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verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

No. 20. 1855.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Verantwortl. Redakteur Ferdinand Stolle. Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 121/2 Ngr. zu beziehen.

Schlom Weißbart.
Ein Bild aus Litthauen.
Vom Verfasser der schwarzen Mare.
(Fortsetzung.)


Bis zum Jahre 1848 bestand in Preußen die Strafe der körperlichen Züchtigung. Gegen Personen des Soldatenstandes wurde sie mit dem Stocke, gegen „Civilisten“ mit der Peitsche vollstreckt, gegen Knaben und Weiber mit der „Ruthe,“ d. h. mit Haselstöcken. Das System der Centralisation hatte sich auch dieses Prügelsystems bemächtigt. Wie bis zum Jahre 1806 die Zöpfe der Soldaten strenge und genau gemessen wurden, damit keiner einen längern trage als der andere, so wurden in den zwanziger Jahren eine Menge von Verordnungen erlassen, um eine Einheit in das Prügelsystem zu bringen. Normalpeitschen wurden von Berlin aus in die Provinzen geschickt. Den Peitschen folgten „Prügelmaschinen,“ nicht Maschinen nach Art der Dresch- oder Nähmaschinen, die das Prügeln verrichten sollten, sondern Maschinen, auf welche die armen Sünder gelegt und festgeschnallt wurden, um so mit desto größerer Muße, freilich aber auch mit desto geringerer Gefahr für ihre Gesundheit, die Strafe an ihnen vollstrecken zu können. Bei Gelegenheit der ersten Veröffentlichung des Entwurfes eines neuen Strafgesetzbuches für die preußischen Staaten kam die Rechtfertigung der körperlichen Züchtigung vielfach in Frage. Ich erklärte schon damals (im Jahre 1843) in meiner Kritik des Entwurfes wörtlich: „Eine Strafe, durch welche das gebrochene Recht gesühnt werden könnte, ist die körperliche Züchtigung nach dem gegenwärtigen Standpunkte des allgemeinen Rechtsgefühles nicht mehr. Ein Besserungsmittel? - Auf der Züchtigungsmaschine mögen viele gute Vorsätze gefaßt sein. Aber es mag wohl wenige gute Vorsätze geben, die so schnell wieder vergessen wären. Sie verschwinden mit dem Aufhören des körperlichen Schmerzes.“

Durch den Erlaß vom 6. Mai 1848 wurde diese Strafe endlich aufgehoben. Die Junkerpartei und ihre Laufburschen wollen sie jetzt wieder einführen. Zur Feier der Wiedereinführung der Patrimonialgerichte und der Umkehr der Wissenschaft? –

Nach der Criminalordnung sollte der Vollstreckung der körperlichen Züchtigung der Inquirent selbst beiwohnen; er sollte aber auch das Recht haben, sie durch einen Actuar dirigiren zu lassen. Ich hatte von jeher zu vielen Abscheu vor dieser Strafe, um nicht, so oft ich es konnte, von jenem Rechte durch Substituirung eines zuverlässigen Actuars Gebrauch zu machen. So that ich auch jetzt. Ich hatte wohl daran gethan.

Die Execution war eine doppelt widerwärtige gewesen. Der Jude mit dem kräftigen Körperbau, dem fast edel geformten Gesichte, hatte mit der vollen Schwäche und Feigheit, die schon früher seine Furcht vor der Strafe angezeigt, dem körperlichen Schmerze erlegen. Dennoch nicht so ganz, daß mit diesem körperlichen Schmerze nicht noch auch der Seelenschmerz gerungen hätte. Mit dem Geschrei „Auwai, Auwai, ich halte es nicht aus, ich sterbe,“ - hatte sich der Ruf vermischt: „Mein armes Kind, meine Sara, mein Kind; ich komme zu dir, ich komme auf dein Grab, zu zerreißen meine Kleider, zu reißen mir aus die Haare, den Bart.“ Dann hatte er wieder Auwai geschrieen, und um jeden Hieb handeln wollen mit Rubeln und Dukaten, seine Frau habe Geld bei sich. Nach Beendigung der Exekution hatte er eine volle Stunde gewinselt wie ein gezüchtigtes Kind. Dann hatte er sich plötzlich gefaßt, und gebeten, daß man ihn jetzt transportiren möge.

Mit Drohungen, besonders gegen die Beamten der Kreisjustizcommission, war er abgefahren, Gott werde ja wohl so barmherzig sein, Einen derselben einmal in seine Hände fallen zu lassen.


Etwa ein Jahr war seitdem verflossen. Die weitläufige Untersuchung gegen die Bande, deren Mitglied Schlom Weißbart hatte sein sollen, war noch immer nicht beendigt. Sie war durch mancherlei neue Ermittelungen, und besonders durch Geständnisse einzelner Angeschuldigter, immer verwickelter und weitläufiger geworden. Ueber Schlom Weißbart war dabei nichts Näheres zum Vorschein gekommen. Wohl aber stellten sich vielfach neue Verbrechen und Grausamkeiten gegen den Juden Schlom Schwarzbart aus Russisch-Neustadt heraus, der danach als die eigentliche Seele und zugleich als eines der verwegensten Mitglieder der Bande erschien. Dafür, daß Schlom Schwarzbart und Schlom Weißbart eine und dieselbe Person seien, ermittelte sich dabei gar nichts. Für das Gegentheil sprach vielmehr der Umstand, daß eine neue Bande von Verbrechern durch Diebstähle und Räubereien die Grenze seit kurzem wieder beunruhigte, und dabei jener Schlom Schwarzbart wieder seine alte Rolle spielte, über Schlom Weißbart alle Zeugnisse sich dahin vereinigten, daß er seit seiner Rückkehr aus Preußen ein durchaus stilles und eingezogenes Leben führe und zu keinem Verdachte irgend eine Veranlassung gebe.

Gleichwohl konnte ich mich noch immer nicht ganz des Gedankens erwehren, daß jene beiden Verbrecher nur eine Person seien, daß der listige Schlom Weißbart, um desto sicherer unentdeckt zu bleiben, bei seinen Verbrechen die Maske des frechen Schlom

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verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1855, Seite 269. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_269.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)