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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

„Die arme Franziska verließen Sie gegen Sitte und Anstand, im freien Felde; sie hoffte vergebens, daß ihr Kavalier sie wieder aufsuchen würde – heute bin ich die Herrin von Adersheim!“ fügte sie mit einer schlecht verhehlten Impertinenz hinzu.

„Daran zweifelt man nicht mehr,“ sagte Walther, ohne seine Ruhe zu verlieren. „Mein Besuch gilt nicht der reichen Dame, sondern derselben Franziska, die sich nicht ohne Grund über ein Versehen beklagt, das wir Beide begangen haben. Auf diesen Punkt werde ich später zurückkommen, und mich zu rechtfertigen suchen. Können Sie annehmen, Franziska, daß dieser kleine Streit zwischen uns nicht stattgefunden hat?“ fragte der junge Mann in einem Tone, der fast innig klang.

Ein Wonneschauer durchbebte Franziska.

„Er kehrt zurück!“ dachte sie. „Ich will die Sehne des Bogens nicht zu sehr anspannen. Sie wünschen es,“ sagte sie laut, und indem sie ihren Fächer mit einer unbeschreiblichen Grazie in Bewegung setzte – „was haben Sie der armen Franziska zu sagen?“

Aus Walther’s Augen blitzte ein Freudenstrahl, welcher der beobachtenden Franziska nicht entging. Hätte sie der ihr eigene Takt nicht abgehalten, sie würde der ersten Regung des Herzens gefolgt sein und ihm die Hand zur Versöhnung geboten haben. Mit großer Mühe erhielt sie ihre Fassung aufrecht.

„Das durfte ich erwarten!“ rief Walther. „Sie sehen, ich kenne Sie besser, als Sie mich kennen. Und nun wende ich mich getrost mit der Bitte an Franziska, bei der Herrin von Adersheim eine Fürsprecherin sein zu wollen.“

„Was fordern Sie?“ fragte sie verwundert.

„Franziska, Sie haben eine Schwester – vergessen Sie die Tochter des Onkels nicht, der Sie mit Glücksgütern überschüttet hat. Sie erfüllen eine Pflicht der Dankbarkeit gegen den Verstorbenen - -“

„Mein Herr! Mein Herr!“ hauchte sie mit erstickter Stimme, und indem sie sich rasch erhob. „Sie, Sie wagen es, mich daran zu erinnern? Das ist viel – mehr als ich ertragen kann!“ fügte sie bebend hinzu.

Sie mußte sich an der Lehne des Sessels halten, denn der Boden schwankte unter ihren Füßen. Ihr Himmel war zerstört, ihre Hoffnungen waren vernichtet. Walther, der Mann, den sie leidenschaftlich liebte, verwendete sich bei ihr für das Mädchen, auf das sie allen Grund hatte, eifersüchtig zu sein. Und das mußte er nach dem Vorgefallenen ahnen. In seiner Forderung lag eine doppelte Demonstration: sie erklärte unumwunden seine Neigung, und folglich auch den Bruch mit der ersten Geliebten. Trotz der furchtbaren Erschütterung flüsterte ihr die Stimme der Eifersucht die niederschmetternden Worte zu: „seine Liebe muß wahr und uneigennützig sein, denn sie bleibt bei dem armen Mädchen.“ Franziska’s Zustand läßt sich nicht beschreiben. Alle Furien, die zur Qual einer Menschenbrust erschaffen sind, schwangen ihre brennenden Geißeln. Doch nur einige Augenblicke bebte sie unter den Qualen des Herzens, dann erwachte der Stolz mit überwiegender Gewalt, und der aufbrausende Kopf übertönte das Gemüth.

Walther hatte diese Wirkung seiner Worte nicht erwartet. Bestürzt stammelte er einige Worte der Beruhigung.

„Sie haben viel auf die arme Franziska gebaut,“ sagte sie mit einem bitter schmerzlichen Lächeln; „aber mehr noch auf das Ansehen, dessen Sie bei ihr zu genießen wähnen. Mein Herr, in beiden Punkten haben Sie sich arg getäuscht – die arme Franziska existirt für Sie nicht mehr, und die reiche Erbin besitzt Urtheil genug, um ohne Empfehlung Würdigen ihre Wohlthaten zufließen zu lassen. Was die Pflicht der Dankbarkeit gegen den Verstorbenen betrifft, so erlauben Sie mir, sie in meinem Sinne zu üben. Demoiselle Marianne wird sicher meine spendende Hand nicht vermissen, wenn sie sich des Schutzes ihres wärmsten Verehrers zu erfreuen hat.“

Sie sah auf den in gebeugter Stellung stehenden Baron herab; noch nie war er ihr so schön erschienen, als in diesem Augenblicke, wo sie ihn verloren hatte. Aber sie fühlte nicht ganz den Verlust, da die Heftigkeit des Charakters und der gereizte Stolz die Regungen des Herzens beherrschten. Sie schämte sich, ihre Reizbarkeit so wenig verborgen gehalten zu haben, und deshalb nahm sie, wenn auch mit fast übermenschlicher Anstrengung, zu jener kalten Eleganz ihre Zuflucht, in deren Schimmer sie herzlos erscheinen mußte.

