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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Gefühle, als die Anklägerin des jungen Mannes aufzutreten, dessen Vater Joseph als den Gründer seines Glücks betrachtet. Julius ist ein falscher Freund, aber mein Mann wird so lange nicht daran glauben, und er wird mir vielmehr einen großen Theil der Schuld beimessen, bis ich die schlagendsten Beweise vorlege, daß ich selbst eine durch Raffinerien umstrickte Thörin bin. Doctor, Ihnen bekenne ich, daß meine Eitelkeit sich in den Huldigungen gefiel, die mir Julius brachte; aber leider merkte ich zu spät, daß ich dem Freunde meines Mannes zu viel gestattet hatte. Was ich für unschuldige, selbst alberne Scherze gehalten, nahm er als Dinge von Bedeutung, und der Advokat folgerte hieraus Rechte für sich, die mich erzittern machten. Er schrieb mir Briefe, die, wenn sie ein mit den Verhältnissen unbekannter Mensch gelesen, mich offenbar eines Ehebruchs zeihen müßten; und dennoch habe ich mich gegen Julius so benommen, daß es höchstens deshalb zu verdammen ist, weil es in der Abwesenheit meines Joseph geschehen. Eine schwere Krankheit war die Folge meines Seelenkampfes, ich habe meine Unvorsichtigkeit schwer gebüßt, und wie es scheint, werden sich noch schrecklichere Folgen derselben einstellen. Helfen Sie, retten Sie, Doctor, und überzeugen Sie meinen Mann, daß ich nie aufgehört habe, ihm treu zu sein, daß ich nicht einmal weiß, woher die Fäden der Bosheit so plötzlich gekommen sind, die mich umschlungen halten.“

Die junge Frau trocknete ihre Thränen, die jetzt häufiger aus den schönen Augen hervorquollen.

„Mein armes Kind,“ sagte theilnehmend der Arzt, „ich kenne Ihre Gefahr, und habe nicht einen Augenblick daran gezweifelt, daß der Advokat sich Rechte anmaßt, wozu kaum ein Scheingrund vorliegt. Sie haben ihn angelächelt – und er spricht von Zärtlichkeiten; Sie haben Joseph einen eifrigen Kaufmann genannt – und er spricht von einem trocknen Geschäftsmanne, der Ihr Herz nicht auszufüllen vermag – kurz, er will Sie schuldbewußt machen, damit Sie, aus Furcht vor der öffentlichen Meinung, sich ihm ganz überlassen müssen. Herr Julius Morel bewährt sich hier als ein schlauer Advokat, wie im gemeinen Geschäftsleben; ist kein Grund zu Prozessen vorhanden, so zieht man ihn mit Haaren herbei. Also Joseph äußerte diesen Mittag den ersten Argwohn?“

„Ja.“

„Und Sie sind sich seit Ihrer Krankheit keines Schritts bewußt, der Anlaß dazu gegeben haben könnte?“

„Das schwöre ich bei dem allmächtigen Gotte!“

„Dann hat der Advokat es versucht, den Saamen des Argwohns in das Herz Joseph’s zu streuen. Jetzt gilt es, ihm zu beweisen, wer Herr Julius Morel ist. Kennt er die Gesinnungen des Advokaten, so kann er seine Gattin um so leichter und sicherer beurtheilen. Aber Sie müssen mir helfen, Madame.“

„Wie kann ich?“

„Fragen Sie nicht, Sie sind die Kranke, ich bin der Arzt. Setzen Sie sich, und schreiben Sie, was ich Ihnen dictire. Wir haben ein starkes Uebel zu heben, folglich müssen wir starke Mittel anwenden.“

Louise saß am Schreibtische, und der Doctor dictirte, indem er sich über ihren Stuhl hinabneigte: „Mein Herr! Die Antwort auf Ihren letzten Brief muß ich Ihnen mündlich mittheilen. Sie werden mich diesen Abend neun Uhr in meinem Landhause antreffen.“

Louise sah bestürzt empor.

„Schreiben Sie,“ sagte der Doctor lächelnd. „Ich bedarf nur dieses Briefes, für eine Stellvertreterin bei dem Rendezvous werde ich Sorge tragen. Also: antreffen. Mein Mann ist von dem Doctor Friedland zum Abendessen eingeladen, und wird spät nach Hause kommen. Louise. Jetzt siegeln und adressiren Sie das Billet.“

„Hier, Doctor, ich lege meine Ehre in Ihre Hand!“ sagte Louise, indem sie zitternd das Briefchen überreichte.

