Seite:Die Gartenlaube (1854) 530.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Ruinen sind bedeutend: große noch stehende Thürme, Mauern und halbe Kirchen. Von der Höhe herab hat man eine reizende Aussicht auf das Meer, wovon man in der Stadt gar nichts merkt, weil sie sich weit hinein verkriecht an die Bai. Diese ist durch zwei Fischsorten berühmt, Kaphat und Natuch und an Fischen überhaupt so reich, daß sie bisweilen von ihnen wimmelt. Wenn es draußen stürmt, kommen auch ganze Schaaren von Delphinen in den sichern Hafen, wo sie dann von den Leuten geschossen werden.

Die Bewohner von Balaklava sind fast ausschließlich Griechen, deren Ehrlichkeit nicht gar groß sein soll. Sie sind Abkömmlinge kecker Seeräuber aus Morea, welche der russischen Regierung bei dem Kriege geqen die Türkei unter der Regierung der Kaiserin Katharina II. wichtige Dienste leisteten und zur Belohnung dafür hier Land angewiesen erhielten.

Der Weg von der Stadt aus geht ziemlich steil hinauf zu den Bergen, die das schöne Baidarthal begrenzen, welches für das reizendste in der Krim gilt.

Ehe wir weiter nach Süden wandern, machen wir einen Ausflug nach Inkerman, einem Städtchen, an das sich jetzt der äußerste Flügel der Franzosen lehnt, um die Grotten, Ruinen und Höhlen daselbst zu besichtigen. Man findet hier buchstäblich eine unterirdische Stadt, welche in dem Felsengebirge ausgehauen ist, das die beiden Seiten des Thales begleitet. Man sieht so Häuser und Kirchen, Klöster mit langen Gängen und Zellen, Grabmäler und Befestigungen mit Zinnen und Thürmen. Abgesehen von dem Interesse, welches diese merkwürdige Menschenarbeit gewährt, ist das Thal Inkerman mit dem kleinen Flusse auch malerisch angenehm, freilich ganz verödet. Büffel, Schafe und Ziegen sind die alleinigen Bewohner und sie flüchten sich immer bald in den kühlen Schatten der Aushöhlungen, um sich der brennenden Sonnenhitze zu entziehen, oder ihren Durst aus den Steingräbern zu stillen, die jetzt als Viehtränken dienen. Ziegen sammeln sich um die Altäre und Schafe lagern in den Kirchen, in welchen sonst Gesänge der Mönche widerhallten. Kröten, Schlangen, Taranteln und andere Geschöpfe, die keines Menschen Freund sind, haben hier ihren ungestörten Aufenthalt, aber sie sind nicht das Einzige, was der Reisende zu fürchten hat, denn die Luft in dem Thale von Inkerman ist durch die pestilenzialischen Sümpfe so verdorben, daß man sicherlich nach einigermaßen längerem Verweilen die nachtheiligsten Einwirkungen fühlt.

Auch in den Felsen der Bai von Balaklava finden sich ähnliche Aushöhlungen, nur sind sie besser erhalten und innen mit farbigem marmorharten Stuc bekleidet, so daß sie sofort bewohnt werden könnten.

Von Inkerman wandern wir auf der Straße nach Baktschi-Sarai und Simferopol, wo Menzikow die anrückenden Verstärkungen erwartet. Auf dem Wege sehen wir die Leute auf den Feldern arbeiten. Ein Tartarendorf hat ein seltsames Aussehen, denn es gleicht ziemlich einem Kaninchenbau, da die Häuser an den Bergen hängen oder in denselben eingegraben sind. Da sie nur ein Stockwerk haben und die flachen Dächer mit dem Erdboden gleich fortlaufen, so kann man gelegentlich auf die Dächer einer Häuserreihe kommen, ehe man es sich versieht. Das Innere dieser Häuser ist eben so originell. Männer und Weiber sitzen da in ächt statischer Art am Boden und rauchen aus langen Pfeifen Tabak und Kinder mit roth gefärbten Haaren, Augenbrauen und Nägeln – tartarische Schönheit! – treiben sich meist ohne alle Kleidung umher und ihre Köpfe sind gewöhnlich mit einer Menge Münzen und Amuletten behängen, welche vor Zauberei schützen sollen.

Auch begegnet man wohl gelegentlich reichen karaitischen Juden in ihrer eigenthümlichen glänzenden Tracht und – deutschen Landleuten, Colonisten aus Schwaben, die ganz die alte schwäbische Kleidung beibehalten haben, nicht zu vergessen die Zigeuner, welche in der Krim ziemlich zahlreich sind und als Diebe, Gaukler und Musikanten umherziehen.