„Franziska,“ rief Walther, „ich beklage Ihre unglückselige Verblendung! Sie sehen Dinge, die nur das Vorurtheil geboren hat. Wenn ich mich dieser Sendung unterzog, so geschah es in Ihrem Interesse.“

„Herr Baron, ersparen Sie sich jede Rechtfertigung, denn ich habe weder den Willen noch das Recht, sie zu fordern. Meine Entrüstung galt nur dem Manne, der sich einst öffentlich als Freund an meiner Seite zeigte. Ich will zugeben, daß ich einen Theil der Schuld trage, die das von der Welt so mannigfach gedeutete Verhältniß zerstörte; aber dessen durfte ich mich wohl versichert halten, daß der Baron von Linden die Delikatesse gegen eine Dame seines Ranges nicht verletzte. Wahrlich,“ fügte sie fast unwillkürlich hinzu, „es muß ein gewaltiges Motiv vorhanden sein, das Sie[WS 1] zu einer solchen Mission bewegen konnte.“

„Es ist vorhanden, Franziska, und ich nehme keinen Anstand, es Ihnen offen mitzutheilen. Die Pflegetochter Ihres Onkels –“

„Verzeihung,“ unterbrach sie ihn mit kalter Artigkeit, „Verzeihung, Herr Baron, ich bin nicht disponirt, die Verhandlungen über das angeregte Thema fortzusetzen. Die Sorge für die reizende Marianne überlasse ich Ihnen allein, Sie kommen dann nicht in die Verlegenheit, die ohne Zweifel grenzenlose Dankbarkeit der armen, liebenswürdigen Waise mit einer andern Person theilen zu müssen.“

Wie verletzt trat Walther einen Schritt zurück.

„Franziska,“ sagte er bewegt, „ich verlasse Sie mit schwerem Herzen. Ihnen gegenüber habe ich meine Pflicht erfüllt –“

„Dieses Zeugniß kann ich Ihnen geben!“ entgegnete sie mit einer tiefen, ceremoniellen Verneigung, wobei ihre Blicke fest auf dem jungen Manne hafteten.

In Walther’s Zügen malte sich eine tiefe Rührung. Mit dem Anstande eines Kavaliers grüßte er, und verließ den Saal.

Auf dem Korridor ging Gottfried langsam auf und nieder. Als der Greis den Baron erblickte, trat er ihm hastig entgegen.

„Nun, gnädiger Herr, was haben Sie bewirkt?“ fragte er leise.

„Nichts, mein alter Freund!“

„Das ist traurig!“ sagte seufzend der Kammerdiener.

„Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf.“

„Ach, wollte Gott, daß Sie sich nicht täuschten!“

„Wie Sie mir bei meinem Eintritte in den Saal sagten, sollen Sie in der Stadt bleiben?“

„Ja, gnädiger Herr.“

„Gut; so tragen Sie Sorge, daß Franziska bei diesem Entschlusse bleibt. Ihre Gegenwart ist hier sehr nothwendig. Sie kennen meine Wohnung?“

„Ja.“

„Diesen Nachmittag fünf Uhr erwarte ich Sie. Suchen Sie sich unter irgend einem Vorwande zu entfernen; aber Franziska darf das Ziel Ihres Ganges nicht ahnen.“

„Ich werde thun, was in meinen Kräften steht.“

Die beiden Männer trennten sich. Walther stieg in einen vor der Thür haltenden Fiaker – Gottfried trat in das Vorzimmer, um auf den Ruf seiner Herrin zu warten.

Nach Walther’s Entfernung war Franziska auf einen Sessel gesunken; sie ließ ihren lange verhaltenen Thränen freien Lauf. In den ersten Augenblicken des Schmerzes machte die Liebe ihre Rechte geltend, und sie weinte über den Verlust, den das Herz erlitten. Sie fühlte, daß ihr Walther Alles war. Regungslos zu Boden starrend, dachte sie über ihre Lage nach. Als der erste Schmerz an Heftigkeit verloren hatte, erwachte der Stolz, unterstützt von der Reizbarkeit, die einen Hauptzug ihres Charakters bildete. Rasch trocknete sie ihr glühendes Gesicht, denn sie schämte sich der vergossenen Thränen.

„Mein Gott, wer bin ich denn?“ flüsterte sie mit bebenden Lippen. „Ich bin Franziska von Adersheim, die Erbin eines großen Vermögens und eines alten Namens. Er verschmäht mich einer Bettlerin wegen, die sein Herz mit Mitleiden umstrickt hat – wahrlich, es wäre unter meinen Verhältnissen eine doppelte Schmach, wollte ich der Welt zeigen, daß mich eine solche Erbärmlichkeit nur berühren kann. Walther verdient nicht, daß ich ferner noch an ihn denke, er ist meiner Neigung nie würdig gewesen. Aber daß ich ihr, ihr unterliegen muß –?“

Sie ging in raschen Schritten durch den Saal. Dann zog sie eine Glocke. Gottfried trat ein.

„Alter, wo befindet sich jene Marianne –?“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sie
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_522.jpg&oldid=- (Version vom 10.11.2016)