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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Stange, die wir unfern vom Haus liegen fanden, und an der er mit leichter Mühe so weit hinaufzuklettern im Stande war, die ersten auszweigenden Aeste zu erreichen. Oben glücklich angekommen ließ er dann vollkommen geräuschlos einen dünnen Bindfaden herunter, an den er einen kleinen, in ein weißes Tuch gewickelten Stein gebunden hatte, damit ihn die Untenstehenden leichter finden konnten; an diesen wurde des Tau geschlagen, das er zu sich aufzog, mit dem einen Ende fest und sicher um den Ast befestigte und dann das übrige um einen andern Ast knotete, damit das abgesägte Stück Holz mit dem Honig nicht etwa plötzlich einmal hinunterschlage und durch sein Geräusch den Eigenthümer des Hauses wecke.

Als das geschehen, begann Bob oben mit größter Vorsicht zu sägen, und mußte nach unserer Berechnung, die wir etwas ungeduldig unter dem Baume standen, schon ein ziemliches Stück durchgesägt haben, als er plötzlich wieder aufhörte und uns ein früher verabredetes Zeichen durch Schlenkern mit dem niederhangenden Seil gab. Ziemlich geschickt im Klettern wurde ich jetzt hinaufgeschickt, zu sehen, was er verlange, denn einander zu rufen durften wir nicht wagen, wo das Geräusch von Stimmen so leicht an das Ohr des gefürchteten Gegners schlagen konnte. Bob war aber sehr zufrieden als er mich kommen sah, und dachte gar nicht daran, mich wieder herunter zu lassen; er mußte noch Jemanden da oben haben, der ihm behülflich war den schweren Ast, so geräuschlos als möglich, niederzulassen, und hatte das Holz bald durchgesägt, das jetzt anfing der schweren Last des weitausbiegenden Astes schon etwas nachzugehen. Vorsichtig stützte ich jetzt, während er noch sägte, den Ast selber, dessen Schwere im Fall zu brechen; die Last war nun aber doch zu groß, die Stellung auch die ich dabei einnehmen mußte zu mühsam und auch zu gefährlich, viel wagen zu dürfen, und wie es so weit eingesägt war, daß es nur noch durch einen dünnen Splitter gehalten wurde, brach es plötzlich, trotz meinem Dagegenstemmen, hinunter und schlug, als es den Widerstand in dem Tau fand, schwerfällig und dumpfdröhnend gegen den Stamm an.

„Wau, wau, wau!“ sagte der eine Hund, der sich über das fremdartige Geräusch wahrscheinlich ärgerte, und der andere schien nur auf eine Entschuldigung gewartet zu haben, ebenfalls laut zu werden. Er bellte erst ein paar Mal kurz und abgebrochen, setzte sich dann auf sein Ende und fing laut und kläglich an zu heulen.

„Jetzt können wir uns gratuliren,“ sagte ich mit einem leise gemurmelten aber herzlich gemeinten Fluch zu meinem Nachbar; „die verdammten Bestien haben einmal angefangen und werden nicht eher wieder aufhören, bis sie das ganze Haus rebellisch gemacht und wir sitzen indessen hier oben in der Falle.“

„So lange es dunkel bleibt ist hier oben der beste Platz,“ knurrte Bob, „aber wie wird’s nachher. Hol’ der Teufel das elende Vieh – nun hör’ nur ein Mensch an wie er heult.“

Der Ast hing indessen, nur jetzt oben von dem starken Tau gehalten, tief hinunter, und schlug in dem Windzug herüber und hinüber. Bob hatte dabei, ehe er an zu sägen fing, den Eingang zu den Zellen, ein schmales etwa drei Zoll breites Astloch, mit seinem Halstuch verstopft, daß die Bienen nicht heraus sollten; das abgesägte Ende war aber ebenfalls hohl, und wie sich später herausstellte, selbst bis zu dort mit Honig gefüllt, und die Bienen müssen da jedenfalls einen Ausweg gefunden haben, denn wir hörten jetzt, wie sie einzeln daraus vorsummten und in der Dunkelheit verwirrt in den Wipfel des Baumes hinaufschossen.

„Es kann Nichts helfen, wir müssen den Ast hinunterlassen,“ sagte jetzt Bob leise zu mir; „der war unten auch hohl und ich schmecke hier Honig an der Säge; wenn er lange hängen bleibt, schlägt er sonst Alles heraus was darin sitzt. Wo nur die andern Beiden stecken?“

Wir horchten einen Augenblick, als unten plötzlich eine Thür knarrte.

„Hu, faß!“ sagte da plötzlich eine Stimme, deren Eigenthümer jedenfalls vorher ein Paar Secunden hinausgehorcht und irgend etwas Verdächtiges gehört hatte oder gehört zu haben glaubte – „faß, Deik, faß, Pollo!“

Pollo, der junge Hund, wurde jetzt ganz ausgelassen vor lauter Freude, er sprang erst nach seinem Herrn zu und bellte und heulte und dann gegen den Baum an, auf dem wir saßen und wo sich sein anderer guter Freund befand, und es war fast, als ob er die beiden einander vorstellen wollte. Glücklicher Weise regnete es in dem Augenblick was vom Himmel herunter wollte, und Bowley war jedenfalls im Negligée und scheute sich herauszukommen, der niederhängende Ast hätte ihn sonst unbedingt auffallen müssen, und wir Beiden wären da oben wirklich gefangen gewesen.

