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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

die ganze Stadt. Kassel und Darmstadt, zwei fürstliche Residenzen, hatten noch in den 60. und 70. Jahren des vorigen Jahrhunderts eine nur sehr unvollkommene und auf wenige Theile der Stadt beschränkte Straßenbeleuchtung. In Italien waren noch um 1780 nur wenige, selbst der größten Städte beleuchtet: Rom nicht, Neapel nicht, wohl aber Venedig. Ein Reisender, der im Jahre 1771 Sicilien und Griechenland besuchte, fand nur in Palermo eine regelmäßige Straßenbeleuchtung. Auch Lissabon entbehrte dieses Vorzugs bis in die 80. Jahre, während Madrid, obschon übrigens vernachlässigt und unsauber, doch an Glanz seiner Beleuchtung damals mit London wetteiferte.

Natürlich waren die technischen Mittel dieser Beleuchtung damals noch sehr unvollkommen und wir dürfen uns daher auch von den angeblich besterleuchteten Städten in jener Zeit nicht entfernt ein ähnliches Bild machen, wie das ist, welches heutzutage die im Glanze vieler Tausende von Gasflammen strahlenden Plätze und Straßen unserer großen und sogar vieler Mittelstädte gewähren. Noch eine Bequemlichkeit – auf die wir heutzutage, wo sie allgemein ist, kaum mehr achten, die wir aber, wenn sie uns plötzlich wieder entzogen werden sollte, schmerzlich vermissen würden, fehlte in den meisten Städten noch vor etwa 100, in vielen und selbst bedeutenden noch vor 70 – 80 Jahren – die Nummern an den Häusern zur Orientirung beim Aufsuchen eines bestimmten Hauses. Von London erzählt Macaulay, daß man dort statt der Nummern (die doch von geringem Nutzen gewesen sein würden, weil die Kutscher, Sänftenträger und Laufburschen damals nur selten lesen konnten) an den Häusern und Läden allerhand groteske Bilder angebracht habe, an denen die Vorübergehenden dieselben unterschieden. Auf ähnliche Weise mögen auch bei uns die vielen Bezeichnungen solcher Art entstanden sein, die sich namentlich in den Städten finden, wo ein zahlreicher Verkehr von Fremden auch in den Privathäusern, theils um da zu wohnen, theils um Handel zu treiben, statt fand, wie z. B. Leipzig.

Stellen wir uns einen Fremden vor, der im vorigen Jahrhundert am Abend in einer Stadt ankommend, ausgeht, um einen Bekannten oder Geschäftsfreund aufzusuchen, und nun – im besten Falle – bei dem zweifelhaften, mehr blendenden als erhellenden Lichte einiger, weit von einander entfernter, über der Mitte der Straße sich hin- und herwiegender Laternen, bald über das holprichte Pflaster hinstolpert, bald durch bodenlosen Morast und nicht zu umgehende Pfützen waten muß, oder, wenn er sich längs der Häuser halten will, jeden Augenblick in Gefahr steht, über einen der dort aufgethürmten Schmutzhaufen zu fallen, an irgend einen Vorbau, der ungenirt in den Weg vorspringt, sich zu stoßen, von allerhand, rücksichtslos aus den Häusern gegossenen Unreinigkeiten überströmt, auch wohl, wenn es gerade regnet, von einem der Löwen- oder Delphinköpfe, welche das Wasser der Dachrinnen in weitem Bogen auf die Straße ergießen, durchnäßt zu werden – dazu endlich die Schwierigkeit, die gesuchte Wohnung, welche keine Nummer, vielleicht kaum den angeschriebenen Straßennamen andeutet, in solchem Halbdunkel zu finden – und wir werden gestehen müssen, daß die Bequemlichkeit, die Leichtigkeit, der Comfort des Lebens und des Verkehrs in dieser Beziehung auf erfreuliche Weise zugenommen hat!




Fürst Sergiewitsch Mentschikoff.[1]

Kaum hatte Fürst Leiningen im Februar 1853 die Forderungen Oesterreichs bei der hohen Pforte durchgesetzt, und zu großer Genugthuung der geängstigten Gemüther Constantinopel unter dem Donner der Geschütze von Topana verlassen, als die durch das Resultat der Unterhandlungen wenig befriedigte Partei der griechischen Hetäristen sofort Alles in neue Spannung versetzte durch das ausgesprengte Gerücht, daß in wenig Tagen ein Gesandter des Kaisers Nikolaus mit noch ganz andern Forderungen eintreffen würde. Nur die Griechen schienen, das durfte man aus der gesteigerten Arroganz ihres Auftretens schließen, etwas Bestimmtes von der Sache zu wissen; der übrige Theil der Bevölkerung war über das „wann“ und „warum“ gleich sehr im Dunkeln, und selbst die Diplomatie mußte diese Ungewißheit theilen, da Herr von Lavalette, der die Frage der heiligen Orte eingefädelt hatte, erst in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar plötzlich einpacken ließ und vor Tagesanbruch mit einem französischen Dampfer das Feld räumte.

