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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

bezeichnete seinen Lauf, nichts desto weniger stürmte er aber fort der Thalebene zu. Ein Theil von uns folgte ihm natürlich wie hungrige Wölfe und nach ungefähr fünfzig Schritten fanden wir ihn verendet am Boden liegen.

Jauchzend gaben wir dies unsern Kameraden kund und fin­gen an, ihn triumphirend nach dem Lager zu ziehen, da traf uns plötzlich ein gellender Ruf und wilder Schrei von der Plattform aus, und wir hörten die Weiber kreischen. Schnell rannten wir zurück, um zu sehen, was es gäbe.

Da bot sich uns ein Anblick dar, der auch den Muthigsten erbeben machen konnte. Unsere Jäger, die Indianer und die Wei­ber rannten wild durcheinander, stießen halb wahnsinnige Schreie aus und zeigten nach oben, denn da standen am Rand der Klippe – entsetzlich – die furchtbaren Ungeheuer des Gebirges – die grauen Bären!

Es waren ihrer fünf, die wir sehen konnten, wie viele mochten noch dahinter sein. Fünf genügten, unsere ganze Gesellschaft zu zerreißen, eingeengt und matt vor Hunger wie wir waren.

Sie hatten den Büffel bis an die Klippe verfolgt, und auch sie hatte offenbar der Hunger getrieben. Zwei von ihnen krochen schon an dem Rande umher und suchten offenbar nah einer Stelle, wo sie hinabsteigen konnten. Die andern drei standen auf ihren Hinterbeinen aufrecht da und manövrirten mit ihren Vorderpfoten in furchtbar komischer menschenähnlicher Pantomime.

Uns war indessen gar nicht lächerlich zu Muthe, Jeder hatte zu seiner Waffe gegriffen, und wer vorher seine Büchse abgeschossen hatte, beeilte sich, sie zu laden.

„Um des Himmels willen, schießt noch nicht,“ rief Einer der Unseren, ein alter Trapper, aus, indem er die Büchse eines der Indianer zurückhielt.

Die Vorsicht kam aber schon zu spät. Ein halbes Dutzend Kugeln sausten schon in die Höhe. Diese brachten ganz die Wir­kung hervor, welche der Trapper fürchtete. Die Bären wurden durch die Kugeln in Wuth gesetzt, die sie zwar nicht gefährlich verletzten, aber doch durch ihr Fell drangen. Mit finsterem Ge­heul kletterten sie jetzt an den Klippen hinab. Jetzt stieg die Scene der Verwirrung zu ihrem Gipfelpunkt. Ein paar Feiglinge lie­fen davon, sich in dem Schnee zu verbergen. Andere kletterten auf die Fichten.

„Sorgt für die Frauen!“ rief der alte Trapper aus. „Ihr feigen spanischen Hunde, wenn Ihr nicht den Muth habt, als Männer zu kämpfen, so steht wenigstens den Weibern bei, zu de­nen Ihr gehört, Ihr Schufte!“

„Seht Ihr danach, Doctor,“ rief ich darauf dem Deutschen zu, da auch diesem wohl der Kampf erspart werden konnte, und er that es auch auf’s Beste, indem er mit ein paar Spaniern die Weiber zusammentrieb und nach der Stelle geleitete, wo wir den Büffel gelassen hatten.

Die erfahrenen Jäger unter uns wußten, daß Verstecken un­ter diesen Umständen das schlechteste Mittel gewesen wäre. Die wilden Thiere würden uns einzeln aufgesucht und zerrissen haben. Wir mußten ihnen entgegentreten und mit ihnen kämpfen, das war es, was sich Jeder sagte, und wir beschlossen, dies auch aus­zuführen.

Wir waren ungefähr zwölf mit den Delawaren und Sha­wanos. Wir fingen unser Feuer an, während die Bären hinab­stiegen, aber unsere Büchsen waren nicht alle in Ordnung, die Kälte hatte unsere Finger erstarrt und der Hunger uns in fiebe­rische Aufregung versetzt. So mochte es wohl kommen, daß kein Schuß eine tödtliche Wirkung übte, sondern die Thiere nur zu größerer Wuth stachelte. Es war ein furchtbarer Augenblick, als der letzte Schuß abgefeuert und die Zahl unserer Feinde noch die­selbe war.

Wir schleuderten unsere Büchsen von uns und griffen zu den Beilen, Tomahawks und Jagdmessern, und erwarteten schweigend unsere gräulichen Feinde.

Wir standen dicht an dem Felsen, und es war unsere Absicht, den ersten Schlag zu thun, sowie die Thiere rücklings die Klippe hinabkämen. Darin täuschten wir uns indessen. Als die Bären noch etwa zehn Schritt von der Plattform waren, stand der erste Bär still und schwankte, ob er hinab sollte als er unsere Stellung sah. Im nächsten Augenblick kamen aber seine Genossen wüthend vor Schmerz auf denselben Felsvorsprung hinabgetaumelt, und mit furchtbarem Geheul stürzten sie sich plötzlich in unsere Mitte.

