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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

die nur dazu dienten, die schwellende Freude von mehr als 100,000 Menschen zusammenzuhalten, daß sie sich nicht in Seligkeit und Himmel auflöse. Die großen runden Geflechte mit den Schlingpflanzen hingen wie Kronenleuchter herunter, statt der Lichter mit seltsamen Blumen in ihren langen phantastischen grauen Armen. Draußen wurde der Durchbruch der Sonne durch ein allgemeines: „Präsentirt’s Gewehr!“ von Seiten der Damen gefeiert. So wie der erste Sonnenstrahl herabschoß, schossen unzählige Tausende von Sonnenschirmen in die Höhe und spannten sich auf zu dem buntscheckigsten Hut-Himmel. Man hörte das Knackern der Drähte inwendig bis in die weiteste, verschwimmende Ferne. Mehrere für ihre Teints zartfühlende Herren spannten sogar ihre Regenschirme auf.

Die Racen und Geschlechter der Blumen waren in einzelnen Regimentern und Bataillonen an grünen Kunsthügeln aufwärts aufgestellt, zwar in merkwürdiger Anarchie, wie sich das in England von selbst versteht, theils nach Klassen, theils nach Verhältniß ihrer Eigenthümer, aber das störte die unaussprechliche Schönheit und Großartigkeit des Schauspiels nicht. Jede Pflanze war ein Muster ihrer Art, ringsum mit vollentwickelten und knospenden Blumen, dicht bekleidet, so daß man sich am Meisten über die unbegreifliche Gärtnerkunst wundern muß, die es vermochte, solche Blüthenmassen gleichzeitig rings herum zu entwickeln. Jede Pflanze trug ein zusammenhängendes Festkleid, gewoben aus ihren eigenen Blumen, so daß sich Zweige, Stämme und Blätter oft ganz dahinter bargen. Einige wiegten sich hoch über der Menge zwischen den prismatischen Farbenspielen der rauschenden, riesigen Krystall-Fontaine und schienen mit den Vögeln zu kosen, die sich in diesen ewigen Frühling verirrt hatten und von Damen und Kindern mit dem größten Interesse überall hin verfolgt, größtentheils aber da gesucht wurden, wo sie nicht waren.

Besonders viele Freundinnen erwarb sich eine Amsel, die fortwährend überall in höchster Lust neckisch zu pfeifen schien und gleichzeitig überall gesehen und gehört ward, so übermüthig lustig schoß sie umher, um sich alles zu besehen und Loblieder zu extemporiren. Könnt’ ich diese Lieder der Amsel übersetzen, wär’ ich vielleicht im Stande, diesen Universal-Blumen-Congreß zu schildern. Als Mensch ohne Flügel vermag ich nur einzelne Wunder namhaft zu machen, vor allen die Azalias. Hier in einem glühenden Berge so roth, so feurig, daß man schwarze Flecke in die Augen bekam wie vom Sehen in das glühende Roth der untergehenden Sonne, dort in einem rosigen Weiß, so transparent und zart, wie das Fleisch auf einem jungen Busen, dort wie ein alter König, durchweg in Scharlach oder Purpur, dort blau, wie ein leuchtendes Auge treuer Liebe, oder weiß, wie Hauche lichter Lämmerwölkchen auf dem hellen, saftigen, grünen Grunde der Blätter. Es waren die Farbenspiele in blühendster Fülle, aber auch die Rundung und Größe und fleckenlose Gesundheit dieser Tausende von Azalien, die ein immerwährendes Feuer von Ausrufungen des Staunens und Entzückens unterhielten. Wie graciös und grandios thronten die vasenartigen Blüthen der Riesenlilie (Lilium Giganteum). Nie sah man ein reineres Weiß als in den Blüthenkelchen der Phalaeopsis grandiflora. Von Dendrobium hingen die Dolden wie glühende Trauben bei Tokay oder Madeira. Und die Erica-Versammlung? Perlenmeere wie Wachs, wie ächte Korallen, wie Pyramiden von blauen, rothen, violetten, gelben und mischfarbigen Perlen. Zitternd vor jedem Schritte hingen die rothen Blumenhauche von den Zweigen der Boronia. Eine Distel vom Cap der guten Hoffnung blühte wie Gläser voller „Kirsch mit feinem Pomeranzen.' Auf der Vinca rosea alba mit blos vier großen weißen Blättern saßen zwei Blüthen wie Schmetterlinge. Eine Ananas erhob sich zwischen ihren zweischneidigen Blättern, wie gezogenen Riesenschwertern, um sich vor der Menge der Anbeißungslustigen zu schützen, wie ein dichter goldener Stab. Ein Dendrobium Pierandii califolium war in Blüthen gekleidet, wie ein persischer Prinz, und doch erklärten einige Herren von Fach (erkenntlich an ihrem würdevollen Gange, ihrer festlichen Haltung und ihren Jägerröcken, aus denen sie stolz auf weiten, rauschenden Sammet und Meere von Seide und durchsichtige Sommerzeuge blickten), daß der Kopf ziemlich nackt aussähe. Wie muß denn ein Exemplar im vollen Ornate erscheinen?

