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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

haben, können überhaupt viele primäre Farben von secundären gar nicht unterscheiden, wie z. B. der Verfasser dieses Artikels gerade ein gewisses Ziegelroth nicht von Grün unterscheiden kann. Dieses Phänomen, dieser physiologische Proceß des Auges, zu bestimmten Farben immer selbst weißes Licht herbeizurufen („und wär’ das Aug’ nicht sonnenhaft, wie könnt’s das Licht erblicken?“) und dadurch diese bestimmte Farbe zu modificiren, nennt Chevreul den „successiven Contrast“. Diese Einsicht ist von der größten praktischen Wichtigkeit. Der successive Contrast ändert und modificirt alle unsere Ansichten von farbigen Gegenständen bedeutend. Alle Erscheinungen der Farben-Contraste gehen aus der Sehnsucht des Auges, weißes Licht zu erblicken, hervor. Wer denkt hier nicht an Schiller’s wundervolles Räthsel:

„Ein kleines Bild aus zartem Grunde:
Es giebt sich selber Licht und Glanz.“

Das Resultat dieser Sehnsucht und dieses sich selbst Erleuchtens ist, daß wir nie auf längere Zeit ohne Wechsel primäre Farben sehen können, ohne daß sie in secundäre hinüberschimmern oder förmlich übergehen. Und so kommen wir zum Verständniß dessen, was Chevreul das Gesetz vom simultanen oder gleichzeitigen Contrast“ nennt. Es zeigt sich darin, daß jede Farbe neben einer andern sich durch diese für unser Auge ändert, daß beide durch ihr Nebeneinander modifizirt erscheinen. Aus dieser wichtigen Wahrheit ergeben sich eine Menge Modifikationen, die unser Urtheil über Farben bedingen. Beispielsweise: man lege zwei farbige Streifen neben einander, etwa Roth und Blau. Das Auge in seinem Verlangen nach weißem Licht ruft zu diesem Zweck die Ergänzungsfarben hervor: zu Roth – Grün, welches zum Blau kommend dasselbe grünlich macht und zu Blau – Orange, das mit Roth das letztere erhellt, also gelblich erscheinen läßt. Mit andern Worten: Die fehlende primäre Farbe Gelb wird vom Auge geschaffen und zu den beiden primären Farben Roth und Blau hinzugefügt. Dieses einfache Experiment zeigt drei Arten von Contrasten, den simultanen mit Contrast der Farbe und des Tons, den succesiven, d. h. die Farbe, welche der gesehenen folgt als Ergänzungsfarbe und der gemischten d. h. die Modification, welche durch die Ergänzungsfarbe in der wirklich vorhandenen (Roth und Blau) entsteht. Der Anblick des Rothen ergänzt sich durch Grün, dieses das Blau modificirend giebt den gemischten Contrast.

Gegenseitige Ergänzungsfarben erhöhen sich neben einander, geben sich einander „Intensität“ oder „Contrast des Tons.“ Man nehme Roth und Grün. Grün, Ergänzungsfarbe des Roth, erscheint neben Grün röther, wie das Grüne grüner erscheint. Eben so erhöht sich ein und dieselbe Farbe in ihrer Intensität durch Nebeneinanderstellung verschiedener „Töne“ oder Schattirungen derselben. Zwei rothe Streifen, der eine hell, der andere dunkel, neben einander, lassen den hellen lichter, den dunkeln tiefer erscheinen. Läßt man beide Streifen auseinander laufen und nur in einem Punkte zusammentreffen, erscheint der „Contrast des Tons“ am Berührungspunkte am Stärksten und verliert sich, je weiter beide „Töne“ sich von einander entfernen.

Der Klarheit wegen muß man sich von den verschiedenen Ausdrücken ganz bestimmte, sachgemäß begrenzte Begriffe machen. So werden unter dem Ausdrucke „Ton“ die Modificationen verstanden, die eine Farbe in ihrer größten Intensität oder Reinheit noch durch Weiß oder Schwarz fähig ist. Weiß schwächt, Schwarz vertieft die Intensität. Die Modifikationen durch Weiß heißen „Tinten,“ die durch Schwarz „Schattirungen.

Modificationen einer Farbe durch eine andere (nicht Schwarz oder Weiß, welches keine Farben sind) heißen „Abtönungen,“ wofür die Engländer bezeichnender „hues“ sagen.

Reine Farben heißen die primären und secundären und deren Abtönungen je einer durch je nur eine andere.

Gebrochene Farben oder Grau’s entstehen durch Hinzutritt einer primären Farbe in eine schon gemischte. Normale Grau’s entstehen, durch Mischung von Weiß und Schwarz, deren verschiedene Verhältnisse verschiedene Töne des normalen Grau geben. Colorirte Grau’s ergeben sich aus Mischung von primären oder secundären Farben mit einem normalen Grau. So haben wir blaue, rothe, gelbe, orange, violette und grüne Grau’s. Da unsere gewöhnlichen Färbestoffe fast alle mehr oder weniger unrein sind, finden wir fast alle gefärbten Gegenstände mehr oder weniger vergraut, zumal da auch rein gefärbte Sachen durch Hervorrufung ihrer Ergänzungsfarben etwas mit Weiß gemischt d. h. grau abgedämpft erscheinen.

