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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

den groteskesten Formen und bis an den Gipfel mit Baum und Busch bekleidet, schützt den Ort vor den kalten Stürmen aus Norden. Vorn liegt weit ausgebreitet das Meer mit zahlreichen Buchten und hohen, schroffen Vorgebirgen, während rechts und links das fruchtbare Thal von Jalta sich ausbreitet, durch welches zahlreiche Bäche fließen, die in Kaskaden von den Bergen herunterstürzen. Unter weiten Getreidefeldern, Weingärten, Weideplätzen finden sich Urwälder von Eichen, Buchen und Kastanien, in welchen wilde Reben und zahllose Schmarotzerpflanzen in Guirlanden sich von Baum zu Baum schlingen.

Garten schließt sich nun an Garten, Weinberg an Weinberg, Villa und Schloß an Schloß und Villa, ein Plätzchen reizender als das andere, dazwischen hier und da ein malerisches Tartarendorf. Hier liegt Miskhor, welches Narischkin gehört, Koreis, eine Besitzung Galizin’s, Nikita, Maharadsch, Gaspra, Oreanda, das Besitzthum der Kaiserin, Klein-Oreanda und Livadia, das dem Grafen Potocki gehört. So schön aber diese Besitzungen sind, so tragen sie doch meist wenig oder gar nichts ein, ja Oreanda, das die Kaiserin[WS 1] einmal im Leben sah, als das Schloß noch nicht dort stand, kostet jährlich über 30,000 Rubel zu unterhalten.

Livadia und Oreanda liegen bereits an der kleinen Bai von Jalta, welche sich ziemlich tief in das Land hineinzieht und durch kleine Thäler da gleichsam fortgesetzt wird. Es ist dies einer der malerischsten Punkte der Krim und die kleine freundliche Stadt Jalta war zum Mittelpunkte des Verkehres hier ausersehen; denn von ihrem Hafen aus fanden die regelmäßigen Dampfbootverbindungen einer Seits mit Odessa, andrer Seits mit Jaffa, Kertsch und dem Azow’schen Meere statt. Der Ort liegt aber auch so vortheilhaft, daß schon in uralten Zeiten eine Stadt da gebaut wurde, die dann in dem Jahrhunderte der Handelsblüte der Krim unter dem Namen Jalita, Ischalita oder Jalty wieder auflebte.

Schönheiten der mannigfaltigsten Art, welche von Manchen über die noch gesetzt werden, unter denen die Villen der vornehmen Russen liegen, geleiten den Wanderer weiter an der Küste hin, am Bärenberge vorüber nach Aluschka, dem Hauptpunkte des Wein- und Obstbaues der Krim, bis nach Sudak, wo die Regierung eine Weinbauschule angelegt hat.

Der wichtigste Ort, in den uns die Weiterreise bringt, ist Kaffa oder Theodosia an einer großen Bai, nach dem Lande zu von einem Amphitheater von Bergen umgeben. An derselben Stelle oder doch in der Nähe stand schon zur Zeit der Griechen eine Stadt Theodosia, die aber in den Stürmen der Völkerwanderung ganz von der Erde verschwand. Erst im dreizehnten Jahrhundert, als die Krim im Besitz der Mongolen war, wurde eine neue Stadt da gebaut, welche man Kapha oder Kaffa nannte, und die unter den betriebsamen Genuesen, die sich da angesiedelt hatten, schnell empor blüthe. Schon nach hundert Jahren hatte Kaffa eine Einwohnerzahl von mehr als 100,000 Seelen und es wurde der Pracht seiner Gebäude wegen das Constantinopel der Krim genannt, ja es scheint der Mutterstadt Genua selbst kaum nachgestanden zu haben. Der einzige noch vorhandene Ueberrest der Größe dieser Stadt unter den Italienern ist ein ziemlich gut erhaltener Wachthurm und Ruinen der Befestigungswerke, denn als die Türken 1474 die Stadt eroberten und plünderten, wurde fast Alles zerstört; 40,000 Einwohner wurden nach Constantinopel gebracht, Glücklichere entflohen und zerstreuten sich in fremde Länder. Im buchstäblichen Sinne flossen Ströme von Blut und viele Schiffe, die mit genuesischem Golde und genuesischen Kostbarkeiten beladen waren, segelten nach Constantinopel. Mit der Vertreibung und Ermordung der Italiener endete auch der Handel der Stadt und was man auch that denselben wieder zu heben, traurige Oede trat an die Stelle des frühern Lebens. Bald sah man nur noch Schafheerden an der Küste, die sich von den Gräsern der Steppe nährten, welche weiter und weiter nach dem Meere zu herabstieg. Als die Krim russisch geworden war, erkannte die neue Regierung rasch die vortheilhafte Lage von Kaffa; sie ließ eine neue Stadt erbauen und bemühte sich sie emporzubringen, bald aber wendete man mehr Sorgfalt auf Kertsch auf der einen und auf Odessa auf der andern Seite. Theodosia ist eine unbedeutende Stadt geblieben und ihr Handel beschränkt sich ausschließlich auf Fische, welche in den benachbarten beiden Meeren im Ueberfluß vorhanden sind.

