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hatte auch hierüber so verkehrte und so kurzsichtige Ansichten, daß er z. B. für die Briefportoeinnahme in seinem Reich alljährlich eine gewisse, nothwendig zu erreichende Summe festsetzte und, wenn die wirkliche Einnahme hinter diesem Voranschlag zurückblieb, eine Erhöhung des Briefportos (statt einer Herabsetzung, was das Richtige gewesen wäre) verfügte. Das Allerverkehrteste aber in dieser Art, was der im Uebrigen so kluge König that, war eine Verordnung, die er als Herzog von Cleve erließ, wonach alle auf dem Rheine Reisende, sobald sie an’s Clevische kommen, den Strom verlassen und zu Lande weiter reisen mußten, um, wie in der Verordnung gesagt war, den königlichen Posten diesen Gewinnst nicht zu entziehen.

Wenn aber auch das Reisen zu Wasser, was die Fahrstraße selbst anbelangt, weit früher praktikabel wurde, als das zu Lande, so lag es doch in Bezug auf Bequemlichkeit, Behaglichkeit und Eleganz der Fahrzeuge, so wie auf Schnelligkeit des Fortkommens, die längste Zeit hindurch beinahe ebenso in der Kindheit, wie dieses letztere. Die mehr als einfache Einrichtung der offenen Nachen oder Marktschiffe, bis zur Einführung der Dampfschiffe, die einzigen regelmäßigen Transportmittel auf unsern Flüssen (und zwar nur auf den größten, wie Rhein, Donau, allenfalls einer kurzen Strecke des Untermain und dergleichen), der vollständige Mangel an Eleganz und Comfort, der darauf herrschte, wurde vielleicht nicht ganz so hart empfunden, wie die schlechte Beschaffenheit der Postwagen, weil das Element selbst dort die Wirkungen dieser Unvollkommenheit einigermaßen milderte, bildete aber jedenfalls einen ebenso starken, wenn nicht noch stärkeren Contrast zu der ausgesuchten Pracht und Bequemlichkeit der Reisegelegenheiten, welche heut zu Tage an deren Stelle getreten sind, zu den geräumigen, geschmackvoll gemalten und vergoldeten Salons, den luxuriösen Tables d’hôte, den wohlassortirten Sammlungen von Journalen, Büchern und Bilderwerken, womit unsere zahlreichen Dampfschiffe ihren Passagieren den verhältnißmäßig viel kürzeren Aufenthalt darauf angenehm und unterhaltend zu machen suchen.

Was die Schnelligkeit betrifft, so ist der Fortschritt, welchen die Anwendung des Dampfes auf die Flußschifffahrt hervorgebracht hat, zwar nicht ganz so groß wie der bei dem Landtransport, immerhin aber bedeutend genug. Stromabwärts, wo man durch die Strömung begünstigt war, fuhr man mit den blos durch Ruder, höchstens mit Hülfe von Segeln bewegten Schiffen etwa um das Drei- bis Vierfache langsamer, als jetzt; stromaufwärts dagegen, wo man sich der Pferde oder Menschen zum Ziehen bedienen mußte, mindestens um das Sechsfache. Und dabei durfte noch keine Verzögerung durch das Außenbleiben der nöthigen Zugkräfte, oder durch das nothgedrungene längere Anhalten an den zahlreichen Zollstätten (wenn das Schiff zugleich Waaren führte) eintreten. Denn dieser letztere Aufenthalt allein konnte unter Umständen eine solche Wasserreise z. B. zwischen Cöln und Mainz, um ganze Tage verlängern, da es auf dieser Strecke vielleicht zwanzig Zollstätten gab, die noch dazu häufig an den entgegengesetzten Ufern lagen, wo dann die Schiffe genöthigt waren, nicht nur selbst herüber- und hinüberzufahren, sondern auch die Pferde oder Menschen, welche sie zogen, abwechselnd von einem Ufer auf’s andere zu transportiren. Auf der Donau vollends war das Fahren zu Berge, wegen der hier befindlichen Stromschnellen, für deren Beseitigung nichts geschah, nahe zu einer völligen Unmöglichkeit, wenigstens eine Sache der höchsten Unbequemlichkeit und der tödlichsten Langweile. Eine Familie, welche die ganze Tour von Wien bis Ulm, wegen der Unsicherheit der Landstraßen, zu Wasser zurücklegte, brauchte dazu mehr Zeit, als heut zu Tage zu einer Reise nach Amerika und zurück erfordert wird.

Mit den Seereisen war es nicht anders. Regelmäßige Reisegelegenheiten gab es schon im vorigen Jahrhundert von Kuxhaven nach London, von Kiel nach Kopenhagen, von Lübeck nach Stockholm und nach Riga. Aber wie lange Zeit brauchte man zu jeder dieser Touren! Mindestens das Vierfache, bisweilen das Sechs- oder Achtfache der jetzigen.

