Seite:Die Gartenlaube (1855) 251.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

oder minder an seinen alten Waldsang mahnt, wo ihm kein Drehorgler oder Pfeifer Lehrmeister sein konnte.

Was die Finken anbetrifft, so gilt von ihnen allen, ganz vorzüglich aber vom Buchfinken oder Edelfinken, daß sie, so gut wie die Handwerksburschen, die Studenten, die Mädchen und anderes frohes, sanglustiges Volk ihre Melodien haben. Heute singen die Finken eines und desselben Holzes noch ihr altes, eingeübtes Lied. Es ist der Gruß einer Verbindung, das Kennzeichen der Landsmannschaft, die Parole. Siehe da! Ein Sturm, ein Spatzenschießen oder sonst ein Ungefähr, vielleicht selbst ein schüchternes Finkenjüngferchen, hat auf ein Mal einen Fremdling gebracht; es ist ein stolzgebrüstetes, frisches Männchen. Das bringt eine andere Weise mit, Alles lauscht und prüft rings in den schweigenden Zweigen. Und hat er gefallen, der neue Sänger, bei seiner ersten Gastrolle, so singt jeder Finke in der Nachbarschaft nach wenigen Tagen eben so. Es ist bekannt, und jeder thüringer Bube weiß es, daß, so gut wie die Himmelslerche (unsere gemeine Leerche, A. arvensis) nur ihr erstes Morgen- und letztes Abendlied an der Erde oder im niedrigsten Strauche sitzend, singt, oder, so gut wie die große Schnarr- und die Ziemerdrossel (T. viscivorus und pilaris) hoch droben vom Wipfel herabjubelt, ebenso gut sich der Fink zu seinem klaren, bestimmten, kurzen und zuweilen schmetternden Liedchen am liebsten überhängende Aeste wählt. Frei will er singen, vom Blatte zwar, wie alle übrigen, aber auch in freister Stellung. Sie können mir’s glauben – fügte der Alte hinzu – der Fink ist der resoluteste, klügste Vogel; er hat seine Moden, seine Leidenschaften, seine Launen, seine Studirzeit und seine Sprache.

„Es ist wohl Euer Hauptvogel und Euer Liebling?“

„Warum nicht, Herr? O, es giebt auch gar Vieles dabei zu sinne, wenn’s ma sieht, auch’s Thierl hat sein G’satz und Rechte.“

„Ihr sagtet, Leidenschaften und Launen hätten Euere Finken?“

„Ja, und nicht blos meine, sonbern alle ringsum! Verstehends, der Fink ist gesellig, aber dennoch futterneidisch; er thut gar ehrbar schwätze und ist doch eifersüchtig auf die Andern. Sind g’rad wie die Stutzer, woll’n gefallen und rauf’n sich um’s Madel, wie die Bursche im Dorfe. Da binden wir einem Männel die Flügelspitzen aneinand’, stecken d’rüber, über dem Rücken, eine Leimruthe auf und lassen’s nun los, wo sich ein ander Männel singend aufschwingt. So wie’s das gewahr wird, stößt’s auf den Gefangenen herab und verklebt sich’s ganze Gefieber. Das ist’s Finkenstechen bei uns, und ein Lerchenstechen giebt’s außerdem noch, und d’rum haben Finken und Lerchen Leidenschaften. Und Launen hat der Fink auch, denn ein Mal liebt er mehr Nadel-, ein Mal mehr gemischtes Holz; einmal baut er mit Moos, Wurzeln, Halmen und Pferdehaaren und behangt sein Alles mit Baumranke (Flechten), daß dem Spitzbube Niemand sein Nestl auslugt und dann läßt er’s Gerank wieder weg, wo er’s g’rad recht haben könnte. Draußen thut er wie Zuckerplätzle gegen den Gatten und die Jungen und drinnen im Weidrich, mit den Jungen zugleich eingesperrt, will er Nichts von ihnen wisse, und aus Erbarmen muß man’s junge Geziefer allein aufziehe. Sieht das nicht aus wie Laune?“

„Und wissen’s denn, wenn Lern- und Studirzeit ist? Wenn’s arr err arr losgeht, im Frühjahr, im März, nach der Ankunft. Do sieht man’s doch, daß man frühe lerne muß, soll’s was werde. Und jed’s Frühjahr wird auf’s Neun einstudirt, so daß ich manchmal g’docht hab’, mag wohl ein ew’ges Lernen bebeuten solle; die Junge fange manchmal schon im Herbste noch zu stimme und zu dichte (das erste Singen) an; freilich thut’s sich noch nit kläre. Wenn’s dann no wird, klingt’s aber pink, pink, trink, trink ringshin; andere sagen fink oder jäck jäck und jüpp jüpp. Sprechens doch die Leut’ im deutschen Reich auch nit all’ Eins. A Voater redt anders mit seinen Kindern; der Fink a schnärrt und lespert zu seine Kleine „„rrüip,““ zum Weibel „„zir zirr.““ kommt’s ihn ängstlich an, ruft er laut „„rrüip pink pink““ und wenn’s regnen wird, sagt er’s a.“

„Sagen’s Euch denn nicht die Spechte und Wendehälse lauter?“

„0 ja! Aber ’n Fink sieht und hört man allweil und ’s schwüle Wetter schreit er an: „„Trifh, jrerrk, jeck,““ ’s kommt bald Dreck.“

„Wie viel Finken habt Ihr denn in Eurem Gewahrsam?“

„35 Stück Finken, aber 70 Vögel in Allem, Mancher gilt ’n Dreier, manchen möcht’ ich nit um Gold verfeilschen.“

Wir waren völlig befriedigt. Die Vogelhäuser mit ihrem munteren Leben, der gemüthlich plaudernde Alte mit seiner ächt thüringischen Mundart dazu. Alles hatte uns einen bleibenden Eindruck von einer thüringer Sängerakademie hinterlassen. – Ein abgerichteter Staar rief uns mit superklugem Schnabel noch ein Lebewohl nach.