Die Dörfer sehen im Allgemeinen freundlich aus, da sie fast ohne Ausnahme an einem fließenden Wasser liegen, das in dem dürren Lande zur Bewässerung durchaus nöthig ist. Eichen, Buchen, Kirsch-, Aepfel- und Birnbäume ziehen sich an den Bergen, ja auch an Felsen hin; Gärten, Wiesen und Felder wechseln mit Wäldchen von Maulbeer-, Granatäpfel-, Aprikosen- und Nußbäumen ab, deren laubreiche Kronen dem Ganzen das Aussehen üppiger Fruchtbarkeit geben. Namentlich die Nußbäume sind Lieblinge der Tartaren und da sie hier zu einer ungeheuern Größe emporwachsen, so findet man sie häufig über die niedern Hütten hinwegragend und dieselben mit ihrem Schatten bedeckend. Da die Tartaren sich zum Islam bekennen, so findet man in jedem Dorfe eine kleine Moschee, von deren unscheinbarem Minaret herab die Gläubigen zum Gebete gerufen werden. Die Tartaren sind aufrichtig fromm und führen die Vorschriften ihres Glaubens getreulich aus, denn sie sind freundlich, gastfrei und ehrlich. Da die einfachen Formen des Islams sich für ein Hirtenvolk, das die Tartaren sind, ganz besonders eignet, so sind denn auch alle Versuche der russischen Missionäre, sie zum Christenthum zu bekehren, gescheitert. Dies erklärt sich freilich überdies auch aus dem tiefen Hasse gegen die Russen, der ihnen nicht gerade zu verdenken ist, wenn man sich erinnert, mit welcher Grausamkeit das arme Volk von Potemkin und dessen Helfershelfern behandelt wurde.

Obwohl die Stadt Baktschi-Sarai von ihrer Pracht viel verloren hat, und nur ein Dritttheil der Zerstörung der Eroberer entging, so ist diese ehemalige Hauptstadt der Tartaren-Khane noch immer interessant genug, zumal sie die einzige Stadt in der Krim ist, welche von Katharina II. das Vorrecht erhielt, nur von Tartaren bewohnt zu werden und sich der Nationalcharakter da am Meisten erhalten hat.

Die Lage ist schön am Dschorok Su und den steilen Wänden des Gebirges; Gebäude, Sitten und Lebensweise der Bewohner sind völlig orientalisch; man sieht Bazar-, Moscheen mit Minarets, Kiosks, Begräbnißplätze mit Wäldern von Cypressen, Terrassen, Gärten und Weinpflanzungen, zahlreiche Brunnen und viele fließende krystallklare Quellen. Die Straßen sind freilich nach der Sitte des Orients eng und schlecht gepflastert, und da fast alle Arbeiten auf der Straße betrieben werden, da die Stadt auch der Stapelplatz für die Früchte, Tabak, Flachs, Getreide des umliegenden Landes ist, so werden die Straßen häufig buchstäblich versperrt.

Der Palast des Khan ist unbestritten das glänzendste Gebäude in der Krim und man darf es der russischen Regierung nachrühmen, daß bei den vorgenommenen Ausbesserungen daran der ursprüngliche Charakter bis auf die Farben der Malereien erhalten worden ist. Auch das Mobiliar ist geblieben. Dieser Palast erscheint wie eine Schöpfung orientalischer Erzähler und er läßt sich nur mit der Alhambra in Spanien vergleichen. Man sieht noch den Harem mit den Gärten und Bädern, den thurmförmigen Kiosk, den Audienzsaal mit der vergitterten Galerie, auf welcher die Lieblingsfrauen des Khan ungesehn die glänzende Versammlung des Adels und der Krieger betrachten durften. Jetzt freilich ist er ein großes Grab; kein Fußtritt hallt in den vergoldeten Sälen außer dem des Schließers und der wenigen Fremden, die sich darin herumführen lassen.

Die Vorstädte von Baktschi-Sarai dehnen sich ziemlich weit aus, untermischt mit Kiosks, Villen, Mühlen und Gärten und die Zahl der Moscheen mit ihren Domen und Minarets und dem Walde von kleinen Thürmen – alle Schornsteine sind so gebaut – alles trägt bei das Bild reizend zu machen.

Wie die Einwohner heute noch jammernd erzählen, war Baktschi-Sarai vor der Eroberung eine wahrhaft prachtvolle Stadt. Die Russen übten allerdings muthwillige Barbarei dabei aus, denn sie plünderten nicht nur die Einwohner, sondern zerstörten sogar die Gräber, weil sie Schätze darin zu finden hofften und rissen ganze Straßen nieder. Einer der prächtigsten Landsitze des Khans, der ein wahres Wunderwerk gewesen sein soll, verschwand ganz von der Erde wie eine von Griechen bewohnte Vorstadt mit 600 Häusern.

Von Baktschi-Sarai aus kann man einige interessante Ausflüge machen, z. B. nach Tschufut Kale, d. h. dem Schlosse der Ungläubigen. Ehe man dasselbe erreicht, erblickt man das Kloster Maria Himmelfahrt, das an einem ungeheuern Felsen hängt. Der seltsame Bau soll das Werk verfolgter Christen aus den ersten Jahrhunderten sein. Die Zellen der Mönche, die Gänge, das Refektorium und die Kirche, alles ist in den Felsen gehauen und so eine uneinnehmbare Feste geworden, denn der Zugang ist eine ebenfalls in den Felsen gehauene Treppe, die auf eine Zugbrücke führt. Ist diese aufgezogen, so bleibt der Zugang unmöglich. Die Kirche ist von den Russen wieder hergestellt und es wird nach Jahrhunderten jetzt von Neuem Gottesdienst darin gehalten.

Eine halbe Stunde weiterhin liegt das ähnliche Tschufut Kale, eine Feste auf dem Gipfel eines einzelnen Felsens derselben Kette.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 530. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_530.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2016)