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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

und auch im Allgemeinen von dem was wir gesehen hatten, verließen wir gegen drei Uhr Nachmittags die Fregatte wieder, um an das Land zu fahren. Ein ziemlich heftiger Wind, der dazu uns noch entgegenstand, hatte sich erhoben, und die Wellen gingen so hoch, daß unser leichtes Boot tüchtig von ihm hin und her geworfen wurde. Einer unserer Begleiter, ein türkischer Artilleriehauptmann, der noch nie auf dem Meere gewesen war, konnte diesen Kampf der Elemente nicht ertragen und wurde plötzlich in einem so hohen Grade seekrank, wie ich es selten noch von einem Menschen gesehen habe. Wirklich in völlig bewußtlosem Zustande lag der Türke zuletzt auf dem Boden unseres Bootes und wir fürchteten fast, er würde uns noch während der Fahrt sterben. So wie er aber nur erst wieder auf dem festen Boden war, erholte er sich ungemein rasch und kaum war eine halbe Stunde vergangen, so fühlte er sich schon völlig gesund. Mit fast übermenschlichen Anstrengungen mußten unsere Ruderer übrigens arbeiten, um uns endlich nach 11/2stündiger Fahrt wieder an das Land zu bringen. Sie legten sich dabei so mit der vollen Kraft ihres Körpers in die Ruder, daß ich stets glaubte, dieselben müßten zerbrechen. Ein Extratrinkgeld von einigen Piastern, was wir ihnen versprachen, erhöhte ihre gute Laune aber so, daß sie, trotz dieser harten Arbeit, sangen und lachten. Welch’ tollkühne und dabei doch kaltblütige Seeleute die Engländer aber besonders im stürmischen Wetter sind, davon konnten wir uns während dieser Fahrt auch wieder so recht überzeugen.

Eine kleine englische Kauffarthei-Brigg, die von Odessa kam, wollte in den Hafen von Varna gerade einlaufen, und da der Capitain derselben es sich in den Kopf gesetzt hatte, vor einem größeren österreichischen Barkschiff, was auch im Ansegeln war, vorbeizufahren, so ließ er trotz des schweren Wetters seine Segel nicht so weit einziehen oder doch wenigstens reffen, wie es nöthig gewesen wäre. Mit rasender Schnelligkeit, wie ich sie in der Art noch nie bei einem Segelschiff gesehen habe, kam der Engländer daher gejagt, und wir glaubten wiederholt, das Schiff müsse kentern, so ging es auf die Seite, wenn der so in Stößen stürmende Wind gerade so recht die vollen Segel faßte. Es war wirklich ein großes Beispiel von tollkühnem Leichtsinn, und selbst unser englischer Seeoffizier, so sehr er sich auf der einen Seite auch über den Muth seiner Landsleute freute, schüttelte doch auch wiederholt unwillig den Kopf und meinte, „hat der nicht besonders gute Matrosen, die trotz des Sturms zur rechten Stunde die Segel einziehen können, und paßt der Mann am Steuerruder nicht auf, als wenn er zehntausend Augen im Kopfe hätte, so muß er dort an jenem Vorgebirge scheitern.“ Aber der englische Schiffscapitain war seiner Sache gewiß, und gerade in dem rechten Augenblick drehte das Schiff scharf herum, die Segel verschwanden, als wenn sie durch, eine Maschine und nicht durch Menschenhände eingeholt wurden, und gewiß über eine halbe Stunde früher wie der Oesterreicher hatte der Engländer seinen Ankerplatz erreicht. Unser englischer Seeoffizier war über dies Manöver jetzt so erfreut, daß er mich beredete, sogleich mit ihm am Bord des Kauffahrers zu fahren, da er dem Capitain desselben seine Lobsprüche darüber sagen müsse, was denn auch geschah. Es war dies ein kleiner, rothbäckiger, munter aussehender Engländer von der Nordküste, dem es sehr zu schmeicheln schien, daß der Seeoffizier seine muthige und gewandte Führung des Schiffes so lobte (die Assecuradeure hätten wahrscheinlich andere Gesichter dazu gemacht) und der uns sogleich mit einem Glase steifen Grog bewirthete. Auch die Mannschaft, zehn oder elf Köpfe stark, bestand aus tüchtigen Matrosen, wahre Prachtexemplare der britischen Theerjacken. Der Seeoffizier gab ihnen eine Guinee, um davon die Gesundheit Ihrer Majestät der Königin Victoria zu trinken, was sie denn auch bereitwillig versprachen. Als er ihnen sagte: „Aber, Jungens, wenn es nun wirklich zum Kriege mit den Russen kommen sollte, dann müßt Ihr auch Dienste auf Ihrer Majestät Kriegsschiffen nehmen,“ antwortete Einer der Matrosen ihm lachend: „Ja, Ew. Gnaden, auf den Kriegsschiffen ist freilich nicht allzu gut dienen, denn die Katze mit den neun Schwänzen läßt sich da eben so oft wie das Grogglas sehen, kommt es aber zu einem tüchtigen Kriege, na, da muß man für Altenglands Ehre schon ein Uebriges thun und Dienste nehmen. Aber das „alte Karlchen“ müssen wir dann auch zum Admiral haben, unter dem hab’ ich schon früher gedient und das ist ein anderer Kerl wie hier der Dundas, der da immer herumlungert und mit seinen Schiffen sich nicht auf das schwarze Meer traut. Wäre Karlchen hier, der würde es anders machen. Ja, so ist es, Ew. Gnaden, das können Sie mir glauben,“ wiederholte noch einmal lachend der Matrose, und seine Kameraden stimmten ihm darin bei. Ein anderer Matrose meinte: „Ah, Ew. Gnaden, bald hätte ich Sie doch gar nicht mehr wiedergekannt. Wissen sie wohl noch, wie wir die langzöpfigen Chinesen zusammenarbeiteten, da waren Sie noch so ein Ding von einem „Midshipman“ und jetzt sind Sie so ein schmucker Herr Offizier geworden.“ Der Lieutenant erkannte jetzt auch den braungebrannten, verwetterten Matrosen wieder, der mit ihm im chinesischen Kriege auf ein und demselben Schiff gedient, und gab nun noch eine Extra-Guinee zum Trinken her, so daß wir unter einem dreimaligen lauten Hurrah der Mannschaft endlich vom Bord des Kauffahrers wieder abstießen.