Noch lange konnten wir nicht des Gezwitschers, der schreienden Serinette, der eigentümlichen, derben Sprache des Vogelstellers vergessen.

In keinem Lande der Welt lassen sich vielleicht Beobachtungen über die Singvögel leichter anstellen als hier, wo diese so gern zu Hause sind. Drum haben wir auch tüchtige Werke der Art, diesem Boden entsprossen. Drum hat auch die klassische Literatur der Deutschen dem thüringer Vogelsange ihre Verehrung gezollt, und Ernst Wagner in seinen Briefen aus Liebenstein gar die Finkenschläge in vier Kategorien gebracht, unter denen die Finken mit den Schlußformeln Paraduppia Gabir und dann Jajaja Sparbarapierpet und die mit dem Kunsttriller Rrrrrr Jiiiiiii Zeeeeer, die besten sein sollen.

In ganz Thüringen hat man vorzüglich drei Ortschaften als Hauptstapelplätze der Vogelzucht und des Vogelhandels anzusehen; nämlich Breitenbach im südlicheren Gebirgstheile, Tabarz, in der Mitte am Inselsberge und Waltershausen, jetzt der Wohnort des bekannten Dichters Ludwig Storch, welches so reizend an der Berglehne liegt und in dessen Nähe das berühmte Schnepfenthal aufblühte. Diese Ortschaften sind unsere rechten Sängerakademien; denn nicht nur in Dörfern, selbst in größeren Städten finden wir diese Vogelliebhaberei leidenschaftlich betrieben. Waltershausen und Breitenbach vertreten zugleich als äußerste Pole des Geschmacks zwei Lieblingsvögel aller Welt. Indeß nämlich in Breitenbach die berühmtesten Finkenzüchter von der Welt wohnen und man im ganzen Orte oft über 4200 Finken zieht, so hat Waltershausen einen bedeutenden Ruf, nicht blos durch seine guten Würste, sondern auch durch seine hochstudirten, froh und schwermüthig singenden Gimpel, so daß dort eigentlich der Gimpel kein „Gimpel“ mehr ist. Mancher einzelne Vogelzüchter hält über hundert Vögel. Dann ziehen die Breitenbacher fort vom Heimathshause, wie alle Gebirgsbewohner, die ihre Waaren hinab in’ s Thal tragen. Und so gut wie der Westerwälder seine Thonwaaren, der Schwarzwälder seine Uhren, der Erzgebirger seine Blechlöffel und Posamente feilbietet, so hockt Bruder Breitenbacher seine Vogelwelt in vielen kleinen Gebauern auf und zieht, ein Seitenstück zu dem Tyroler aus dem Imster-Thale, der mit den Canarienvögeln feilscht, weit fort auf die Märkte. Zieht er doch nicht allein; denn aus dem nachbarlichen Masserbach kommen die Hefenhändler und aus dem nahen Königsee die Salben-, Pommaden- und Fleckseifenhändler, diese lauten Straßencantoren auf unseren Märkte und Messen.

Man glaube aber nicht, die Vogelstellerei werde ausschließlich nur um der kleinen Sänger wegen betrieben. O nein! Man hegt und pflegt in Allem über achtzig Arten von Vögeln als Stubenvögel, welche zum Theil wegen ihrer Schönheit oder wegen des Gesanges ober aus beiden Gründen oder endlich auch wegen ihrer drolligen Geschicklichkeit und Geselligkeit gehalten werden. Zur ersteren Classe, zu denen, die mit schönem Gefieder den angenehmen Gesang vereinigen, gehört der Pirol, der gemischte Vorhölzer liebt, sein Nest so äußerst kunstvoll baut und es geschickt und fest mit Bast, Halmen und Merg an niedrige Zweige bindet. Er heißt Bülow wegen seines ähnlichen, heerlich flötenden Rufes zur Paarungszeit. Häufig und beliebt ist auch der Schniel oder Lohfink (Laubfink, Gimpel), den man in Geseltschaft seines seltneren Verwandten des „Girlitz“ (Karmingimpel, F. Erythrina) zuweilen vor den Fenstern hangen sieht. Ebenso wird der obengenannten Vorzüge halber der Bollenpäk oder Kernbeißer (F. coccothraustes) mit Schlingen, Netzfallen und Dohnen gefangen. Die Krinitze und Talbite (Kreuzschnäbel) sind ebenfalls durch Farben, feinen Gesang, aber auch durch drolliges, Papageien-ähnliches Gebahren zu Lieblingen geworben. Roth- und Blaukehlchen folgen; selbst Sperlinge (vorzüglich Feldsperlinge, F. campestr.) zieht man, und der wüste, nur wenig Liebliches sagennde „Rohrsperling“ nimmt dennoch Politur an, welcher Erfolg mir zuweilen als ein Meisterstück der Züchter zu gelten scheint. Zwuntsche oder Grünlinge (Fr. chloris), Bluth- und

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_251.jpg&oldid=- (Version vom 9.5.2023)