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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

wir nicht untersuchen, genug, Santini stahl junge Schweine und wilde Schafe, welche der ostindischen Compagnie angehörten, oder kletterte auf den steilsten Felsen umher, um Tauben zu schießen, die da in Menge nisteten. Seine Beute brachte er stets heimlich in die Küche, und der Kaiser wußte lange nichts davon; um so trauriger war er, wenn er ganze Tage lang in den Felsen umhergeklettert war, und ohne Beute zurückkehren mußte. Seine Trauer sollte aber bald tiefer greifen, denn Sir Hudson Lowe erschien als Gouverneur der Insel.

Auf den Jagdausflügen schloß sich unserm Santini nach einiger Zeit ein englischer Offizier an. Sie wurden ziemlich befreundet mit einander und endlich machte der Offizier Santini den Antrag, er möge, für schweres Geld natürlich, dem Gouverneur täglich einen ganz genauen Bericht über Alles, was Napoleon thue, zukommen lassen.

Wie Santini den Antrag aufnahm, brauchen wir nicht zu erwähnen. Er hatte zwar geschworen, die Sache geheim zu halten, aber denselben Tag noch mußte er zum zweitenmale dem Zorn seines Kaisers gegenüberstehen und da sprach er von dem was geschehen.

Der General Gourgaud hatte einen Engländer in Dienst genommen und die Franzosen wollten mit diesem nicht essen. Santini kam an jenem Tage mit verbissenem Grimm zu einem solchen Zanke und er spielte bald die Hauptrolle dabei. Es kam zu großem Lärm; Napoleon hörte ihn und erfuhr, daß Santini der Schuldige sei. Er ließ ihn rufen und redete ihn unter Zornesblicken an: „Du stellst Dich, als seist Du mir ganz ergeben und fängst Unfug an. Ein Soldat! Solltest ein gutes Beispiel geben … Wäre ich noch auf der Insel Elba, ich würde Dich auf der Stelle erschießen lassen … Ich kenne Dich nicht mehr … Geh!“

„Sire,“ antwortete Santini, gebeugt unter diesem Unwillen und indem er auf Pistolen zeigte, die auf dem Tische lagen, „da liegen Ihre Pistolen; Sie sind für mich noch immer der Kaiser; befehlen Sie, daß man mir eine Kugel durch den Kopf jage; ich bin bereit, niederzuknien, denn tausend Mal lieber den Tod als Ihren Zorn!“

„Was hast Du gegen den Diener Gourgaud’s?“

„Ich will lieber sterben, als neben einem Spion sitzen. Alle Engländer, die sich an uns schleichen, sind Spione oder wollen uns zum Spioniren verführen.“

Und er erzählte, was ihm mit dem Offizier begegnet war.

Napoleon wurde nachdenklich, beruhigte sich allmälig und verzieh seinem Getreuen, der nun mit um so größerm Eifer seine Jagd auf die Schweine, die Ziegen, die Schafe und die Tauben fortsetzte.

Er ging noch weiter.

Er sah, daß der Anzug Napoleon’s schlechter und schäbiger wurde. Das griff dem enthusiastischen Verehrer seines Kaisers an’s Herz und trieb ihn an, Schneider zu werden. Er zerschnitt einen alten grauen Rock Napoleon’s und machte ihm einen Frack daraus. Er wurde Schuhmacher und verfertigte dem Kaiser aus alten Stiefeln ein Paar Schuhe mit Schnallen, die er mit weißem Atlas fütterte, welchen er sich von den Damen Bertrand und Montholon geben ließ.[1]

Santini endlich war es, welcher von Napoleon den Auftrag erhielt, weil es ihm an Geld fehlte, sein Silbergeschirr zu zerschlagen und zu verkaufen. „Meine Adler aber,“ setzte er hinzu, „sollen nicht mit auf den Markt wandern. Auch meinen Namenszug vertilge. In ganz kleine Stücke zerschlage es, damit man nichts erkennen kann.“

Alles dies nagte an Santini; er wurde schweigsam, mürrisch, wanderte einsam umher, ließ sich oft Tage lang nicht sehen und als Hudson Lowe verlangte, daß Jeder, der bei Napoleon bleiben wolle, sich schriftlich erklären müsse, er unterwerfe sich allen Anordnungen des Gouverneurs, wunderten sich Alle, daß Santini erklärte, er werde dies nicht unterschreiben.

Einige Tage vorher hatte er seinen Kaiser um eine Audienz gebeten und ihm gesagt: er sei entschlossen, ihn zu verlassen, weil er ihm in Europa besser zu dienen hoffe. „So klein ich bin,“ sagte er, „werde ich doch, da ich bei Ihnen war, die Aufmerksamkeit erregen und diese dann für Sie benützen; ich werde sagen, wie es hier zugeht und in den Zeitungen bekannt machen, was man Sie leiden läßt; ich werde den Unwillen Aller erregen und das englische Cabinet wird Ihnen endlich gewähren müssen, was Ihnen gebührt.“

„Dein Plan ist gut,“ antwortete der Kaiser. „Komm morgen wieder; ich habe mit Dir darüber zu sprechen.“

Als er am nächsten Tage wieder zu Napoleon kam, stand dieser am Kamin und hielt eine Papierrolle in der Hand.

