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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

III.
Das Portefeuille.


Nach einer ziemlich schlaflos verbrachten Nacht verließ Albrecht sein Bett. Das Portefeuille Amaliens war der Gegenstand seiner ersten Aufmerksamkeit. Lange hielt er das zierliche Buch mit der feinen Stickerei in seiner Hand, und wäre nicht der Drang nach Aufklärung so mächtig in ihm gewesen, er würde die Indiscretion nicht begangen haben, es zu öffnen. Amalie von Paulowska waren die ersten Worte, die er fand, sie standen mit Gold gestickt auf schwarzem Grunde. Der Name deutete also eine Polin an. Außer einer österreichischen Banknote von hundert Gulden fand er noch eine Karte mit der Aufschrift, Alphons von Funcal. Er hatte nicht mehr erfahren als er schon wußte. Sorgfältiger als sonst machte er heute seine Toilette, und bald befand er sich in der Hauptallee, wo er sie unter der glänzenden Menge von Kurgästen zu finden hoffte. Aber weder Amalie noch Herr von Funcal war zu entdecken. Die Zeit der Morgenpromenade verstrich, die Alleen wurden leer, und Albrecht hatte nichts weiter erlangt als die beunruhigende Vermuthung, daß der fromme Liebhaber in seinen Bewerbungen glücklich gewesen sei. Um zehn Uhr stand er vor dem Hotel à la couronne. Er stieg die Treppe hinan und suchte das Zimmer Nr. 10. Auf sein Klopfen forderte eine Frauenstimme zum Eintreten auf. Der junge Mann öffnete, und – Amalie trat ihm entgegen. Wie bestürzt grüßte sie den Besuch. Albrecht war wie geblendet von der Schönheit der Dame, und verwirrt suchte er durch gewöhnliche Phrasen seinen Besuch zu entschuldigen, ohne des eigentlichen Grundes zu erwähnen.

„Sie finden mich in einer traurigen Verfassung, mein Herr!“ sagte sie mit ihrer weichen, kindlichen Stimme.

„Ist Ihnen ein Unglück begegnet?“ fragte Albrecht, indem er sich auf dem ihm gebotenen Stuhle niederließ.

Amalie nahm auf einem kleinen Sopha ihm gegenüber Platz.

„Ich möchte es in diesem Augenblicke so nennen, und Ihnen gegenüber ein doppeltes Unglück.“

„Wie, mir gegenüber?“

„Nach dem Verluste, den ich diese Nacht gehabt, kann ich leicht in den Verdacht gerathen, als wollte ich einen nichtigen Grund suchen für – –“

Sie stockte und eine tiefe Röthe überflammte ihr Gesicht.

„Einen Grund – wofür?“ fragte Albrecht, der kaum seiner Sinne noch mächtig war.

„Ich muß es Ihnen bekennen, mein Herr,“ sagte sie mit gewaltsamer Fassung, „denn Sie haben Ansprüche an mich, die ich befriedigen muß. Ja, es muß scheinen, als wollte ich einen Grund suchen für meine Zahlungsunfähigkeit!“

„Ist es das?“ fragte Albrecht mit einem schmerzlichen Lächeln. „Wie bedauere ich, mein Fräulein, daß ich als ein ungeduldiger, wohl gar misstrauischer Gläubiger erscheinen und Ihnen einige peinliche Augenblicke bereiten mußte.“

„Wenn auch das nicht,“ flüsterte sie beschämt. „Ich bin Ihnen fremd, Sie sahen mich am Spieltische –“

„Und ich preise den Zufall, der mir dies Glück verschaffte.“

Sie verneigte sich schweigend mit einer bewunderungswürdigen Grazie.

„Sie vindiciren mir durch Ihre Annahme das Recht einer Forderung,“ fuhr Albrecht fort.

„Und was fordern Sie?“

„Daß Sie mir offen mittheilen, was Ihnen den Aufenthalt im Bade trübt. Nur unter dieser Bedingung halte ich es für gestattet, länger zu verweilen; ich würde, wenn Sie mich als einen Gläubiger betrachten, nicht einen Augenblick mehr – –“

Amalie sah ihren Besuch mit treuherzigen Blicken an. Sie befand sich in diesem Augenblicke durch einen Zufall, der nur schönen Frauen widerfährt, in einer Verfassung, die alle ihre Reize in dem hellsten Lichte zeigte. Nicht die einfache, geschmackvolle Toilette, nicht die für eine junge Dame ungewöhnlichen Verhältnisse oder die besondere Schönheit ihrer Körperformen verliehen ihr ein zauberisches Interesse, sondern die Mischung von Treuherzigkeit, Ueberraschung und Verschämtheit, die sich in ihren Blicken und Zügen aussprach.

