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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Aus einem der Fenster sah ein alter Holländer, der gemüthlich seine Thonpfeife rauchte.

„Termöhlen,“ rief Henriette, „hier bringe ich Euch den Gast!“

Der Holländer verschwand, um gleich darauf in der Thür zu erscheinen. Freundlich grüßend empfing er das Paar, und führte es denn die weißgescheuerte Treppe hinan. Eine musterhafte Ordnung herrschte auf dem bäuerlichen Vorsaale. Der Greis öffnete eine Thür, und man trat in ein Zimmer, das mit künstlichem Luxus ausgestattet war. Wäre die niedere Decke nicht gewesen, nichts hätte an ein holländisches Bauerhaus erinnert. Henriette öffnete ein Fenster. Es bot sich eine prachtvolle Aussicht über das Meere, dessen Ufer in kurzer Entfernung begann. Dann zog sie den Geliebten zu dem gegenüberliegenden Fenster, das sie öffnete. Ein reizender Garten breitete sich aus bis zu einem eleganten Landhause.

„Dort sind meine Zimmer!“ flüsterte Henriette lächelnd. „Wir können unbeobachtet eine Correspondence unterhalten. Sie sehen, daß ich bei der Wahl Ihrer Wohnung ein wenig eigennützig verfahren bin.“

„Henriette, wie soll ich Ihnen danken!“

„Dadurch, daß Sie Ihre Genesung beschleunigen, und – die Morgengabe Ihrer Frau nicht vergessen.“

Der Graf unterdrückte einen Seufzer, lächelte und küßte die Hand der Marquise, dieselbe Hand, die ihn so künstlich für das ganze Leben gefangen genommen hätte. Wäre sein Herz frei gewesen, er hätte sich glücklich preisen müssen. Denselben Tag noch bezog er das Haus Termöhlen’s, eines Schiffers, der einige Boote zur See hatte. Die folgende Zeit verfloß dem Grafen im Dienste der Marquise. Man sah Beide täglich in den Promenaden und pries das Glück des Grafen, der Erwählte der reichen und schönen Wittwe zu sein. George fand einige Zerstreuung in den Lustbarkeiten, die der belebte Badeort bot, und selbst Henriette, die sich bemühte, seine Melancholie zu verscheuchen, gewann in seinen Augen an Liebenswürdigkeit. Um diese Zeit näherte sich Lord Darnley der Marquise wieder, und wenn sie auch mit dem Takte der fein gebildeten Dame seine Aufmerksamkeiten empfing, so feierte George dennoch den Triumph, sich von dem englischen Krösus, der ihm vor kurzer Zeit noch mit dem Schuldgefängniß gedroht, beneidet zu sehen. Der Lord erinnerte ihn an Dermont, und Dermont mahnte ihn an die Pflicht, die er der Freundschaft zu erfüllen hatte. Trotzdem aber wich das Bild Amely’s nicht aus seiner Seele, und jemehr er sich Mühe gab, sie zu vergessen, jemehr mußte er um ihren Verlust trauern.

Der Monat Juni war verflossen. Da schrieb ihm Dermont von Brüssel aus, daß er seine angebetete Leserin fast täglich spreche und in seinen Bewerbungen glücklich zu sein glaube. Er wußte keine Worte zu finden, um dem Freunde seinen Dank und sein Glück auszusprechen. Amely schilderte er als einen Engel, der in menschlicher Gestalt zur Erde herabgestiegen sei. Dieser Brief erschwerte dem armen George die Bemühungen, seinen vorigen Gemüthszustand wieder herzustellen, so daß er nur eine geringe Genugthuung in den Zärtlichkeiten Henriette’s fand, die stets auf neue Zerstreuungen für ihren Geliebten sann. So hatte sie einst eine Spazierfahrt auf dem Meere veranstaltet. Vater Termöhlen rüstete ein leichtes Boot dazu aus, und er selbst übernahm die Führung desselben. In der Gesellschaft, die dazu eingeladen war, befand sich auch Lord Darnley. Gegen Abend bestieg man das elegant und bequem ausgerüstete Boot, und damit Nichts fehle, hatte der Holländer auch für Erfrischungen gesorgt, die seine Tochter den Gästen präsentirte. Margarethe befand sich im Hintertheile des Boots neben ihrem Vater, der das Steuerruder in der Hand hielt. Sie trug die Kleidung der reichen Holländerinnen: eine weiße Mütze mit Goldspangen, die sich eng den Schläfen anschmiegten, ein schwarzes Sammetmieder mit kleinen silbernen Knöpfen und ein Röckchen von blauem Thibet. Den niedlichen Fuß bekleideten schneeweiße Strümpfe und leichte Zeugschuhe.