„Da,“ sagte er; „beweise mir, daß Du lesen kannst; lies.“

Santini las einige Zeilen.

„Wie lange wirst Du brauchen, um das Alles auswendig zu lernen?“

„Zwei Tage.“

„So nimm das Papier und lerne auswendig was darauf steht.“

Es war die Protestation Napoleon’s, die er Montholon dictirt, an Hudson Lowe übergeben und an Lord Bathurst übersandt hatte, der sie allen Regierungen mittheilte, die aber alle schwiegen.

Bereits nach vierundzwanzig Stunden meldete sich Santini wieder und erklärte, die Aufgabe sei gelöset, er könne Alles auswendig.

„Behalte jedes Wort davon,“ sagte Napoleon, „und wenn Du nach London kommst, laß es drucken. Du wirst Leute finden, die Dir behülflich sind. Dann gehst Du zu allen Mitgliedern meiner Familie und erzählst wie es hier ist etc.“

„Es ist mir noch etwas eingefallen,“ entgegnete Santini, indem er etwas von dem weißen Atlasse, den er übrig behalten hatte, aus der Tasche zog. „Wäre es nicht gut, wenn die Protestation ganz auf die Seide geschrieben würde, damit ich sie unter das Futter meines Rockes nähen und im Nothfalle Worte, die ich doch vergessen dürfte, wieder finden könnte?“

„Dein Einfall ist gut,“ antwortete Napoleon; „gieb her die Seide; ich werde die Protestation darauf schreiben lassen.“

Las Cases schrieb sie in ganz kleinen Buchstaben mit Tusche auf die Seidenstreifen, Santini nähete sie unter sein Rockfutter und am 19. Oct. 1816, ein Jahr nach der Ankunft auf Helena, segelte er nach der Capstadt. Dort wurde er in die Citadelle gesperrt und durfte mit Niemandem verkehren. Nach fünfzig Tagen brachte man ihn auf ein anderes Schiff, das am 16. December wieder an St. Helena beilegte und erst nach fünf Tagen weiter fuhr. Santini durfte nicht an das Land gehen.

Im Februar des nächsten Jahres kam er in England an und sogleich begab er sich nach London. Es würde viel zu weitläufig werden, wollten wir Alles erzählen, was er thun und vermeiden mußte, um seinen Zweck zu erreichen. Mit Hülfe Sir Robert Wilson’s und Lord Holland’s konnte er die Protestation Napoleon’s und eine Brochüre über dessen Aufenthalt auf Helena drucken lassen, welche das ungeheuerste Aufsehen machten, eine der stürmischesten Sitzungen des Unterhauses und die Absendung einer Commission nach St. Helena veranlaßten, die Vieles in der Stellung Napoleon’s verbesserte.

Nach einem dreimonatlichen Aufenthalte in London verließ Santini England, um trotz der aufmerksamen Polizei die Glieder der Napoleonischen Familie aufzusuchen. Er gelangte glücklich nach Karlsruhe, wo er von der edeln Stephanie Geld erhielt, an dem es ihm ganz fehlte. Von da ging er nach München und hatte eine Audienz bei dem Prinzen Eugen.

Am nächsten Tage sollte er mit demselben noch einmal sprechen, aber als er in den Palast trat, wurde er verhaftet, in einen Wagen gesetzt und unter Bedeckung nach Ulm gebracht. Hier gab man ihm seine Freiheit zwar, erklärte ihm aber, wenn er Baiern wieder beträte, werde man ihn an die französischen Behörden ausliefern.

Santini besann sich nicht lange. So wenig Geld er hatte, unternahm er es doch nach Rom zu wandern, am Comer-See jedoch wurde er wiederum angehalten, festgenommen und in ein Gefängniß nach Mailand, nach fünf Tagen aber in die Citadelle zu Mantua gebracht. Er galt für einen höchst gefährlichen Menschen: war er doch bei dem Gefangenen auf St. Helena gewesen, der ihm gewiß aufgetragen hatte, die – Welt aufzuwiegeln. Die Polizei gab sich alle erdenkliche Mühe ihn zum Gestehen zu bringen und benutzte endlich selbst ein hübsches Mädchen, das täglich in das Gefängniß Santini’s kam, scheinbar um da aufzuräumen,


  1. Santini lebt heute noch und das Obige, das Vielen vielleicht unglaublich erscheint, erklärt er laut und öffentlich.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 626. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_626.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)