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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

„Hören Sie, Graf,“ rief sie ihm laut, als er noch kaum über die Schwelle ihres Zimmers getreten war, entgegen, „hören Sie, Graf, was für ein Scandal sich in meinem Hause ereignet hat.“

„Was giebt es denn?“ fragte der Eintretende von banger Ahnung ergriffen und bis unter die Schläfe erbleichend.

„Ueberzeugen Sie sich selbst,“ entgegnete die Gefragte hastig, indem sie ihm ein beschriebenes Stück Papier hinhielt.

Es überlesend, fand er folgende Worte:

„Theure, gnädige Frau! Wenn Sie zufällig, ehe ich das, was ich getan, redressiren kann, an Ihre Schatulle kommen und die Summe von tausend Thalern vermissen, so suchen Sie nach keinem Diebe. Die Entwenderin bin ich. Ich habe mir heimlich Ihren Secretärschlüssel zu verschaffen und das Geld unbemerkt zuzueignen gewußt. Es ist nur für wenige Tage, nach deren Verlauf ich es wieder richtig zurück erstatten werde. Im Fall der Entdeckung um Mitleid und Schonung bittend

Nathalie Bl…“ 

Graf Eduard flimmerte es vor den Augen; er las wieder und wieder und wußte nicht, was er denken sollte.

„Was sagen Sie zu dieser unverschämten Frechheit?" fuhr die Majorin heraus, als sie zu ihrem Erstaunen den Graf statt in Verwunderung und Schelten losbrechen zu hören, wie versteint vor sich stehen sah.

„Ich fasse es nicht,“ hauchte dieser mehr zu sich selbst als der Majorin gewendet, tonlos heraus, indem er gleich daraus hastig fragte: „Und was thaten Sie mit der Unglücklichen?“

„Sie ist bereits der Polizei übergeben und wird ihrem Richter nicht entgehen,“ lautete die Antwort.

„O, mein Gott!“ stöhnte Graf Eduard, „Sie hätten nicht gleich zum Aeußersten schreiten und die Sache doch erst selbst näher untersuchen sollen.“

„Ich habe es versucht,“ entgegnete die Majorin, „aber denken Sie sich, die Sünderin ist so verstockt, daß sie nicht einmal gestehen will, was sie mit dem Gelde angefangen. Sie sagt, keine Macht der Erde würde sie das bekennen machen.“

Graf Eduard von B… war dem Umsinken nahe. Sich nur mit Mühe zusammenraffend, erklärte er, mit Clotilde sprechen und dann die in’s Gefängniß Gebrachte selbst aufsuchen zu wollen.

„O, hätten Sie mich nur früher rufen lassen,“ sagte er beim Weggehen zur Majorin. „Hängt die Sache, wie mir ahnt zusammen, so würde das öffentliche Aufsehen durch meine Dazwischenkunft vermieden worden sein.“

„Aber ich will das gar nicht vermieden haben,“ erwiederte die Dame des Hauses heftig. „Sei die Entwendung aus einer Ursache, welche sie wolle, begangen worden, sie ist so unerhört frech, daß es ja himmelschreiend wäre, wenn sie nicht exemplarisch bestraft würde.“

Ohne hierauf etwas zu entgegnen, eilte Graf Eduard davon, vor Clotilden’s Zimmer. Hier aber ward er bedeutet, daß das gnädige Fräulein, an Kopfweh leidend, sich jeden Besuch verbeten habe.

„Gut, gut,“ sagte er zu sich selbst, die Treppe des Hauses hinuntersteigend, „nun weiß ich genug. Ihr Alle seid die Größe und den Edelmuth dieses Mädchens nicht werth! – Und ich selber leider auch nicht!“ fügte er mit tiefster innerer Beschämung hinzu.

Als er in das Stadtgefängniß kam und nach Fräulein Nathalie Bl… fragte, ward er in eine kleine dunkle Zelle geführt, in der er das heroische Mädchen weinend in die Ecke gekauert fand.

„Mein Gott, was haben Sie gethan?“ rief er schmerzlich aus, als der Gefangnenwärter sich entfernend, ihn mit der Unglücklichen allein ließ.

„Nichts, was ich um meinetwillen bereue,“ sagte sie sanft, indem sie sich erhob. „Mißverstehen Sie diese Thränen nicht, Herr Graf, sie fließen einzig im Hinblick auf den Schmerz, den meine arme Mutter und meine Geschwister bei der Nachricht des gegen mich eröffneten Prozesses empfinden werden.