Jemand im Hause mußte jetzt wahrscheinlich gefragt haben, was denn die Hunde da draußen hätten, denn Bowley sagte:

„Ach was wird’s sein, ein Opossum, das sie hier aufgebäumt haben, aber man kann jetzt nicht hinaus, es gießt wie mit Eimern – nun sie werden’s schon noch oben halten bis es hell wird – hu, faß, Pollo, mein Hund, hu, faß – und du paß auf, Deik, und wahr ihn, mein Bursche.“

Damit hörten wir, wie die Thür wieder zugeschlagen wurde, und Bob ließ jetzt ohne ein Wort weiter zu sagen, den Ast langsam niedergleiten. Der Regen war uns hierbei insofern zu statten gekommen, daß er die Aeste schlüpfrig gemacht; das Tau konnte leicht darüber wegrutschen und wir fühlten bald Grund. Wir hielten uns selber aber auch nicht länger als irgend nöthig oben auf, und waren froh von unserem Stand auf den schlüpfrigen Zweigen erlöst zu werden, kletterten rasch bis zum untersten Ast nieder, ließen das Tau über diesen langsam zur Erde, daß es doppelt hing und nachher übergezogen werden konnte und glitten, dieses fassend, zu Boden.

Hier hatten indessen unsere anderen beiden Kameraden schon das Ende des Taues von dem Honigast losgemacht, und diesen auch greifend, der allerdings eine arge Last hatte, keuchten wir damit so rasch wir konnten, und von den beiden jungen Hunden wedelnd gefolgt, dem Ufer zu, warfen ihn, gerade über halb da wo unser Boot lag, den steilen sandigen Hang nieder und schleppten ihn dann auf das Boot, das er durch sein Gewicht halb unter Wasser drückte. Mit den überall hinausstarrenden Zweigen wäre es aber auch gar keine Möglichkeit gewesen zu rudern, und die in’s Wasser hängenden, würden uns ebenfalls bös aufgehalten haben. Der jüngere Dehart ging deshalb scharf daran das Gesperre wie den ganzen äußeren Theil des Astes, in dem doch kein Honig saß, fortzusägen, und Bob, da das kein anderer der Hunde wegen riskiren durfte, kletterte noch einmal auf die Uferbank hinauf, das noch in dem Baum hängende Tau niederzuziehen und herunter zu bringen.

Wir waren eben unten mit dem Ast so weit fertig geworden, daß er uns wenigstens nicht mehr im Rudern störte und auch etwa die Hälfte seines Gewichts verloren hatte, als oben am Haus der eine Hund plötzlich einen lauten Schmerzesschrei ausstieß und furchtbar zu winseln und heulen anfing – wie wir später erfuhren, hatte das von Bob heruntergezogene Tau ihn gerade auf den Rücken getroffen.

„Daß die Bestie der Teufel hole!“ fluchte der junge Dehart, „wenn’s nach mir gegangen wäre, hätten wir ihnen beiden schon lange die Gurgel abgeschnitten.“

„In’s Boot, in’s Boot!“ rief aber der Andere – „das bringt den Alten heraus und Bob wird gleich da sein!“

Der Rath war nicht zu verachten, wir machten das Boot, das auf dem Schlamm saß, flott, sprangen auf unsere Sitze und hatten kaum die Riemen[1] aufgegriffen, zum Abstoßen fertig zu sein, als oben vom Haus aus ein Schuß fiel und in demselben Moment auch der Körper Bob’s von der steilen Uferbank aus nieder auf den Sand stürzte.

„Schuft, das kostet Dein Leben!“ schrie sein Bruder, die Büchse aufgreifend, ehe er aber nur an’s Land springen konnte, hatte sich der Gestürzte schon wieder aufgerafft, und war in wenigen Sätzen, das Tau hinter sich drein schleifend, am Boot.

„Fort!“ rief er dabei, indem er lachend hineinkletterte, „fort, der Schuß war gut gemeint, aber schlecht gezielt – fort, er hat noch eine Büchse im Haus“ und wir Alle legten uns schon in die Ruder und glitten in demselben Moment in den Strom hinein, als eine dunkle Gestalt oben auf der Uferbank erschien und ihr „halt! Halt oder ich schieße!“ zu uns herüber schrie.

„Schieß und sei verdammt!“ brummte Bob in den Bart, „vorwärts meine Bursche – der Kerl ist’s wahrhaftig im Stande,“ und die elastischen Ruder bogen sich unter dem guten Willen unserer Sehnen. Der alte Bowley aber, ob er nun schon gemerkt hatte was geschehen war oder nicht, verlor seine Zeit auch nicht


  1. Ruder.
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