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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Skizzen aus Ungarn.
Von Herbertka.
I.
Der Csikós.

Wenn man den ungarischen Bauer über sein Vaterland befragt, antwortet er nicht selten: „Ach, Ungarn ist viel zu groß, das läßt sich nicht beschreiben!“ – Er kennt kein anderes Land über die Marken seiner Heimath, oft nicht über die seines Comitats hinaus – er will kein anderes kennen – und er hat so Unrecht nicht – denn Ungarn ist ein schöner, glücklicher, gesegneter Erdstrich, er ist in Wahrheit die Kornkammer Oesterreichs, und von einem Volke bewohnt, das, stolz auf seine kampfreiche Geschichte, kriegslustig und in ungeschwächter Jugendkraft, durch die Jahrhunderte braust. Es sind noch dieselben Centauren, Roß und Mann eins, welche unter dem gefürchteten Namen der Hunnen, gleich Wetterschlägen, ganz Deutschland durchdrangen; dieselbe südasiatische Glut wohnt noch im Magyaren von heute, den aber die Civilisation, die allerdings eines Zeitraums von siebenzig Decennien bedurfte, auch zum guten Bürger, zum arbeitsamen Landmann bildete.

Der Csikós.

Die Hirten Ungarns, diese ächten Natursöhne, diese Muster einer unverfälschten Race, sind der eigentliche Typus des ungarischen Volkes. Ein schöner, kräftiger Menschenschlag, scheinen sie gefeit gegen jede Krankheit; die Urkraft, die in ihnen wohnt, trotzt der sengenden Glut der Sonnenstrahlen, wie den eisigen Herbstnebeln der Pußta, – dafür schauen sie aber auch das erste Morgenroth, und ihnen leuchten Mond und Sterne wohl am Längsten. Einfach wie ihr Kleid, ist ihre Nahrung. Sie kennen kaum eine andere, als Speck und Brot, so wie eine Hose und ein Hemd von grober Leinwand, darüber die Bunda geworfen, ihre ganze Verhüllung ausmachen. Sie kennen nichts in der Welt als die ihnen anvertrauten Thiere, sie lieben nichts als ihre Pferde, Schafe, Schweine oder Rinder, mit denen sie sich schon als kleine Jungen beschäftigten. Was unsern Kindern ein Spielzeug oder ein Bilderbuch, das ist dem siebenjährigen Hirtenbuben ein junges Schaf oder Fohlen.

Die Hirten bilden gewissermaßen eine Zunft. Es giebt Schafhirten, Rindvieh-, Schweine- und Roßhirten, die sich in ihrer Lebensweise streng von einander scheiden, und gewisse Gebräuche und Rechte usurpirt haben, von denen sie keinen Zoll breit weichen.

Sieht man auf einer Hochzeit, wo es immer drüber und drunter geht, einen recht ausgelassenen Burschen, der wie toll den Dudelsack bearbeitet, oder auf einer Flöte bläst und dazu mit dem Bund-Schuhe taktirt und wild den Kopf wirft, dessen Haare in lange Zöpfe geflochten, so kann man wetten, dies sei ein Schafhirt, der am Morgen des Tages auf seinem Esel zur Schenke kam, und die Huth seiner Heerde einstweilen dem großen zottigen Freunde, seinem Hunde, vertraute, dessen Glieder so stark sind, daß er selbst ein Schrecken für Wölfe ist. Außerdem bleibt der Schafhirt Tag und Nacht unter seinen Schafen. Auf seine Handaxt gestützt, mustert er Stunden lang die wollige Zucht, oder lehnt an seinem Esel, und schnitzt zum Zeitvertreib Holzlöffel oder strickt Strümpfe. Dabei darf die Pfeife nie ausgehen, so wie der Napf mit saurer Milch nicht leer werden, die im Sommer seine einzige Nahrung ausmacht.

Wenn man bedenkt, daß Ungarn mehr als 17 Millionen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_261.jpg&oldid=- (Version vom 15.5.2023)