinem geschlossenen Viereck von Gebäuden lag, das den verirrten Reiter aufgenommen hatte. Er schlief noch fest, die alte Frau hatte schon wiederholt und zuletzt mit unverhehltem Verdrusse nach seinem Fensterladen gespäht, der sich gar nicht öffnen wollte. Endlich konnte sie nicht länger warten, sie ging und weckte den Langschläfer.

„Junker Guido! Es ist schon sehr spät,“ sagte sie, indem sie das Fenster aufstieß, durch welches das volle Tageslicht hereinströmte.

„Ich bin munter. Ihr Bett ist famos, Frau Müller oder wie Sie heißen.“

„Wenn Sie noch zum Mittag zu Hause sein wollen, ist es die höchste Zeit. Ich bringe Ihnen hier eine Tasse Kaffee und werde unterdessen satteln.“

„Satteln?“ rief er lachend. „Verstehen Sie das auch? Gut dann! Bringen Sie Ihren Mocca, und satteln Sie, der Bote ist doch auch bestellt?“

Sie bejahte es.

Der junge Mann stand auf, sobald sie sich entfernt hatte, er fand allerdings den Kaffee von höchst verdächtigem Geschmack, hielt sich aber dafür an die vortreffliche Sahne. Während des Frühstücks trat er nochmals an das offene Fenster, dessen pittoreske Aussicht ihn schon vorher angezogen hatte. Es lag so, daß man das ganze Thal seiner Länge nach, bis zur nächsten Krümmung überschauen konnte. Der Charakter desselben war ein durchaus düsterer; schwarze Tannen bekleideten die steilen Wände, nur hier und da erhob sich eine Buche mit majestätischer Krone zwischen den spitzigen Nadelhäuptern und gab ihrer dunklen Monotonie eine lichte Unterbrechung. Die Bäume waren aufgewachsen, wo sie Erdreich gefunden, ihre Wurzeln ankerten tief im Felskerne, der an vielen Stellen in seltsam geformten Klippen vorsprang und hoch über dem Walde nackte, verwitterte Scheitel emporgetrieben hatte, auf denen wild über einander gehäuft, mächtige Trümmer lagen, vor Jahrtausenden vielleicht schon zusammengestürzt.

Guido hatte das Fenster geöffnet und sich hinausgebogen, um auch die nächste Umgebung des Hauses in Augenschein zu nehmen. Unten trat eben aus einer kleinen Pforte, welche nach dieser Seite hinausführte, die Frau. Er wollte ihr eine Bemerkung hinabrufen, aber die Rede stockte ihm bei den ersten Worten, denn zu ihm sah nicht das runzelvolle Gesicht der Alten emport, sondern ein blühendes, liebliches Mädchenantlitz, das einen erschrockenen Blick aus wunderschönen blauen Augen zu ihm empor warf und gleich darauf verschwand. Dem jungen Manne schoß ein warmer Strahl durch das Herz.

„Das ia ja ganz famos!“ rief er. „Hütet der alte Drache einen solchen Schatz? Deshalb wollte sie mich nicht aufnehmen, deshalb drängt sie mich fast bei nachtschlafender Zeit wieder in den Sattel. O nein, beste Dame! Ich bleibe hier! singt Cortez. Wenigstens so lange, bis ich die nähere Bekanntschaft dieser reizenden Thalblume gemacht habe. Es wäre ja empörend, wenn so viel Schönheit in der wilden Einsamkeit unbewundert blühen und verblühen sollte!“

Als die Alte kurz darauf ganz heitern Angesichts mit der Meldung erschien, daß Kittel, wie sie den Vollblutnamen entwürdigte, gesattelt sei, fragte Dießbach ohne Weiteres nach dem hübschen Mädchen, das er so eben gesehen.

Die kleinen grauen Augen der Alten, welche mit dem Ausdrucke jener überfließenden Zärtlichkeit, vor welcher ihm gestern die Rolandsknappen eingefallen waren, auf ihm geruht, verfinsterten sich flugs und nahmen ihren stechenden Blick wieder an. „Das ist meine Tochter,“ sagte die Alte, und es klang trotzig, als wolle sie fragen, was er sich darum zu kümmern habe.

„Ihre Tochter? Ihre eigene Tochter?“ rief er verwundert. „Ja, mein Herr Lieutenant, zu dienen: meine eigene Tochter.“

„Eine staunenswerthe Aehnlichkeit! Sie sind zu beneiden um ein so liebenswürdiges Kind, und umgekehrt auch, Ihr Töchterchen um eine solche Mama.“

„Wollen Sie nun reiten, Herr Lieutenant?“ entgegnete die Frau, und vor ihren Blicken, die wie feurige Schlangen aus den tiefliegenden, roth umränderten Augenhöhlen züngelten, überlief den jungen Helden unwillkürlich ein Grauen, das ihm den Humor erstickte. „Ihre Mama wird sich Sorgen machen um Sie.“

„O, die macht sich keine Sorgen. Wissen Sie, beste Madame Schulz, ich habe mich anders besonnen. Aus der Rinkenburg habe ich durchaus nichts zu versäumen, und diese Gebirgsparthie ist so wildromantisch, daß es eine wahre Sünde wäre, sie nicht näher kennen zu lernen.“

„Was zu sehen ist, haben Sie dort aus dem Fenster gesehen,“ versetzte die Alte mit finsterer Stirn.

„Ueberlassen Sie das mir, Sie dürfen meinetwillen keine Umstände machen, ich esse mit Ihnen und Ihrem Töchterchen.“

„Meine Tochter ist fortgegangen und kommt nicht wieder,“ sagte die Alte mit einem höhnischen Zucken der schmalen Lippen, das ihren scharfen weißen Eckzahn enthüllte.

„Zum Mittagessen doch?“ rief Guido.

„Heute und Morgen nicht, vielleicht in vielen Tagen nicht – wer weiß, ob überhaupt!“

„Und Sie sagen das mit einer Art von Freude, Sie Rabenmutter?“ rief Guido, von dieser Nachricht in seinem Drange nach der schöner Bergnatur merklich abgekühlt.

„Wollen der Herr Lieutenant nicht lieber nach Hause reiten? Ihr Kittel steht einmal fix und fertig und Ihre Frau Mama ängstigt sich doch – um Sie ganz gewiß!“

„Woher wissen Sie das?“ entgegnete Guido überrascht, denn es schien ihm eine Anspielung auf die Vorliebe zu sein, die er bei der Mutter vor dem ältern Bruder genoß.

„Ich denke mir’s so,“ erwiederte die Alte mit einer Rückkehr zur Freundlichkeit. „Sie sind das Nesthäkchen, das Jüngste.“

„Nun, ehrwürdige Rathgeberin, ich gehorche Ihnen. Haben Sie einen Boten für mich?“

„Er hält Ihr Pferd im Hofe.“

„Wenn Sie eine menschenfreundliche Gesinnung hätten, so würden Sie mir Ihr Töchterchen als Ariadne zur holden Führerin aus diesem Labyrinthe gegeben haben.“

Die Alte erwiederte nichts auf die leichtfertige Rede, sondern schritt voraus nach dem Hofe, wo Guido seine Kitty gesattelt und gezäumt, stehen sah, von einem kleinen Bauerbuben gehalten, dem ein breitschultriger Mann eine Pelzmütze auf den Kopf stülpte. Die Erscheinung desselben überraschte den jungen Offizier, er hatte die beiden Frauen, Mutter und Tochter, für die alleinigen Bewohnner dieses einsamen Hauses gehalten.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_526.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)