Hier ist ein Beispiel für den Kattundrucker:

„Blicken wir einige Secunden auf ein Stück Zeug mit gefärbtem Grunde, auf welches wir weiße Muster aufgedruckt finden, doch so, daß dieselben in Folge eines unvollkommenen Druckprozesses einen leichten Ton des Grundes beibehalten, so werden diese weißen Muster in der Ergänzungsfarbe des Grundes erscheinen und nicht weiß. Auf chromgelbem Grunde sehen sie violett aus, auf Orange-Chrom blau, auf Grün rothschillernd. Um diese Illusion zu zerstören und die wahre Farbe des Musters zu sehen, braucht man den Grund nur mit Papier, in welches das Muster geschnitten ist, zu bedecken. Dann sieht man das weiße Muster nur insofern es durch die Grundfarbe modificirt worden ist (da angenommen ward, das Weiße lasse etwas Grundfarbe durchschimmern). Der Einfluß des starken Tons auf einen schwachen ist so, daß der letztere nicht nur neutralisirt wird, sondern auch durch seine Ergänzungsfarbe getintet erscheint.“

Aus Mangel an Kenntniß der Farbencontrastgesetze finden sich Kattundrucker so oft den größten Irrthümern ausgesetzt, indem sie Rezepte für Farbencompositionen beurtheilen. Wie sollte man sich sonst die vielen, oft wahrhaft widerlichen Kattunmuster erklären, die von England aus die Märkte überschwemmen?

Chevreul theilt hier noch folgende interessante Thatsache mit: „In einer Kattundruckerei hatte man ein gutes Rezept zum Grünfärben, welches sich eine Zeit lang sehr günstig erwies. Später wollt’ es auf einmal gar nicht mehr damit gehen. Sie zerbrachen sich die Köpfe darüber, bis ein Arbeiter, der meine Vorträge über die Gobelins mit angehört, ihnen mittheilte, daß das Grün, welches sie jetzt auf blauen Grund druckten, durch den Einfluß von Orange, die Ergänzungsfarbe zu Blau, vergilbe. Man möge deshalb nur die Intensität des Blau erhöhen, um die Wirkung des Contrastes zu corrigiren. Man versuchte es damit, und das Grün war so schön, wie früher.“

Dies Beispiel zeigt zugleich, wie Maler auch ohne Kenntniß der Farbengesetze sich viel leichter helfen können, als Kattundrucker. Wird dem Ersteren das Grün neben dem Blau zu gelblich, mischt er einfach etwas Blau hinzu. Der Letztere kann dem Kattune nicht mit dem Pinsel nachhelfen.

Vor einigen Jahren wurde das Haymarket-Theater in London auf’s Neue prächtig ausdecorirt und die Logen mit bernsteingelben Linien versehen. Die Wahl dieser Farbe ward sehr angegriffen, da sie die Damen mit einer leichenbläulichen Tinte überhaucht und den Verbrauch der Schminke zu sehr erhöhe. Andere traten dogmatisch auf und behaupteten: Bernsteinspitzenfarbe ist hier gerade am Orte, wie man schon aus den Goldrahmen der Gemälde ersehe. Das war ein guter, englischer Beweis. Kluge Maler nehmen entweder gleich Rücksicht auf den goldenen Rahmen, der leider einmal Mode und bei Vielen so sehr die Hauptsache ist, daß sie Bilder kaufen, um den schönen Rahmen zu haben, oder sie wundern sich hernach selbst über die schlechte Farbenharmonie in ihren Werken. Und hier darf man nur weiter gehen in Haus-, Stuben- und Menschendecorationen, um sich zu überzeugen, wie der Mangel an Kenntniß der Contraste und Neutralisationen der Farben die kostspieligsten Ornamente lächerlich oder widerlich macht. In Häusern thun Maler und Tapezirer ihre Schuldigkeit, jeder für sich, dann kommt der Ausmöblirer, dann kommt der Hausherr, dann die Hausfrau und ein Hausfreund. Jeder decorirte und färbte nach seinem besondern Geschmacke und so schreien die Farben Wehe über die Bewohner und bringen durch ihre Disharmonien Unfrieden in’s Haus. Der Engländer Jones zankte stets mit seiner Frau in der feurig-roth-tapezirten Stube, in der lichtgrünen waren sie immer einig und glücklich. Farbendisharmonien wirken eben so störend und ärgerlich auf die Nerven, wie der verstimmte Leierkasten vor unserer Thür. Dabei ist gerade Roth sehr berüchtigt. Puterhähne und Ochsen im Stiergefecht werden durch Roth eben so aufgebracht, wie 1848 u. s. w. gewisse Beamte, denen das Rothe in der deutschen Kokarde so empörend vorkam, daß sie um sich schlugen oder den Schuldigen arretiren ließen. Ganz im Ernste und aus Erfahrung kann man sagen, daß eine harmonische Färbung im Hause den Nerven und Sinnen wohlthut und also die Farbenwissenschaft wesentlich zu Häuslichkeit, Bürgerwohl und Familienglück beitragen wird.

Unsere Damen gehen in den Laden, um sich Zeug zu neuen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 557. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_557.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)