„Und der Doctor giebt Ihnen dafür den von Eifersucht und Argwohn geheilten Mann zurück. Bis sieben Uhr ist der Advokat in seinem Bureau – erlauben Sie mir, daß ich Ihre alte Meta dorthin absende. Und nun leben Sie wohl; die Folgen meiner Kur werden Sie vielleicht heute noch an Ihrem Manne spüren.“

„Gott gebe es!“

Auf der Hausflur fertigte der Arzt die Kammerfrau ab, dann trat er in das Comptoir, wo Joseph arbeitete. Der junge Kaufmann empfing den Greis mit einer schmerzlichen Freundlichkeit.

„Mein Freund,“ flüsterte er, „für diesen Abend gehören Sie mir an. Ihr Arzt befiehlt, daß Sie heute schließen, bei ihm speisen, und dann mit ihm einen Spaziergang unternehmen. Jetzt ist es halb sieben Uhr – ich habe noch einen Kranken zu besuchen – halb acht Uhr treffen Sie mich zu Hause.“

Joseph versuchte Einwendungen zu machen, und schützte den Posttag vor.

„Auch ich habe Ihnen Postberichte mitzutheilen, die wichtiger sind, als alle andern,“ flüsterte der Arzt. „Doch erschrecken Sie nicht, es sind keine Hiobsposten. Also?“

„Ich komme, Doctor!“ antwortete Joseph.

„Sie wissen, ich liebe Pünktlichkeit!“ rief der Arzt und entfernte sich.

Auf der Straße begegnete er Louise’s Kammerfrau, die von dem Advokaten zurückkehrte.

„Nun?“ fragte er.

„Ich traf ihn zu Hause. Er nahm das Billet, durchflog es, und gab mir einen Louisd’or für den Weg. Dann entließ er mich, ohne ein Wort hinzuzufügen.“

„Gut, liebe Frau, ich danke Ihnen,“ sagte der Arzt, indem er seinen Weg fortsetzte. „Die Antwort genügt, denn sie beweist, daß der schlaue Advokat in die Falle geht.“

Der Doctor betrat nun ein Gasthaus. Eine Stunde später empfing er Joseph in seinem Zimmer, wo das Abendessen vorbereitet war. Die beiden Männer aßen, wobei der Doctor zur Eile antrieb, dann traten Sie den Spaziergang zu dem Landhause an.


VIII.

Die Dämmerung war längst angebrochen, als der Doctor seinen Freund durch die Seitenwege zwischen den Hecken zu dem ihm wohlbekannten Landhause führte. Der Gärtner, der in einem niedlichen Häuschen wohnte, öffnete das Gitter, und ließ die Männer in den Saal der kostbar eingerichteten Villa treten. Während Joseph sich damit beschäftigte, eine große Astrallampe anzuzünden, war der Doctor auf die Stufen der Treppe hinausgetreten, und sprach leise mit dem alten Gärtner.

„Wir erwarten noch Gäste,“ sagte er, „einen Herrn und eine Dame. Führt sie in den Saal, Alter, aber verschweigt ihnen, daß wir bereits angekommen sind. Wir beabsichtigen einen Scherz, wenn Ihr plaudert, ist er verdorben, und Herr Raimund könnte Euch leicht aus dem Dienste jagen. Auf Befragen könnt Ihr sagen, daß Ihr gegen Abend den Befehl erhalten hättet, um neun Uhr die Lampe in dem Salon anzuzünden, die, wie ich sehe, bereits brennt. Läuft Alles gut ab, so erhaltet Ihr von mir den Lohn.“

„Gut, Herr Doctor, werde Alles pünktlich besorgen!“

Der Gärtner zog seine Mütze, und entfernte sich. Der Arzt ging in den Saal zurück. In demselben Augenblicke schlug die Pendule auf dem Kamine neun Uhr.

„Mein Freund,“ sagte er zu Joseph, „jetzt nehmen Sie Ihren Hut und folgen Sie mir.“

„Wohin?“

„Hinter die Glasthüre dieses Kabinets mit den grünen Vorhängen.“

„Doctor, was haben Sie vor?“

„Sie sollen mit mir einen kranken Mann und eine leidende Frau beobachten – ich habe mir vorgenommen, Beide zu heilen. Ziehen Sie daraus Ihre Schlüsse, und wenden Sie sie bei vorkommenden Fällen an.“

„Um Gotteswillen, Doctor, wer sind diese Personen?“ rief Joseph in einer furchtbaren Aufregung.

(Schluß folgt.)
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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_335.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)