Von der Seeseite her kann man übrigens die feste Lage von Varna theilweise besser wie nah vom Lande aus erkennen. Die Ufer sind fast durchgängig so steil und felsig, daß eine Landung außer unter den Kanonen der Festung ganz unmöglich ist, und besonders das südlich vom Hafen liegende Vorgebirge bildet eine steile, jäh in das Meer abfallende Felsenwand. Von der Landseite aus tragen die vorhin erwähnten Sümpfe und Niederungen sehr viel zur Befestigung der Lage bei und müssen die Belagerungsarbeiten des Feindes ungemein erschweren. Die Russen haben 1828, als sie die Festung endlich einnahmen, dieselbe auf jede mögliche Weise zerstört. Nicht allein, daß sie alle Festungswerke völlig vernichteten, sondern sie sollen auch möglichst viel größere Privathäuser zerstört haben. Mit der gewöhnlichen apathischen Sorglosigkeit, welche die Türken so sehr besitzen, sobald sie nicht zu Anstrengungen förmlich gezwungen werden, haben diese die Befestigung von Varna, obgleich dasselbe nebst Schumla den Schlüssel zu Constantinopel bildet, lange Jahre sehr vernachlässigt und erst seit 1850, wo der Krieg gegen Rußland immer wahrscheinlicher wurde, einige Sorgfalt auf ihre Wiederherstellung und Verbesserung verwandt. Jetzt grade, noch so vor Thorschluß, arbeiten mehrere Tausend Arbeiter an den Werken, und da geschickte fremde Ingenieur-Offiziere die Leitung der Befestigungsarbeiten hatten, und die natürliche Lage ungemeine Vortheile darbot, so sind Werke entstanden, deren Einnahme den Russen wahrlich nicht leicht sein dürfte. Sollte es wirklich im Verlauf des Krieges einem russischen Armeecorps gelingen, bis gegen Varna vorzudringen, und dies dürfte nicht zu den Unmöglichkeiten gehören, so wird es gewiß noch viele, viele Opfer kosten, bevor die Einnahme wirklich geschehen ist. Noch jetzt sieht man in der Umgebung derselben ebenso als wie bei Schumla lange Reihen hoher, üppig begraster Hügel, unter denen die Tausende von russischen Soldaten ruhen, die im Kriege von 1828–29 hier als Opfer fielen, und sollte es wieder zur Belagerung dieser beiden Festungen kommen, so dürfte die Zahl derselben noch gar sehr vermehrt werden. Entweder über Varna oder über Schumla, was übrigens noch ungleich besser befestigt ist, muß die russische Armee aber marschiren, wenn sie wirklich den kühnen Gedanken haben sollte, sich Constantinopels zu bemächtigen, andere Wege dahin führen nicht über den Balkan. Welche unermeßlichen Opfer von Menschen, Pferden und Kriegsmaterial aller Art den Russen die Feldzüge von 1828 bis 29 gekostet haben, davon erzählten uns wiederhohlt Einwohner dieser Gegenden, die Augenzeugen gewesen sind. Damals aber war den Russen die Verbindung mit ihrer Kriegsflotte frei, und von Odessa und Sebastopol konnten zur See Vorräthe aller Art leicht herbeigeschafft werden, während in dem jetzigen Kriege die englisch-französische Flotte dies völlig unmöglich macht. Gerade hierin besteht mit der Hauptnutzen, welchen diese Flotte im „schwarzen Meere“ leistet, denn ein wirklich erfolgreiches Bombardement von Sebastopol dürfte wohl zu den Unmöglichkeiten gehören.

(Schluß folgt.)
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