„Er kann, er darf nicht statthaben dieser Prozeß,“ rief Graf Eduard, indem er Natalien’s schöne, kleine Hand ergreifend und an seine Lippen drückend, hinzufügte: „Ich fasse noch kam die Größe Ihrer That. Wie und wodurch sind Sie dazu veranlaßt worden?“

„Ich war zufällig und wider meinen Willen Zeuge Ihrer Unterredung mit dem gnädigen Fräulein,“ entgegnete Natalie einfach, ihre Hand aus der des Grafen ziehend. „Der bebende, schmerzlich drängende Ton, mit dem Sie flehten, bewegte mich. Die Bedenken Ihrer Braut gegen Ihren Vorschlag schienen mir ungegründet und grausam. So kam es, daß, als Sie kaum gegangen, ich das that, was Sie ihr vorgeschlagen, und was, wenn sie es verübt, eine edle Unternehmung hieße und nur bei mir zum Verbrechen gestempelt wird.“

„Genug, genug,“ sagte Graf Eduard; „noch einmal, das wird, das soll nicht sein. Ich werde Mittel finden, das Schlimmste zu verhüten. Bin ich doch allein der Schuldige.“

Hiermit Natalie Bl… verlassend und zu der Majorin von Gl…n zurückeilend, um ihr Alles zu gestehen, ward er unterwegs vom Postboten eingeholt, der ihm Brief und Wechsel von seinem Vater überbrachte. Der Letztere ihm vieles Lob über seine vermeinte Enthaltsamkeit vom Spiel sagend und Glück zu seiner bevorstehenden Verbindung wünschend, schickte ihm einstweilen sechstausend Thaler, davon die erste Einrichtung zu bestreiten.

Nicht ohne schmerzliche Beschämung über das unverdiente Lob, das großmüthig gespendete Geld zu sich steckend, stürmte er weiter.

Bei der Frau von Gl…n angelangt, begann er nun sogleich ihr eine Banknote von tausend Thalern zu überreichen, den ganzen Hergang der Katastrophe zu erzählen, sie aus tief bewegtem Herzen ersuchend, die Anklage gegen Fräulein Natalie Bl… zurückzunehmen und die ganze Sache der Vergessenheit zu übergeben.

Wider sein Vermuthen erhob sich die Majorin, nachdem er seine Erzählung beendet, ungerührt von ihrem Sitz, ihm die Banknote zuschiebend und dann mit eisiger Kälte ihm sagend:

„Das Alles geht nicht mich, sondern das Gericht an.“

„Sie werden barmherzig sein, gnädige Frau,“ rief Graf Eduard, und auch seinerseits sich erhebend: „Sie werden, wenn nicht den guten Namen eines edlen Mädchens, so doch die Ehre Ihres künftigen Schwiegersohnes schonen!“

„Ich schone Niemand, der strafbar ist,“ kam hierauf die kurze abweichende Antwort und sodann die Bemerkung hinterher, „daß Sie, Herr Graf, nach dem was vorgefallen, aufhören, der Verlobte Clotildes zu sein, versteht sich von selbst. Hier ist,“ fügte sie auf den Tisch deutend, hinzu, bereits ein Brief meiner Tochter, der Ihnen ihren Rücktritt motiviren wird.“

„Ihre Erklärung genügt,“ sagte Graf Eduard, indem er sich stolz verbeugend und ohne weiter ein Wort zu verlieren, das Zimmer und das Haus der Majorin für immer verließ. Er sah sie und ihre Tochter nur noch einmal vor dem Assisengericht wieder, vor welches Natalie schon in den nächsten Tagen gestellt wurde.

Der Anwalt der Majorin klagte Natalie ganz einfach der Entwendung von tausend Thalern an, ohne weiter von dem Gebrauch zu machen, was Graf Eduard[WS 1] B… diesem über die Beweggründe derselben mitgetheilt. Und Natalie Bl…, diese Discretion respectirend, gestand sogleich ihr Vergehen ein, ohne auch nur den mindesten Versuch einer Entschuldigung zu machen.

Da aber die zuhörende Menge sowohl wie die Geschwornen und der Präsident an dem sittigen und edlen Benehmen der schönen Angeklagten gar wohl erkannten, daß diese keine gemeine Diebin sein könnte, sondern ganz eigenthümliche und ohne Zweifel die That unter eine günstigere Beleuchtung stellende Motive haben mußte, so freute man sich allgemein und es war nicht mehr als billig, daß der Vorsitzende vor Abschluß der Verhandlungen Natalie Bl… fragte, zu welchem Zweck sie das Geld entwendet habe.

„Seien Sie aufrichtig, mein Kind,“ sagte der würdige Greis, „gestehen Sie Alles. Sie haben ein zu gutes Gesicht, zu offene, ehrliche Augen, als daß man annehmen könnte, Sie möchten den Raub in gemeiner Diebesabsicht zu sich genommen haben. Auch hat er sich weder bei Ihnen noch bei den Ihrigen vorgefunden. Sie müssen ihn also, wenn nicht verborgen, was Sie selbst ja geleugnet, entschieden zu diesem oder jenem Gebrauch verwendet haben. Geben Sie diesen an. Lassen Sie sich durch keine noch so heilige oder profane Rücksicht bestimmen, ihn zurück zu halten. Bedenken Sie, was von dem Ausspruch der Geschworenen abhängt. Es gilt Ihren Namen, Ihren Ruf, die Ehre und die Ruhe Ihrer Familie. Reden Sie, reden Sie, ehe es zu spät und ehe das Urtheil gefällt ist!“

Natalie Bl…, von der Eindringlichkeit und Milde dieser rührenden Anrede bewegt, hatte eine Weile, wie nach Hülfe suchend,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Edaard
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_154.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)