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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

sonst eine gefährliche Stelle zu passiren giebt, so pflegt die Bärin ihre Jungen unter beiden Armen zu tragen und in diesen Situationen entwickelt sie allerdings einen etwas unangenehmen und ungeselligen Charakter. Bärenjäger haben sehr häufig gesehen, wie diese Thiere friedlich ihren Höhlen zuwanderten, und dabei mit der größten Leichtigkeit unter jedem Arme ein Schaf trugen, gerade so wie wenn ein Advokat in einer schwierigen Prozeßsache mit einem Aktenstoß unter jedem Arm zur Abhaltung eines Termins auf’s Rathhaus geht.

Der wahre Feind des Bären – des Emblems der Wildheit und Gleichheit – ist das Pferd – das Emblem feudalistischen und aristokratischen Stolzes. Zoologen und Jäger haben schon lange, wiewohl vergeblich nachgeforscht, worin wohl der Grund dieser unversöhnlichen und tödtlichen Feindschaft liege. Die Sache ist aber sehr einfach, denn das Thier, welches ein Symbol der Liebe zur Unabhängigkeit und Gleichheit ist, muß nothwendig der geborene Feind des Thieres sein, welches den Ritter oder Edelmann, oder mit andern Worten den bevorzugten Stand repräsentirt, der die Besiegten ausbeutet, und sie für ihn zu arbeiten zwingt.

Der Bär, welcher fortwährend vor der Annäherung des Menschen zurückweicht, und die unbewohntesten Plätze zu seiner Wohnung wählt, bezeugt dadurch hinreichend seine friedlichen Absichten, so wie den Wunsch, einem Kampfe aus dem Wege zu gehen, in welchem er nicht gewiß ist, die Oberhand zu behalten. Der Mensch aber, der einen Vorwand braucht, um seinen Handel mit Pelzmützen und Bärenfett fortzusetzen, thut natürlich nicht als ob er an die Aufrichtigkeit dieser freundlichen Wünsche glaubte. Er leugnet sie keck im Interesse seines Geschäfts und setzt die Feindseligkeiten fort, die mit der Zeit leider ein Ende nehmen müssen, weil es auf der einen Seite keine Kämpfer mehr geben wird.

Einen großen Beweis von der Mäßigung des Bären findet man in der Geschichte der Spiele im römischen Cirkus. Die Römer, welche tüchtig mit Menschenblut gewürzte Schauspiele liebten, verwendeten, wenn sie Christen von wilden Thieren zerreißen ließen, dazu fast niemals Bären, weil ihnen diese zu human waren. Eine der Lieblingsbelustigungen des Kaisers Heliogabolus bestand bekanntlich darin, seine Gäste beiderlei Geschlechts betrunken zu machen und sie dann durch die behaarten Arme eines Bären aufwecken zu lassen; die Geschichte erzählt aber nicht, daß diese Scherze je von so ernsten Folgen begleitet gewesen seien, wie die des Kaisers Nero, welcher seine Freunde unter Rosenhaufen ersticken ließ.

Mit einem Worte, der Bär hat keine Freude am Blutvergießen, und wer ihn der Unbeholfenheit und Tölpischkeit beschuldigt, hat ihn niemals thätig gesehen. Auch ist er keineswegs ein Feind der Heiterkeit, ja es ist sogar der Fall vorgekommen, daß er durch das Uebermaß seiner Liebenswürdigkeit unangenehm geworden ist. Der Bär ist nächst der Katze und dem Affen vielleicht das lustigste und possirlichste aller vierfüßigen Thiere. Wie alle kluge Leute, ist er ein Freund des Müßigganges und des Tanzes; er ist ein von guter Laune überfließender Bummler und dabei ein Muster von Geschicklichkeit und Gewandtheit.




Blätter und Blüthen.