Es war ein heiterer Morgen, als ich durch Zufall in die Nähe des russischen Gesandtschaftshotels kam, vor dem sich schon seit einigen Stunden die Massen gesammelt hatten, die bis zum Mittage durch die immer zahlreicher herbeiströmenden Griechen zu einer undurchdringlichen Phalanx von orthodoxen Fanatikern heranschwollen, – eine Zusammenrottung, wie sie eben nur in der Hauptstadt der viel angefochtenen Türkei geduldet werden konnte, unter den Augen einer Regierung, gegen die sie den Stempel einer herausfordernden Demonstration offen zur Schau trug. – Um zwei Uhr öffneten sich die Thore des Palastes und der Wagen des russischen Geschäftsträgers, gefolgt vom ganzen Gesandtschaftspersonale, gab das Signal zum Aufbruche nach Topana, wohin das ganze wilde Heer nun strömte. Ich folgte langsam dem großen Zuge. Um drei Uhr verkündeten einundzwanzig Kanonenschüsse die Ankunft des russischen Dampfers, und eine halbe Stunde später setzte sich der Zug vom Landungsplatze wieder in Bewegung die steile Straße hinauf nach Pera, voran in der Equipage der Gesandtschaft Fürst Mentschikoff in voller Uniform neben dem bisherigen Geschäftsträger, Staatsrath Ozeroff, ihm nach ein endloses Gefolge zu Pferde, russische Generale, das Personal der Gesandtschaft, die Notabilitäten der russischen und griechischen Colonie, und hinterher der ganze Troß der gläubigen Menge, die in dem Fürsten nichts weniger als den Messias erblickte, der das Kreuz wieder auf die Aja Sofia zu pflanzen gesandt war. In dem zahlreichen Gefolge von Offizieren befand sich unter den glänzendsten Namen des russischen Adels auch Admiral Kornilew, der sich bald darauf durch eine in Mentschikoff’s Auftrag unternommene Mission nach Griechenland und den ihr auf dem Fuße folgenden Aufstand im Epirus und Thessalien einen Ruf erwarb, und seitdem beim Beginn des Bombardements von Sebastopol als eines der ersten Opfer fiel.

Auf den weiteren Verlauf der vielbesprochenen Sendung Mentschikoffs zurückzukommen, ist hier nicht der Ort, obwohl über die vielfachen Manöver, die von der russisch-griechischen Partei theils zur Sondirung der Ansichten im Publikum, theils zu Lenkung derselben durch Drohungen, Einpacken und ostensibles Umherschleppen der eingepackten Effekten durch die Straßen Pera’s ausgeführt wurden, sich manches Interessante erzählen ließe; – es genüge, hier noch auf den Gegensatz zu dem prunkvollen Einzuge dieser Gesandtschaft hinzudeuten, der in dem endlichen, von keinem Auge bemerkten Verschwinden derselben, ohne Sang und Klang, bei Nacht und Nebel, liegt, nachdem sich der Fürst schon acht Tage zuvor, das Scheitern seiner Mission ahnend, auf sein Dampfschiff und nach Buyukdere, drei Stunden oberhalb Constantinopels in der Nachbarschaft des schwarzen Meeres, zurückgezogen, eine Unschlüssigkeit zeigend, die einen seltsamen Kontrast zu seinem entschiedenen und herausfordernden ersten Auftreten bot.

Ich gebe nachstehend sein Portrait, nach einem in Constantinopel für den Staatsrath Ozeroff gefertigten Daguerreotyp gezeichnet, meines Wissens das einzige authentische Bild des Fürsten. Wenigstens darf ich aus guter Quelle versichern, daß sich der Fürst stets geweigert, zu seinem Portrait zu sitzen und daß deshalb alle von ihm existirenden Bildnisse nur aus der Erinnerung gemalt und wenig zuverlässig sein können. Von der charakteristischen Wiedergabe seiner Züge in vorliegendem Bilde hatte ich wiederholt Gelegenheit, mich zu überzeugen, sei es, daß der glanzvolle Vertreter Rußlands in seiner unscheinbaren, man möchte sagen abgetragenen,


  1. In einem Augenblicke, wo die Aufmerksamkeit Europa’s durch die Ereignisse in der Krim neuerdings auf den Mann gerichtet ist, der vor anderthalb Jahren als Diplomat den Grund zu der kritischen Lage legte, aus der er nun als Feldherr die Armeen, die Flotte, die Ehre des gefürchtetsten Reiches Europa’s zu retten sich abmüht, dürfte es für unsere Leser von Interesse sein, aus der Hand einen Augenzeugen sowohl ein authentisches Bildniß des Fürsten Sergiewitsch Mentschikoff, als einige Notizen über sein Auftreten in Stambul zu erhalten. Der Zeichner des Bildnisses und zugleich der Verfasser der nachfolgenden Zeilen ist ein junger talentvoller Maler, der die letzten zwei Jahre in Constantinopel verlebte.
    Die Redaktion. 
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_571.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)