Die Fahrt begann bei klarem, wolkenlosen Hímmel. Das Boot schaukelte wie ein Schwan auf dem ruhigen Meere. George und Henriette saßen auf einer Bank im Vordertheile, umgeben von der aus sechs Personen bestehenden Gesellschaft. Ein junger Franzose sang Barcarolen zur Guitarre, in deren Refrain die ganze Gesellschaft mit einstimmte. Die Natur begünstigte das Unternehmen, und eine heitere Laune hatte sich Aller bemächtigt, selbst von George war die Melancholie gewichen, und Henriette, die wie eine Königin strahlte, erfreute sich der zärtlichsten Aufmerksamkeiten ihres Geliebten.

„Ein reizendes Kind!“ flüsterte der Lord seinem Nachbar zu, indem er auf Margarethe deutete, die in einem großen Korbe die Speisen und Getränke ordnete.

„Man nennt sie die Perle von Scheveningen,“ war die Antwort; „ich habe sie bereits im vorigen Jahre gesehen. Vater Termöhlen ist stolz auf dieses Kleinod.“

„Eine pikante Holländerin!“ murmelte Darnley. „Schade, daß sie eine Bäuerin ist.“

„Ah, mein Freund, darauf ist sie stolz! Diese Holländer sind bizarre Menschen. Ich wette, daß dem Alten ein Edelmann nicht zu gut ist für sein Mädchen. Man erzählt, daß ein junger reicher Bauer sich das Leben genommen, weil ihn Margarethe verschmäht hat. Daß sie heute die Gäste bedient, ist eine Eitelkeit des Vaters der unsere Bewunderung provociren will. Bemerken Sie, wie wohlgefällig er sie betrachtet?“

„Mein Kind,“ rief der Lord, „reiche uns Erfrischungen!“

Margarethe warf einen Blick auf ihren Vater, als ob sie dessen Erlaubniß einholen wollte. Vater Termöhlen zog seine Uhr, betrachtete einen Augenblick das Zifferblatt und sagte dann: „Es ist Zeit, bediene die Gäste!“

„Und wenn es nach Eurer Uhr noch nicht an der Zeit wäre?“ fragte Darnley verwundert.

„Dann würden Sie noch ein wenig warten müssen!“ antwortete der Alte mit der größten Ruhe, und indem er dem Ruder einen leichten Stoß versetzte.

„Scheint es doch, als ob uns der gute Mann tyrannisiren will!“

„Die Schiffsordnung will es so, Mylord!“ sagte der Greis mit derselben Ruhe. Dann winkte er seiner Tochter, und Margarethe trat mit einem großen Präsentirteller heran.

Jetzt erst richtete sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf die niedliche Holländerin. Erröthend versah sie die Obliegenheiten des ihr zugetheilten Amtes. Zuerst bediente sie die Damen. Henriette vermochte kaum ihr Erstaunen zu unterdrücken, als sie ein Glas Eis von der lieblichen Dienerin empfing. Jetzt trat sie dem Grafen näher, und forderte ihn durch eine leichte Verneigung auf, von den Delikatessen zu wählen. Aber George verstand diese Aufforderung nicht, starren Blicks sah er das junge Mädchen an, er schien seine Umgebung darüber zu vergessen.

„Graf, was ist Ihnen?“ fragte Henriette, die vor Zorn am ganzen Körper zitterte. „Das Schwanken des Bootes greift Ihre Nerven an.“

George raffte sich gewaltsam zusammen. Bebend ergriff er einen Teller, der mit den Stücken des zerlegten Huhns gefüllt war. Die ganze Gesellschaft brach in ein lautes Lachen aus, als man sah, wie der zerstreute George sich des ganzen Geflügelvorrathes bemächtigte, anstatt mit der Gabel ein Stück davon zu nehmen.

„Die Seelust hat dem Grafen Appetit gemacht!“ rief Darnley höhnend, der diese Gelegenheit benutzte, um seinem lang gehegten Grolle Luft zu machen. „Die hübsche Bäuerin hat Vorrath. Ach, mein Kind, hierher, uns will es besser geziemen, über Dein schmuckes Gesicht zu staunen!“

Mit diesen Worten umschlang er die Taille Margarethe’s und zog sie, als ob er Rücksicht für die Marquise nähme, nach dem Hintertheile des Bootes zurück. George begriff, daß er eine große Unvorsichtigkeit begangen, indem er den Eindruck verrathen, den eine Aehnlichkeit Margarethe’s mit Amely hervorgebracht. Zornig über sich selbst, warf er den Teller in das Meer.

„George, was beginnen Sie?“ flüsterte ihm Henriette zu, die sich ihrer Situation schämte. „Sie machen sich zum Gegenstande des Gelächters.“

„Das hübsche Kind ist gefährlich!“ rief der Lord. „Aus Rücksicht für die Frau Marquise, setzt uns an das Land, Alter!“