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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Lange vor der bestimmten Stunde ging er unruhig vor dem Hause Horace Vernet’s auf und nieder.

Endlich schlug die Stunde auf dem Thurm von Notre-Dame und Jean trat pochenden Herzens in das Haus, und auf Vernet’s Ruf in das Atelier.

Der Künstler saß in einem Hausrocke da und erwartete ihn. Auf einer Staffelei stand ein mit einem Tuche verdecktes Bild.

„Du bist glücklich, mein Freund,“ rief ihm Vernet entgegen und reichte ihm die Hand.

„Mein Gott, aber,“ rief er plötzlich aus, „Du bist ja so bleich, siehst so verstört aus. Was ist Dir denn, mein Freund?“

Jean zitterte wie Espenlaub im Winde.

„Ach, Herr Vernet,“ sagte er wehmüthig, und eine Thräne feuchtete seine Augenwinkel, „aus dem Malen des Bildes kann nichts werden – “

Vernet sah ihn erstaunt an. „Wie?“ rief er aus, „hast Du Deine Meinung geändert und willst Deiner lieben Mutter Dein Bild nicht senden oder trauest Du mir nicht zu, daß ich es ähnlich malen könnte und – hast Petetin Dich zugewendet?“

„Ach, keins von den Dreien, die Sie da genannt haben, trifft zu. Wie gerne würde ich meiner geliebten Mutter diese Freude machen, wenn – ich könnte. Und wem könnte ich mehr zutrauen als Ihnen, dessen Werke ich bewundere und mit mir alle Welt? Am Wenigsten aber könnte es mir einfallen, bei gesundem Verstande dem Tüncher Petetin den Vorzug vor Ihnen zu geben. Aber – “

„Nun, was ist denn dazwischen gefahren? Sie mal her, Jean; es ist ja schon zu spät, daß Du reuig wirst!“

Er nahm das Tuch von dem Bilde, das fast vollendet war. Die Gestalt Jean’s war fix und fertig, nur die Nebenwerke waren noch auszuführen.

Jean starrte einen Augenblick das Bild an, dann stieß er einen Schrei der Freude aus und reif: „Ach, mein Gott, das bin ich ja mit Leib und Seele!“ Diese Freude wandelte sich aber augenblicklich in Schrecken.

„Ach, Gott,“ rief er aus, „ich wollte es abbestellen, weil ich glaubte, es würde heute erst angefangen, und nun ist es schon fertig und so überaus schön und sprechend ähnlich!“

„Was fällt Dir denn aber ein?“ fragte Vernet, der aus dem Allem sich nicht herausfinden konnte.

Jean mußte jetzt sich aussprechen. Er erzählte Vernet die Unterredung mit seinem Herrn Kapitain; wie der von tausend Franken geredet und er schier ohnmächtig geworden sei. Er habe zwar dem Kapitain gesagt, daß er dem gütigen Herrn Vernet gesagt habe, seine ganze Baarschaft, sein ganzes Vermögen, bestehe in einem Frank und fünfundsiebzig Centimes; mehr habe er sich nicht ersparen können, weil er Alles, was er bei dem Kapitain verdiene und an Sold erhalten, der alten, darbenden Mutter sende; aber der habe ihn gründlich ausgelacht und gesagt, das sei Larifari, denn Herr Vernet male kein Bildniß unter tausend Franks, und Herr Vernet habe das gewiß nicht verstanden.

„Im Grunde,“ sprach, nachdem er gemüthlich lachend zugehört, Vernet zu Jean, „im Grunde hat Dein Kapitain Recht, und ich dachte, der Frank und die fünfundsiebzig Centimes seien auch nur eine Abschlagszahlung; aber ich wollte folgenden Accord mit Dir machen: die übrigen 998 Franks 25 Centimes blieben als unverzinsliche Schuld stehen, bis Du General geworden bist; dann wollte ich sie von Dir einfordern.“

Jean sah den Maler etwa so an, als komme ihm der Gedanke, es sei unter dem rothen Sammetbarette, welches er trug, nicht ganz sicher und geheuer – und schwieg bedenklich.

„Ist der Accord nicht Recht?“ fragte Vernet.

„Ach, Herr Vernet,“ rief Jean aus – „ich weiß wahrhaftig nicht, wie ich mit Ihnen daran bin!“

Vernet lachte laut auf. „Nun höre, gefällt Dir das Bild?“

„Ach, wie können Sie fragen? Ich bin entzückt davon!“

„So? – Nun, dann ist es Dein, und es bleibt bei dem Accorde. Da Du aber auf Urlaub geht und Dein Geld brauchst, so will ich jetzt auch die Abschlagszahlung nicht, und die ganze Summe von tausend Franks mag denn stehen bleiben, bis Du General bist.“