– Und diese Geraniums, diese fleischigste aller blüthentreibenden Pflanzen! Eine Pyramide wie ein ungeheuerer Getreideschober, rundherum alles Blüthe in allen Farben, und jede Pflanze rund wie gedrechselt und rund herum mit Blüthen bedeckt. Hier traf uns eine Luftwelle voller Erdbeergeruch. O, Erdbeeren, Erdbeeren in dieser erschöpfenden, heißen Freude! Alle wurden wir von einem unsichtbaren Zauberstabe berührt. Alle Arten von Nasen erhoben sich und witterten, um dann die Spur zu verfolgen. Erdbeeren? Kinderköpfe waren’s, runde Runkelrüben, Kürbisse, wenigstens zum Theil größer als Gänseeier. O, wie sie sogen und schnüffelten, und die Kinder ihre runden, geringelten Händchen ausstreckten und, wenn sie weggepatscht wurden, sich erinnerten, daß sie früher Daumenlutscher gewesen und nun doch etwas in den Mund zu stecken fanden! Später traf eine Dame eine ihrer Freundinnen, die sehr kränklich aussah: „Meine Theure, hast Du die Erdbeeren gesehen? O geh, geh, es wird Dir unendlich gut thun!“ – So schön, so erquickend war das Aroma, daß die Dame im vollen Ernste an deren Heilkraft für ein krankes Herz glaubte. Blasse, kranke Gestalten, in eleganten Handwagen umhergefahren, verweilten hier länger, und ein sehr bleicher, abgezehrter Mann mit dem großen, unlängst von der Königin eigenhändig vertheilten Orden: „Balaklava,“ mit seinem noch einzigen Arme schwer auf einen Führer gelehnt, stand hier besonders lange und holte tief, tief Athem. Diese Erdbeeren waren gleichwohl der gottloseste, tantalisirendste Theil der Ausstellung, da keine ausgestreckte Hand es wagen durfte, diese duftigsten Wunder von Fruchtblüthen nur zu berühren.

Vom Erdbeer-Departement stürzten sich dann auch die Meisten mit wilder Gier unter das unabsehbare Gläsergeklirr Eis löffelnder Damen und hindurch bis in die Gegenden des berühmten Labster-Salates mit kaltem Geflügel, ich allein blieb ein freier Mann und aß aus – der Tasche und guckte dabei der goldgespickten Aristokratie stolz in die Physiognomien, wohl wissend, daß Niemand diesen Grad von Unabhängigkeit erreicht hatte, wie ich.

Plötzlich hieß es: the fountains! the fountains! die Fontainen! Das Eis- und Labstersalat- und Erdbeerdepartement – Alles ward plötzlich Einsamkeit. Ueber 100,000 Menschen im feinsten Staate gruppirten sich draußen auf dem grünen, grünen Sammet des Parkes um die Bassins, die heute zum ersten Male ihr Meisterstück machen sollten. Da standen sie in unabsehbaren Gruppen voller Sammet und Seide unter flatternden Schirmen und Schleiern zwischen den weißen Statuen unter den malerischen Bäumen von der großen, weiten, offenen Landschaft, offen bis zu der dreißig Meilen entfernten, noch sichtbaren Buchholz-Höhe. Still, still warteten Hunderttausende auf die erste Entfaltung von mehr als hundert Wasserstrahlen in den verschiedensten Spielarten, des großen Ehrenpunktes, ob Paxton nun zeigen werde, daß er die berühmten Wasserkünste von Versailles übertreffe. Das Zeichen ward gegeben. Die schließenden Hähne wurden von einer kleinen Armee von Dienern zugleich gedreht, es zischte, es prodelte und plätscherte, silberne, dicke Arme wuchsen auf und höher und höher Fuß für Fuß. Und nun rauschte und donnerte und sprühte und glänzte es plötzlich in allen Richtungen in den blauen Himmel und die regenbogenspielenden Sonnenstrahlen hinein, hundertarmig sich kreuzend und wieder kreuzend und seltsam stehende und doch stets flüssige und sich wandelnde Figuren bildend. Der Wind griff in die leichten Wasserfiguren hinein und sprühte sie bald in dieser, bald jener Richtung auf die zartesten Kleider und Hüte. Kreischend hoben die Damen Röcke und Regenschirme auf und stoben nach allen Seiten aus- und übereinander. Mit der ersten vollen Entfaltung der Wasserkünste setzten 60 Mann ihre glänzenden Blasinstrumente an und schmetterten, daß sie braun und blau wurden, und die Menge platzte vocal in ein freudiges Jubelgeschrei aus, ohne den kleinen, kurzen Mann zu bemerken, der immer noch seinen weißen Hut trägt und so recht seelenvergnügt schmunzelte, Sir Joseph Paxton, der Erfinder des Krystall-Palastes und der Wasserkünste, der jetzt einen 8 englische Meilen langen Krystall-Palast als Fahr- und Eisenbahnweg zwischen dem Ost- und Westende Londons bauen will.



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 331. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_331.jpg&oldid=- (Version vom 14.6.2023)