Der erste Mord im Kriege. Ein englischer Seemann in der Ostsee beschreibt in einem Briefe an seine Frau zu Hause unter „Pongo Roads den 22. Juni“ seine erste Kriegsthat in so ergreifender Weise, wie wir sie kaum in einem rührenden Romane erwarten. Sein erster Dienst bestand darin, in einem Boote mit einigen Seesoldaten zu landen, um ein kleines Fort zum Schweigen zu bringen und die Kanonen zu nehmen. „Wir zerstreuten uns am Gestade, um die Küste rein zu halten, während die Soldaten die Kanonen nahmen. Der Feind hatte den Vortheil einiger Waldung vor uns voraus, aus welcher einzelne Soldaten hervorschimmerten und vorwärts zu kommen schienen. Ich sah einen einzelnen Mann etwa 60 Yards weit, zielte fest auf ihn und schoß. Er fiel wie ein Stein. Zugleich sauste eine „breite Seite“ (alle Kanonen der einen Schiffsseite) vom Meere in den Wald, so daß der Feind rasch retirirte. Ich hatte noch nie auf einen Menschen geschossen. Ich konnte der Mahnung, zu meinem Mann zu gehen, ob er auch wirklich todt sei, nicht widerstehen. Ich ging. Da lag er ganz still; doch fürchtete ich mich jetzt mehr vor ihm, als während er vor mir stand als Feind auf Tod und Leben. Es ist ein seltsames Gefühl, das uns überkommt, zu sehen, man hat einen Menschen getödtet. Er hatte seine Jacke aufgeknöpft und preßte seine Hand gegen die Wunde in der Brust. Er athmete schwer und im Blute erstickend, das nicht nur aus seiner Wunde quoll, sondern auch mit jedem Athemzuge aus seinem Munde. Zu dem rothen Blute stach das todesblasse Gesicht fürchterlich ab, noch mehr die offenen Augen, die groß und angstgequält auf mich starrten. Ich werde das nie, nie vergessen können. Er war ein schöner, junger, kräftiger Mann von etwa 25 Jahren. Ich kniete neben ihm nieder mit einem Gefühle, als sollte mir das Herz springen. Was ich fühlte, kann ich nie sagen; aber ich glaube, ich hätte in diesem Augenblicke mein Leben gegeben, hätt’ ich das seinige damit retten können. Ich legte seinen Kopf auf meinen Schooß. Er hatte ein schönes Gesicht und sah gar nicht wie ein Feind aus. Er ergriff meine Hand und versuchte zu sprechen, aber statt der Worte kamen nur Blutbäche mit einem Geräusch, das mir das Herz zerschnitt. Ich glaube, mir war viel elender zu Muthe als dem Sterbenden. Er vergoß keine Thräne, wohl aber ich. Die Augen fielen zu, er röchelte qualvoll und immer schwächer. Ein Schuß vom Gestade mahnte mich zum Rückzuge. Er suchte aufzublicken, vermochte es aber nicht. Er zeigte nach dem Meere, wo das Boot eben Anstalt machte, mit den genommenen Kanonen abzustoßen, und dann rückwärts nach dem Walde, wo der Feind sich verbarg. Armer Kerl! Er sah es mir nicht an, daß ich ihn, den ich nie vorher gesehen und der vielleicht besser war als ich, niedergeschossen, als hätt’ er mich auf den Tod beleidigt. Ich begriff nicht, wie ich ihn jetzt verlassen könnte den Sterbenden und kein mitleidiges Auge über ihm. Einige Zuckungen, einige Blutstöße und sein Gesicht wandte sich, er drehte sich convulsivisch um und lag dann still, ohne Athem. Ich bin überzeugt, der Allmächtige hat seine Seele aufgenommen. Ich legte ihn sanft auf dem Grase zurecht und verließ ihn. Alles kam mir wie ein Traum vor, als ich mich das letzte Mal umdrehte, um ihn noch einmal anzusehen. Alles, was ich von Türken, Russen und Krieg gehört, ging mir durch den Kopf und erschien mir so weit weg und der todte Mann so nahe.“ – Das klingt Alles ganz gebildet menschlich und nicht wie Krieg, welcher im Großen und aus der Ferne mit weithintragenden Gewehren durch Pulverdampf arbeitet, so daß man die menschlichen Gesichter, die tausendweise die Augen schließen in einer Schlacht, nicht sehen kann. Das Todtmachen aus der Ferne, nicht von Angesicht zu Angesicht, macht unsere modernen Schlachten feig und grausam und gleichsam zu Rechnenexempeln, die man statt mit Zahlen, mit Todten, Verwundeten und Gefangenen zusammen rechnet, um das Facit, die Bilanz, zu ziehen. Strategisch genommen, klingt die Expectoration unseres Neulings im Kriege gar zu sentimental, aber es liegt auch eine große, schwere Wahrheit darin. Der Krieg ist ein gemachter, diplomatisch erkünstelter und hat mit den natürlichen, menschlichen Gefühlen und Stimmungen der Russen, Engländer und Franzosen so wenig zu thun, daß hier im Gegentheil alle mehr oder weniger ihren Ausdruck in der ergreifenden und einfachen Aeußerung dieses jungen Seemannes wiederfinden werden.