Von Theodosia aus schwindet die Schönheit der Küste; die Felsen senken sich allmälig zur Steppe herab, die Bäume und Büsche werden seltener und bald sieht man nichts als auf der einen Seite das Wasser und der andern das Grasmeer. Nur hier und da deuten eine Schafheerde und eine Tartarenhütte noch an, daß die Gegend nicht ganz verödet ist. Diese Verödung ist um so auffallender als nach Strabo und selbst nach den Berichten der Genuesen aus dem fünfzehnten Jahrhunderte gerade der Strich zwischen Theodosia und dem Azow’schen Meere Getreide in so großer Menge hervorbrachte, daß man ihn die Getreidekammer der Krim nannte.

Ist man an den Resten der Mauer vorüber, welche sonst die Grenze des Königreiches Bosporus bildete und um das Vorgebirge Thakli herum, so gelangt man in den cimmerischen Bosporus (jetzt Canal von Kertsch), welcher das schwarze Meer mit dem Azow’schen verbindet, und bald in den Hafen von Kertsch selbst, dem alten Pantikapäum, der berühmten Hauptstadt des Helden Mithridates. Die Lage kann für den Handel kaum günstiger sein und die Stadt, die ebenfalls von Rußland neu gebaut ist, ist allerdings auch im Aufblühen begriffen. Die Russen vermieden bei dem Baue der Stadt den Fehler, den sie bei Odessa und andern neuen Städten gemacht haben, in welchen sie die Straßen so breit anlegten, daß die Einwohner sie entweder nicht zu pflastern im Stande sind oder nicht pflastern wollen und deshalb im Winter in tiefem Schmutze waten müssen, im Sommer aber von gewaltigen Staubwolken gepeiniget werden.

Ein hübscher Tempel bezeichnet die Stelle, wo sonst die königliche Residenz der bosporanischen Könige stand und ein noch hübscherer Bau befindet sich auf einer vorstehenden Terrasse, ein Museum, welches die zahlreichen Alterthümer aufnimmt, die man in der Gegend findet. Leider fehlt es der Gegend an Bäumen, ja fast an Vegetation, so daß man von der glänzenden Weiße des Meeres und den weißen Gebäuden fast geblendet wird. Der Mangel an Holz ist in diesem Theile der Krim so groß, daß die Einwohner selbst ihr Feuerholz meilenweit herbei schaffen müssen. Die in dem Museum befindlichen Alterthümer sind bereits ziemlich zahlreich, besonders seit man einige sogenannte Grabhügel, auch den des Mithridates geöffnet hat, welcher sonst im Volke der Goldberg hieß. Man fand darin eine wahrhaft staunenswerthe Menge vergoldeter Bronzevasen und goldener Zierrathen von der vollendetsten Arbeit. Die schönsten hat man freilich nach Petersburg gebracht. Ein anderer Grabhügel, einige Stunden von Kertsch entfernt, in völliger Einöde, wurde später im Beisein des Fürsten Woronzow selbst geöffnet. Man gelangte in eine Tiefe von 30 Fuß und da lagen schwere Steinplatten über dem eigentlichen Grabe. Als es gelungen war die Steine von dem Riesengrabe abzuheben, sah man nichts darin als in der Mitte ein hölzernes Gefäß. In diesem aber befand sich eine goldene Urne in der zierlichsten Form und von der vortrefflichsten Arbeit. In der Urne war nichts als die Asche dessen, den man da beerdigt hatte, vielleicht eines großen Helden und Fürsten. Ein Diener streute sie in Kertsch, wohin man die Vase brachte, auf einen Düngerhaufen. Das ist das Loos des Großen auf der Erde!

Grabhügel ähnlicher Art sieht man in der ganzen Gegend und auf der Halbinsel Taman in unglaublich großer Anzahl; sie alle sind von Riesengröße und sie beweisen, daß das Land einst von einem großen und reichen Volke bewohnt wurde. Ueber die Größe dieser Grabhügel hat sich eine Sage im Lande erhalten, welche sagt: Die Erdhügel wurden von dem Volke freiwillig über den Gräbern aufgethürmt; wenn Einer der großen Krieger starb, stellte man seine Asche in ein Grab und Jeder, der seine Thaten oder Tugenden bewunderte, brachte Erde dahin und schüttete sie auf das Grab.

Außer den Ueberresten der Burg, welche Mithridates auf einem Berge aufführte und die heute noch seinen Namen trägt, finden sich in der Umgegend Spuren von Cimmerium, Akra und Nymphäa nebst den Ruinen des Palastes der Könige von Bosporus. Geht man einige Stunden weiter nach dem Fort Jenikale nahe am Azow’schen Meere, so erblickt man Ueberreste von Orthmion und drüben auf der Halbinsel Taman das was von der einst so glänzenden Stadt Phanagoria übrig ist, unter deren Ruinen man trotz der Neigung der Russen alle Alterthümer zu vernichten, die berühmte Naumachia (Theater zu Seeschlachten) erkennt, welche tausend Schritte im Durchmesser hat. Niemand, welcher jene altberühmte Gegend durchstreift, versäumt es wohl, auf dem Gipfel eines Hügels auszuruhen, welcher heute noch der „Sitz des

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Kaiserein
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_544.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)