Die Vermehrung, welche in Folge der so namhaften Erleichterung, Verwohlfeilerung und Vervielfältigung der Reisegelegenheiten aller Arten, während des letzten halben Jahrhunderts, der Reiseverkehr nothwendig erfahren mußte und auch wirklich erfahren hat, läßt sich in Zahlen zwar insofern nicht genau nachweisen, als uns über den Reiseverkehr der früheren Zeiten (ebenso wie über die Briefbeförderung) authentische statistische Angaben fehlen, indem man in Deutschland erst vom Jahre 1810 an solche amtlich zu sammeln und aufzubewahren angefangen hat. Allein man kann getrost behaupten, daß, wo vor 100 oder 150 Jahren vielleicht eine, vor 50 vielleicht 10 Personen reisten, gegenwärtig mindestens 10,000 sich auf Eisenbahnen, Poststraßen oder einer der jetzt so zahlreichen Dampfschiffrouten hin- und herbewegen. Die Seltenheit der regelmäßigen Verbindungen von Ort zu Ort noch zu Anfange dieses Jahrhunderts (worüber sichre Nachrichten vorliegen) beweist und erklärt die ungleich geringere Ausdehnung des Reise- und Briefverkehrs in der damaligen Zeit. Zwischen Leipzig und Dresden z. B. fuhr damals nur zweimal in der Woche eine Postkutsche, während jetzt täglich sechs Dampfwagenzüge von einem dieser Orte zum andern gehen, also wöchentlich zweiundvierzig d. i. 21 mal so viel, als damals. Nimmt man an, daß jene zwei Postkutschen jedesmal ganz besetzt waren und rechnet man jede zu 16 Plätzen, so gäbe dies in der Woche 12, also im Jahre ohngefähr 600 Hin- und eben so viel Herreisende, zusammen zwischen jenen beiden Hauptstädten 1200 Postreisende jährlich. Gegenwärtig befördert die Leipzig-Dresdner Eisenbahn im Jahre etwa 600,000 Personen, d. i. 500 mal so viel. Bedenkt man nun, daß die Route Leipzig-Dresden in jener Zeit eine der wenigen war, welche wenigstens einen regelmäßigen Postdienst und verhältnißmäßig noch leidliche Wege aufzuweisen hatte, während auf den Seitenrouten und in nur einiger Entfernung von den großen Städten ordentliche Postverbindungen und fahrbare Wege völlig aufhörten, so wird die oben gewagte Behauptung von einer tausendfachen Vermehrung des Reiseverkehrs innerhalb der letzten 50–70, und einer vielleicht zehntausendfachen innerhalb der letzten 100–150 Jahre sicherlich nicht übertrieben erscheinen. Auf dem Rheine – um noch ein Beispiel anzuführen – fuhr vor 60 Jahren täglich ein Marktschiff zwischen Mainz und Cöln, ebenso auf dem Maine zwischen Frankfurt und Mainz; auf der untern Donau, wohl nicht einmal alle Tage, eines. Oberhalb Mainz scheint der Rhein, oberhalb Frankfurt der Main, oberhalb Regensburg die Donau gar nicht (wenigstens nicht regelmäßig) mit Schiffen zu Personenbeförderung befahren worden zu sein, wie wir denn auch von geregelten Reisegelegenheiten auf Neckar, Mosel, Elbe, Weser und Oder in jener Zeit nichts lesen. Heut zu Tage gehen auf dem Rhein allein Tag für Tag 10–12 Dampfschiffe stromauf- und eben so viele stromabwärts und die Summe der auf sämmtlichen deutschen Flüssen täglich hin- und herfahrenden Dampfer beträgt mindestens ein halbes Hundert.

Um schließlich auch von der Verwohlfeilerung des Reisens gegen früher eine Vorstellung zu geben, sei nur das Eine bemerkt, daß, nach vorliegenden Berechnungen aus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Jemand, der nur einigermaßen bequem und mit Behagen reisen wollte (so weit dies überhaupt bei dem damaligen Zustande der Straßen, der Gasthöfe und der Transportmittel möglich war), nicht unter einem Ducaten auf die Meile Reiseaufwand rechnen durfte. Das wäre auf eine Tour von 12 Meilen, also etwa von Leipzig bis Dresden oder von Mainz bis Coblenz ohngefähr 40 Thaler. Dafür konnte er freilich einen Bedienten mitnehmen und im eigenen Wagen mit Extrapostpferden reisen (Beides war aber auch unumgänglich nothwendig, wenn man sich das Reisen nur einigermaßen erträglich machen wollte) – aber er konnte sich weder vor dem halsbrechenden Bergauf Bergab und dem bodenlosen Moraste der Wege schützen, noch auch nur annähernd sich jenen Grad von Comfort verschaffen, welcher dermalen einem Reisenden im Coupe eines Eisenbahnwagens erster Klasse oder in der Hintercajüte eines Dampfschiffes, an der reichbesetzten Tafel und in den fürstlich eingerichteten Zimmern unserer großen Rheinhotels, Alles in Allem für den achten oder zehnten Theil jenes Aufwandes zu Gebote steht. Der Minderbemittelte konnte unter den geschilderten Umständen an eine Tour zu Wagen von nur einiger Ausdehnung gar nicht denken; wer aus dieser Klasse also zu Fuße zu reisen außer Stande war, wie Frauenzimmer, alte oder kränkliche Personen, der mußte überhaupt auf das Reisen verzichten, selbst wenn Gesundheitsrücksichten, Familien oder Geschäftsverhältnisse ihm dasselbe noch so wünschenswerth oder gar nothwendig erscheinen ließen. Denn selbst eine Reise mit der ordinären Post von Leipzig bis Dresden kostete zu jener Zeit, einschließlich des nothwendigen ein- oder auch zweimaligen Nachtlagers und der Zehrung für zwei bis drei Tage, allermindestens

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