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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

Wilhelmine Schröder-Devrient und Beethoven.

weder Gluth noch Regenschauer vermochten seinen Schritt zu beschleunigen, keine Blume, keine Menschengestalt sein Auge zu fesseln, langsam, sicher und stolz schritt er daher, den Blick gesenkt, die Hände auf den Rücken gekreuzt. Graues Haar drängte sich um die prächtige gedankenschwere Stirn, er merkte es nicht, wenn der Frühlingswind es ihm neckend aufwirbelte oder in die Augen trieb. Niemand konnte an dieser Erscheinung achtlos vorüberstreifen, der Stempel des Außergewöhnlichen war ihm allzu frappirend aufgedrückt, die überwältigende Hoheit des Genies zog sich wie ein Nimbus um dies gebeugte Haupt. – Jedes Kind wußte aber auch: „das ist Ludwig van Beethoven, der so viele wunderschöne Musik gemacht hat,“ hörte auf zu spielen, hielt rasch die Kugel an, die dem Meister vor die Füße rollen wollte, klatschte auch nicht mit der Peitsche, und stieß schnell den Brummkreisel um, wenn der ernste Mann daher kam. Alt und Jung, Hoch und Niedrig trat bei Seite oder begnügte sich, ihn voll Ehrfurcht zu grüßen, ohne auf eine Erwiederung zu hoffen. Kohlenträger mit schwerer Bürde belastet, hielten geduldig still bis der wunderbare Träumer vorbei gegangen, Jeder, aber auch Jeder, ehrte ihn auf seine Weise.

Gerade damals zeigten freilich die Wiener ein erhöhtes Interesse an der finstern Erscheinung des Vielgepriesenen; Beethoven hatte nämlich vor einigen Monaten schon seine erste und einzige Oper, Leonore (später nannte er sie Fidelio) vollendet, weigerte sich aber hartnäckig, sie zur Aufführung bringen zu lassen. – Eigensinnig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_193.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)