Jetzt folgte der entsetzlichste Kampf, dem ich je beigewohnt habe. Das Rufen der Jäger, die noch wilder tönenden gellenden Schreie der Indianer, das heisere Brüllen der Bären, das Ab­prallen der Tomahawks von den Hirnschalen wie von Gestein, das dumpfe Bohren der Jagdmesser und ab und zu das Stöhnen, wenn die furchtbaren Klauen in die Muskeln der mit ihnen Rin­genden drangen – Gott, es war eine furchtbare Scene!

Baren und Menschen wälzten sich über die Plattform in wil­dem Kampf um Leben und Tod, und durch den Schnee rieselten kleine Ströme von Blut. Hier kämpften zwei oder drei gegen einen Feind, dort stand ein tapferer Jäger allein gegen ihn. Meh­rere lagen auf dem Boden umher, und jeden Augenblick verrin­gerten die Bären die Zahl ihrer Angreifer.

Ich wurde gleich im Beginn des Kampfes niedergeworfen. Als ich mich wieder aufraffte, sah ich die Bestie auf dem dahin­gestreckten Körper eines Menschen liegen. Es war Freund Godé, ein Franzose, ich nahte daher dem Bären und bohrte mein Messer in seine Rippen. Ich stieß, so gut ich konnte, fühlte aber dabei mein Schwäche. Da ließ der Bär den Franzmann los, kehrte sich um und stürzte auf mich los. Ich suchte seinem Anlauf zu ent­gehen, trat zurück und hielt ihm mein Messer entgegen. Mit einem Male lag ich aber im Schnee, fühlte den schweren Körper über mir, seine Klauen drangen in meine Schulter, der feuchte Athem des Thieres berührte mich, ich wehrte mich mit dem rechten Arm und wir rollten in dem Schnee umher.

Dieser blendete mich, ich fühlte, wie ich durch den Blutver­lust immer schwächer wurde, ich rief, aber wer konnte hier zehn Schritt weit hören, dann vernahm ich ein sonderbares Zischen, eine helle Flamme huschte vor meinen Augen vorbei, ich sah etwas wie eine Fackel und es roch wie nach gesengtem Haar. Dann hörte ich Stimmen zugleich mit dem Brüllen des Thieres, die Klauen wurden aus meinem Fleisch gezogen, das Gewicht von mir ge­nommen, ich konnte wieder athmen. Ich stand auf, rieb mir die Augen und sah umher. Ich erblickte Niemand. Ich war in einer tiefen Hohle, die durch unser Umherwälzen entstanden war, aber ich stand allein. Der Schnee war ringsum mit Blut gefärbt. Aber wo war mein furchtbarer Feind? Und wer hatte mich aus seiner tödtlichen Umarmung gerettet? Ich trat vor. Da sah ich eine neue wunderbare Scene. Ein fremd aussehender Mann rann über die Plattform mit einem großen Feuerbrand in der Hand, den er in der Luft schwenkte. Damit jagte er einen Bären, der vor Wuth und Schmerz brüllte und die Klippen zu erreichen suchte. Zwei waren schon halbweges hinauf, denen das Blut aus den Seiten troff. Der verfolgte Bär klomm ihnen nach, um seinem Verfolger zu entgehen, der ihm das Fell zu verbrennen suchte. Darauf machte sich dieser an einen vierten Bären, der mit zwei bis drei schwachen Gegnern stritt. Auch er wurde in einem Nu geblendet und folgte heulend seinen Genossen nach den Klippen.

Der fremde Mann sah sich nach dem fünften um. Er war verschwunden, Niedergestreckte, verwundete Männer lagen überall umher, aber der Bär war nirgend zu sehen. Er war offenbar durch den Schnee entflohen. Verwundert blickte ich den fremd aus­sehenden Mann an. Er sah Einem von uns gleich und doch war er es nicht. Er war ganz kahlköpfig, kein Härchen war auf sei­nem Kopf, der wie ein Spiegel glänzte. Man kann sich denken, wie erstaunt ich war, als plötzlich der alte Trapper aufsprang und ausrief:

„Herr Gott, Ihr seid das, Doctor! Drei Cheers für den Doctor.“

Jetzt erkannte auch ich ihn. Wahrhaftig, es war unser deut­scher Freund, den wir bis dahin alle nur mit braunem Haar ge­kannt hatten,

„Hier, Doctor, ist Euer Scalp,“ rief der Trapper aus, in­ dem er ihm seine Perrücke reichte, „aber Himmel Donnerwetter, Ihr habt uns alle gerettet. Kommt, ich muß Euch umarmen!“

Damit ergriff er den braven Deutschen und tanzte mit ihm in wilder Freude umher. Nach und nach erhoben sich nun auch die Anderen und fingen an aufzuthauen. Aber wo war der fünfte Bär? Diese Frage kehrte zunächst immer wieder.

„Da unten läuft er,“ rief eine Stimme, und gleich darauf sahen wir auch in der Ferne ein Thier sich heftig im Schnee bewegen.

Mehrere luden ihre Büchsen, um ihm zu folgen und ihn wo­ möglich zu erlegen; der Doctor bewaffnete sich mit einem frischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 302. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_302.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2023)