Literatur. In der Natur und in der Literatur ist es sehr weise eingerichtet, daß die Buchblätter kommen, wenn die Baumblätter fallen. Dieses Mal scheint der Herbst früh eintreten zu wollen, in der Natur sowohl wie in der Literatur. Auf den Bergen gilbt sich das Laub schon und in den buchhändlerischen Blättern und Circulairen wimmelt es bereits von Ankündigungen – alle auf den kommenden Herbst und Winter berechnet. Es scheint also, daß der Krieg auf die Spekulation der Geschäftsleute und die Phantasie der Autoren wenig Eindruck gemacht hat, denn man liest nur Anpreisungen von neuen Romanen und Gedichten, als ob keine Kriegsereignisse und keine Zeitungen mehr existirten. Theod. Mügge bringt einen zweibändigen Roman: „die Erbin,“ G. Kühne einen dreibändigen: „die Freimaurer“, Kurz einen dreibändigen: „der Sonnenwirth“, L. Storch einen dreibändigen: „die Herzogin von Gotha“, Willkomm zwei Bände Novellen, Fontana und Cl. Glümer: „Reiseskizzen aus London und den Pyrenäen“, ein Herr Bonner einen zweibändigen Seeroman: „die Rebellen von Lübeck“. Außerdem erscheinen noch „Memoiren der Senora Pepita“, in Lieferungen, wahrscheinlich eine sehr pikannte Lektüre, und ein Taschenbuch, „das Rheinische“, ist bereits vor vierzehn Tagen in alle Welt gegangen. Für Weihnachten hat der bekannte Verfasser des „Struwwelpeters“ (Hoffmann) ein neues Buch: „Bastian der Faulpelz“, angekündigt, das sicher wieder vielen Beifall finden wird. Von Hoffmann von Fallersleben sind „Lieder aus Weimar“ erschienen, darunter viele reizende Verse, die sich besonders zum Componiren eignen. Von dem Wislicenus’schen Buche: „die Bibel im Lichte der Bildung unserer Zeit“, ist endlich in Lübeck die letzte Lieferung ausgegeben und das Werk, dessen Erscheinen viele Hindernisse fand, nunmehr complet. Schließlich erwähnen wir noch, daß Ludw. Bechstein (Hofrath, Cabinetsbibliothekar, Archivar, Ritter etc., wie er sich auf der Ankündigung selbst ausschreit) eine „Wartburg-Bibliothek“ herauszugeben beabsichtigt, worin alle die Stoffe aufgesammelt werden sollen, welche in irgend einer Beziehung zur Burg oder zur Stadt Eisenach stehen. Beginnen soll das Werk mit „den geistlichen Schau- und Singspielen von den zehn Jungfrauen“ – vorausgesetzt, daß die Theilnahme seitens des subscribirenden Publikums eine so „umfängliche und werkthätige“ ist, daß überhaupt das Ganze erscheinen kann. In Thüringen speciell dürfte das Unternehmen schon deshalb wenig Anklang finden, weil der Name “Bechstein“ darauf prangt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 428. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_428.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)