„Ach, Herr Vernet –“

„Es bleibt dabei, mein Freund,“ schloß Vernet. „Mach’ mir jetzt keine Einwände mehr. Bist Du einmal General, so sind Dir tausend Franks so viel, wie jetzt ein Centime oder wie eine taube Nuß; dann bin ich alt, kann nichts mehr verdienen, und die tausend Franks kommen mir dann recht zu Gute. Das Bild ist also Dein; aber, siehst Du, es ist noch nicht fertig, weil ich es in Oel gemalt habe, und nicht, wie Petetin die Seinigen in Wasserfarben. Das trocknet langsam und will überhaupt Zeit haben. Ich schicke Dir Das Bild in acht Tagen an Herrn Köchlin in Mühlhausen; da holst Du es ab und überraschest Deine liebe Mutter damit. Grüße sie herzlich von mir!“

Jean stand wie eine Bildsäule da. Alles kam ihm wie ein toller Spaß vor, den man mit ihm treibe; aber Vernet sah ihn so freundlich an: der Mann sah gar nicht aus wie ein Windbeutel – kurz, es waren Räthsel, die er nicht lösen konnte.

Vernet mochte seine Gedanken ahnen.

„Glaubst Du mir nicht?“ fragte er. „Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß das Alles wahr ist und kein Spaß, den ich etwa mit Dir treibe. Das ist meine Art nicht. Geh’ in Gottes Namen, grüße mir Deine Mutter. Das Bild aber holst Du in acht Tagen bei Herrn Köchlin in Mühlhausen ab.“

Jetzt traten Thränen in des ehrlichen Elsassers Augen und seine Lippe zitterte von innerer Bewegung.

„Herr Vernet,“ rief er aus, „wie soll ich Ihnen danken?“

„Sei immer ein guter Sohn, wie Du es bis jetzt warst, und dieser Dank soll mir der liebste sein; kommst Du aber einmal nach Paris, Du magst dann Chasseur oder General oder Weber sein, so vergiß nicht, daß Horace Vernet zu Deinen Freunden gehört.“

Jean küßte mit tiefem Gefühle die dargebotene Hand, und gelobte, das treu zu halten.

Wie er nach der Wohnung seines Kapitains kam, das wußte er selber nicht. Der Kapitain war ausgegangen. Jean packte sein Bündelein und wartete die Rückkehr des Kapitains ab, um sofort seine Reise anzutreten.

Endlich, nach langem, ungeduldigem Harren, kam er.

„Wie ist’s bei Vernet gegangen?“ fragte er lachend.

Da floß das Herz des guten Jungen vom Preise des Malers über. Er erzählte alles.

„Du kannst von Glück sagen!“ rief der Kapitain. „So etwas wäre hundert Andern sicherlich nicht passirt; denn das ist ja so gut, wie geschenkt, da, wie ich glaube, Du nicht auf Avancement erpicht bist, sondern auf Deinen Abschied, wo es dann mit dem Generalwerden sein Ende haben wird.“

„Da haben Sie Recht, mein theurer Kapitain,“ sagte Jean, und so etwas lag auch in den Worten und Mienen des trefflichen Mannes.

„Du wirst also, wie ich merke, Deine Urlaubsreise heute noch antreten wollen? Kann mir’s denken! Nun dann, glückliche Reise, mein braver, treuer Jean; leb’ wohl, und vergiß Deinen Kapitain nicht! Da,“ sagte er, „nimm das Deiner guten Mutter mit und pflege sie treu bis an’s Grab.“

Er drückte ihm zwei Fünffranks-Stücke in die Hand, und unter heißem Danke schied Jean von seinem guten Kapitain.

Erst vor der Barrière von Paris blieb er einmal stehen und dachte den Worten seines Kapitains nach, die fast so in seinem Ohre geklungen hatten, als nähme der auf immer Abschied von ihm, und als habe er den Abschied vom Militär in der Tasche und kehr zur Heimath zurück für immer. Jean schüttelte den Kopf: „Da komme der Kuckuck heraus!“ rief er im Selbstgespräche aus, denn in des Malers Worten lag auch so etwas Aehnliches. Er zog rasch den Urlaubspaß heraus, den ihm der Kapitain gegeben, und las ihn; aber der lautete einfach auf zwölf Tage Urlaub, und nichts weiter.

Die Hoffnung, die auf einen Augenblick ihre Fittige gehoben hatte, senkte sie wieder schnell und mit einem Seufzer, wie er so mancher Täuschung des Herzens folgt, sagte er zu sich: „Es ist doch wahr, daß man fast überall das heraus hört und sieht, was man im Herzen warm hegt! Beide Herren haben gewiß Das, was ich heraus hörte, in ihre Worte nicht legen wollen. Wer mich täuschte, das bin ich selber gewesen, wie so oft schon in meinem Leben. Vielleicht täusche ich mich auch mit Algerien? Nun, wie du willst, Herr, und nicht, wie ich will,“ sagte er betend und gen Himmel blickend. „Nur um das Eine flehe ich, laß mich mein Mütterlein gesund wiederfinden!“

In diesem Augenblicke trat die Sonne mit vollem Glanze hinter den Wolken hervor, und das schien dem frommen Gemüthe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_406.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)