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Mithridates“ heißt und eine weite Aussicht über das Meer und das umliegende Land gewährt, das sonst in Segen blühete und jetzt eine Wüste ist, denn mit Ausnahme der kleinen Stadt Kertsch sieht man nichts als Ruinen und Gräber, nicht einen Baum, kaum Gras genug für einige Schafe, die auf dem verbrannten Steppenboden mühsam ihre kärgliche Nahrung suchen.

Nachdem wir so das Interessanteste und Wichtigste der Krim gesehen, haben wir die Reise durch die Steppe nach Perekop zu machen, welches die Halbinsel mit Rußland verbindet. Was aber ist eigentlich eine Steppe?

Eine Steppe ist weder eine Wüste noch eine Wiese, sondern eine offene, mit hohen Kräutern bedeckte, aber baumlose Gegend. Sie hat eine gewisse Aehnlichkeit mit dem Hochwalde darin, daß mehrere ihrer Gewächse mit geradem Stengel emporwachsen, der sich erst oben in Aeste theilt. Wie im Hochwalde kleineres Gesträuch oder Buschwerk, sogenanntes Unterholz, vorhanden ist, das zwischen den Stämmen wächst und vorzugsweise an den Rändern des Waldes vorkommt, so wachsen in der Steppe kleinere Kräuter von ein und zwei Fuß Höhe unter den großen Pflanzen, die sechs, acht bis zwölf Fuß hoch werden. Eigentliche Gräser kommen in der Steppe selten vor und nur etwa Rispe, Schwingel und Trespe, von Berasung des Steppenbodens ist gar nicht die Rede und bei weniger dichtem Pflanzenwuchse sieht man die kahle Erde. Eines der merkwürdigsten Steppengewächse wird von den Russen Springinsfeld genannt. Es hat hübsche kleine Blumen und verästelt sich vielfach gleich von der Wurzel an, so daß es einen runden dichten Busch bildet. Hat es verblüht, so bricht der Hauptstengel ab und die rundliche Pflanze wird von dem geringsten Winde hin- und hergeführt. Andere kleine ebenfalls vertrocknete Pflanzen hängen sich an sie und es bildet sich allmälig ein Knäuel, der bei stärkerem Winde über die Steppe geführt wird. Das ist die sogenannte Steppenhexe.

Tartarische Trachten.
Russisch-Tartarisches Militair zu Fuß.   Bauer. Russisch-Tartarischer Reiter.  Musiker. Edelmann nebst Frau.

In der Zeit der Trockenheit, d. h. etwa sechs Monate im Jahre, sind die Wege durch die Steppe vortrefflich; es findet sich kein Stein, an den sich der Fuß stoßen könnte und der Boden, eine Art Lehm oder Steppenkalk, wird so hart und glatt wie eine Kegelbahn. Gewöhnlich macht man eine Steppenreise zu Pferde, denn wenn an einem Wagen etwas zerbräche, fände man oft meilenweit keine Gelegenheit ihn ausbessern zu lassen und nach Regen würde er bis an die Achsen einsinken. Allein und ohne Führer kann ein Fremder kaum eine solche Reise unternehmen, wenigstens so wenig ohne Compaß wie der Schiffer eine Fahrt auf dem Meere. Eine große Unbequemlichkeit ist ferner der Mangel an gutem Trinkwasser. Entweder, man findet keinen Tropfen oder es ist salzig. Daher auch die Unmöglichkeit, den Boden zu etwas anderem als Schaftriften zu benutzen und alle Versuche, die Steppe zu bebauen, sind fehlgeschlagen. Die deutschen Ansiedler wollen sogar behaupten, das Wasser werde allmälig noch seltener in der Krim und das Klima schlechter, denn es gebe fast nur noch glühend heiße Sommer und lange kalte Winter.

Eine weitere lästige Plage in der Steppe sind Insekten, namentlich eine Fliege, die sich in unglaublichen Mengen findet, vorzüglich gegen Abend in wahren Wolken zeigt und in Ohren, Mund, Nase und Augen dringt. Läßt sich der Fremde durch das Jucken zum Kratzen verleiten, so bildet sich leicht eine Entzündung, welche natürlich die Schmerzen erhöht. In der Nähe von Sümpfen endlich, namentlich bei dem faulen Meere, in der Gegend von Perekop giebt es Wolken von Muskitos, gegen die der Reisende sich nicht einmal durch Feuer schützen kann. Die Tartaren schützen sich gegen dieselben dadurch, daß sie den ganzen Körper mit Oel einreiben oder in einen durch Pech undurchdringlich gemachten Sack kriechen und jede Oeffnung schließen. Diese Plagegeister sind aber nicht die einzigen, denn es findet sich auch der Scorpion, die Tarantel und namentlich eine Art Spinne von gelblicher Farbe, welche Bi heißt, drei Zoll groß wird und deren Biß tödtlich wirkt, wenn der verwundete Theil nicht ausgeschnitten wird. Schlangen und ziemlich groß, sind ebenfalls nicht selten, doch aber ist keine besonders giftige Art unter ihnen.

In den Sitten und der Lebensweise der Tartaren findet sich noch Vieles, was an das Leben der Patriarchen erinnert, wie es uns die Bibel schildert. Ein Tartar muß wie Jakob dem Vater seiner Braut dienen. Das schöne Geschlecht ist Eigenthum der Männer. Der Vater verkauft seine Tochter, der Bruder seine Schwester, denn die Mädchen gelten als Theil des Erbe wie die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_545.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2019)