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Rear-Admiral Sir E. Lyons.




Kulturgeschichtliche Bilder.

5. Die Bevölkerungsverhältnisse.

Es giebt eine Wissenschaft, die auf den ersten Blick von ermüdender Trockenheit – denn sie hat es zum größern Theile mit Nichts als Zahlen zu thun – bei näherer Bekanntschaft dennoch nicht nur höchst wichtig in ihren Ergebnissen, sondern auch höchst interessant in ihren Forschungen und Aufstellungen ist. Diese Wissenschaft ist die Statistik, d. h. die in bestimmten Zahlengrößen ausgedrückte Kenntniß und Abschätzung der Resultate und der Fortschritte menschlicher Kultur – der geistigen sowohl als der materiellen. Die Statistik ist für die Kulturgeschichte, für die Staatswissenschaft, für die Regierungspolitik eben Das, was für die Naturforschung die Mathematik. Wie die Naturwissenschaften erst seit der Zeit einen allgemeinen Aufschwung und eine festere Grundlage gewannen, als man anfing die Ergebnisse ihrer Beobachtungen und ihrer Experimente mit Hülfe der mathematischen Analysis auf bestimmte Formeln und genau zu berechnende Größenverhältnisse zurückzuführen, ganz ebenso datirt der Aufschwung und die größere Sicherheit unserer Staatswissenschaften, ganz besonders unserer Staats- und Völkerwirthschaftslehre, von der richtigeren Erkenntniß und der sorgsamern Pflege der Statistik. „Zahlen beweisen“ – das ist eine unleugbare Wahrheit, wenn man sie nur recht versteht. Die Zahlen allein freilich, als todte Ziffern, haben weder eine beweisende, noch eine überzeugende Kraft; allein die Thatsachen, die geschichtlichen Wahrheiten sind es, die durch Zahlen zu uns sprechen, eine Gewalt auf uns ausüben, größer als die des glänzendsten Räsonnements. Wenn der Communist sich in philantropischen Klagen ergeht über das in furchtbarer Progression zunehmende Menschenelend und die immer verzweifelter werdenden Zustände der arbeitenden Klassen, wenn er wegen dieser angeblichen Verschlimmerung der socialen Verhältnisse den Kulturfortschritt, die gesteigerte Erwerbsthätigkeit anklagt und von einer noch weitern Entwickelung der letzten, den völligen Ruin der Gesellschaft prophezeiht, so wird Mancher, trotz allen Zweifeln, die er im Stillen gegen die Richtigkeit dieser Behauptungen hegt, dennoch in Verlegenheit sein, wie er dieselben siegreich widerlegen könne, bis die Statistik ihm zu Hülfe kommt – wodurch? Durch ein kleines Häuflein Zahlen, welche die Thatsache feststellen, daß die Massenarmuth in der Gegenwart geringer ist, als sie früher war, daß der Arbeiter von heut sich durchschnittlich besser befindet, als sein Schicksalsgenosse von ehemals, u. s. w.

Wenn die „Hasser“ der Gegenwart, und die Lobredner der „guten alten Zeit“ behaupten, der Bauer habe sich bei dem ehemaligen „patriarchalischen“ Verhältniß zu seiner Grundherrschaft besser gestanden, als jetzt in seinem freien Zustande, so ist die Statistik da, um das Gegentheil zu beweisen, indem sie uns ganz einfach mit Zahlen vorrechnet, in welchem Maße der Werth der Bauergüter, die Beschaffenheit der Wohnungen, der Lebensweise, der geistigen Bildung, der ökonomischen Tüchtigkeit des Bauernstandes sich gehoben habe, seitdem der Bauer sein eigener Herr ist, über sein Besitzthum und seine Person frei verfügen kann und die Früchte seines Fleißes nicht mehr mit einem Andern zu theilen hat. Wenn der einseitige Autoritätsanbeter uns von den Vorzügen solcher Bevölkerungen schwatzt, welche sich durch unbedingte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_633.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)