„Sie wollen es?“ flüsterte sie. „Ich vermisse mein Portefeuille. Nicht wahr,“ fügte sie lächelnd hinzu, „das ist eine so gewöhnliche Ausrede, daß man Anstand nimmt, sich ihrer zu bedienen, selbst wenn man in der That den Verlust erlitten hat. Ich kehrte gestern von einem Spaziergange zurück – mein Portefeuille mit dem Inhalte meiner ganzen Kasse war dahin, mir blieb nichts als meine Börse mit einigen Ducaten. Da giebt mir ein Dämon den Gedanken ein, mit der kleinen Summe mein Glück im Spiele zu versuchen, um so rasch als möglich den Verlust zu ersetzen – jetzt, mein Herr, werden Sie mein Erscheinen an dem grünen Tische zu nehmen wissen.“

Daß sie die Wahrheit gesagt, wußte Niemand besser als Albrecht, der Finder des Portefeuilles. „Was aber bleibt ihr von der kleinen Summe,“ fragte er sich, „wenn sie die Spielschuld, die ich ihr als ein Geschenk nicht anzubieten wage, getilgt hat? Eine Ausgleichung ist nicht zu umgehen, wenn ich ihr den Fund zurückerstatte.“

„Sie haben ein Taschenbuch verloren?“ fragte er.

„Ja, mein Herr!“

„Das trifft sich gut –“

„Wie?“

„Ich habe eins gefunden.“

Amalie zuckte leise zusammen.

„Es trägt den Namen Amalie von Paulowska in Gold auf schwarzem Grunde,“ sagte sie.

„Ich habe es nicht geöffnet, mein Fräulein, da ich fremdes Eigenthum ehre.“

„Es war in ein weißes Tuch geknüpft!“ rief sie rasch aus.

„Hier ist es!“

Albrecht überreichte beide Gegenstände. Sie dankte durch eine graziöse Verneigung. Dann öffnete sie das Taschenbuch und präsentirte ihm die Banknote.

„Meinen Antheil an dem Verluste!“ sagte sie lächelnd.

„Ich bedauere, daß ich ihn nicht annehmen kann!“ „Warum? Warum?“ fragte sie lebhaft.

„Weil es mir unmöglich ist, den Inhalt einer Börse zu ermitteln, den das unglückliche Spiel verschlungen hat – selbst nicht annähernd!“ fügte er hinzu.

„Mein Gott, was ist da zu thun? Ich kann doch nicht Ihre Schuldnerin bleiben –“

„Sie machen mich zu Ihrem Schuldner.“

„Wie wäre das möglich?“ fragte sie erstaunt,

„Indem Sie mir das Taschenbuch als ein Andenken an Spaa und an das kurze Glück unsers Kennenlernens verehren. Ich setze dabei voraus, daß es Ihnen selbst nicht etwa ein theueres Andenken ist.“

„Es ist meine eigene Arbeit – hier ist das Buch!“ Albrecht küßte die schöne Hand der reizenden Geberin und verbarg das Buch in seiner Brusttasche. Nun erzählte er, wo er es gefunden.

„Ich pflege an dem Marienbilde meine Andacht zu verrichten!“ flüsterte sie. „Gestern ward ich gestört, und meine eilige Entfernung trägt die Schuld an dem kleinen Unglücke“,

„Sie verschweigt die Anwesenheit des Herrn von Funcal,“ dachte Albrecht. „Und es ist ja natürlich, da sie nicht verbunden ist, mir ihre Herzensgeheimnisse zu offenbaren.“

(Fortsetzung folgt.)




Die Industrie-Ausstellung in Paris.

Ein Janustempel des Friedens will sich wieder öffnen, während der Krieg sich bemüht, ihn geschlossen zu halten und sein Licht unter den Scheffel zu stellen, damit Mars um so ausschließlicher blitzen und donnern könne. Die Industrie-Ausstellung in Paris ist nicht nur eine Lebensfrage für Paris, sondern auch für die ganze westliche Civilisation. Gelingt sie nicht, macht ganz Paris bankerott und Barricaden, sagen manche Leute. „Das Kaiserthum ist der Friede,“ hieß es früher. Jetzt sagt dieselbe Autorität[WS 1], d. h. der Kaiser der Franzosen:

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Antorität
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_180.jpg&oldid=- (Version vom 31.1.2021)