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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Mein erster Wallfisch.

„Ihr müßt wissen, meine Herren, „erzählte mein Freund, als wir bei einer Tasse Thee im traulichen Zimmer saßen, „daß ich meine Laufbahn als Apotheker angefangen habe. Jetzt bin ich das freilich nicht mehr, so wenig wie ein Ellenreiter. Ich bin – doch darauf kommt es nicht an. Ich war also in meiner Jugend in einer Apotheke und handthierte ein Paar Jahre mit Mörser und Keule. Eines Morgens, als ich gerade Augenwasser für die alte Gräfin Kinkerlicky zurechtmachte, rief mich mein Prinzipal, der zugleich mein Onkel war, zu sich und sagte:

„Tim, mein Junge, ich will einen Mann aus Dir machen. Du mußt in einer halben Stunde nach der Baffingsbai abgehen! Du bist Chirurgus auf dem Wallfischfahrer „Jupiter.“ Fünfzig Pfund für die Fahrt, Du Schelm, nebst Kost, Wohnung und Wäsche. Doch halt! Ueber die letztere bin ich nicht ganz sicher.“

„Ich war ganz verdutzt und wußte nicht, wie mir geschah. Ich war jedoch damals schon so voll von Principien, daß ich mich nicht enthalten konnte, meinem Oheim demgemäß zu erwiedern: „Onkel, sagte ich, ich habe erst ein Jahr studirt, und kann die Verantwortlichkeit nicht über mich nehmen, Beine abzuschneiden, bis ich mehr von der Anatomie und Physiologie verstehe.

„Was bist Du für ein Narr! sagte mein Onkel darauf, der ein kleiner brünetter Mann war, und Napoleon glich, den Alten meine ich, nicht den jungen.

„Ich wollte eben weitere Einwendungen machen, da kam aber gerade der Rheder des „Jupiter“ herein und ich mußte still schweigen.

„Ist Euer Neffe einverstanden?“

„Ja wohl!“

„Ich wollte den Mund aufmachen, aber mein Onkel trat zwischen mich und den Rheder, und ich mußte davon abstehen.

„Nun, dann kommt, Doctor!“

„Jetzt wurde ich vollends roth vor Schaam, als ich Doctor genannt wurde. Ich Springinsfeld, der ich eine schmutzige Schürze umhatte und nach Kastoröl, Opodeldoc und Gentiantinktur roch – ich sollte mit einem Mal einen Doctor spielen! Was blieb mir aber übrig ? Ich mußte meine Schürze abnehmen und dem Rheder folgen.

„Ich fürchte nur, Herr, daß meine medizinischen Kenntnisse – begann ich, als wir in das Menschengewühl traten, das uns von meinem Onkel trennte, er schnitt meine Bedenken aber kurz mit den Worten ab: „Schon gut, wir wissen schon Alles.“

„Damit kamen wir nach dem Kai, wo ein Langboot in Bereitschaft lag und ich wurde ohne weitere Ceremonie an Bord gewiesen.

„Na, leb wohl, Tim, sagte mein Onkel zu mir, ich wollte Dir wohl noch etwas Taschengeld geben, Junge, aber die Esquimaux da unten kennen doch keine Münzen!“

„Ich hatte weder Vater noch Mutter und nun verließ mich auch noch mein Onkel. Zu welchem Schicksal, war klar. Ich war noch nicht aus den Flegeljahren. Das Boot flog wie ein Pfeil hin und brachte uns nach dem „Jupiter,“ der zum Abfahren bereit, unruhig auf und ab wogte.

„Habt Ihr den Doctor mit?“ rief eine Stimme durch ein Schallrohr.

„Ja!“

„Dann paßt auf!“

„Der „Jupiter“ machte eine Wendung, ein Strick flog uns zu, wir kletterten herauf und in drei Minuten waren wir vor Wind und die Thürme von W– schwanden aus unserm Gesichtskreise. Ich wurde seekrank und man beorderte mich in die Kajüte. Dort blieb ich zwei oder drei Tage, bis die Krankheit vorüber war. Dann stieg ich herauf und wurde über das Wie und Wo meiner Anstellung als Chirurgus der guten Barke „Jupiter“ in Kenntniß gesetzt.

„Jeder Wallfischfahrer mußte gesetzlich eine Art Chirurgus mit sich führen, und nahm dazu gewöhnlich einen Studenten der Medizin, der eben seinen Cursus gemacht hatte. Der Jüngling, den der „Jupiter“ dazu engagirt hatte, war aber mit einem Male durch die Aussicht auf die Seefahrt so in Schrecken gesetzt worden, daß er fortgelaufen war. Was blieb dem „Jupiter“ übrig? Capitain Junk wollte den guten Wind nicht um so einen Schlingel von Doctor verlieren, und erklärte, er wolle seine Leute schon selbst kuriren, der Rheder wollte aber die gesetzliche Strafe nicht riskiren, und wendete sich daher in dieser Verlegenheit an meinen Onkel. So mußte der „Jupiter“ so lange in der Rhede liegen, bis ich eingefangen war.

„Der alte Junk war ein Teufelskerl. Er war im Stande, einen Matrosen oder einen seiner Bulldogs ohne viele Vorrede niederzuhauen, wenn sie ihm in die Quere kamen, aber das geschah nur, wenn sie ihn in Harnisch setzten. Sonst war er nicht grausam, und wenn man ihm seinen Willen that, so sanft wie ein Lamm. Ich erkannte dies bald und lebte ganz gut mit ihm. Ich corrigirte ihm seine Federn, spitzte seine Bleistifte und rollte seine Karten auf, machte ihm den Thee und so dergleichen.

„Aber, wenn Ihr nun Kranke zu behandeln hattet?“ fiel ich ein.

„Pah! es gab keine Kranken. War einer von den Matrosen unwohl, so gab ich ihm Liqueur aus Zucker, und der bekam ihnen vortrefflich. Matrosen sind fast immer gesund.

„Aber wenn sie nun Arme oder Beine brachen?“

„Pah, sie wußten, daß ich mein Diplom nicht hatte und hüteten sich daher, Arme und Beine zu brechen. Ich hatte also gute Zeit am Bord des „Jupiter“ und unterhielt mich ganz gut. Allmälig wurde es aber verteufelt kalt und ich hätte arg frieren müssen, wenn ich nicht glücklicher Weise in dem Koffer meines Vorgängers gute warme Kleider gefunden hätte. Seine Mutter hatte für diesen offenbar auf das Beste gesorgt.

Endlich kamen wir nach dem Nordpol und legten vor einem weiten Meere von Eis vor Anker. Der alte Junk kletterte nach dem Krähennest, das sich, wie Ihr wissen werdet, auf dem Hauptmast befindet, um nach Wallfischen zu sehen und ließ sogleich die Boote in Stand setzen. Das war am Freitag Morgen. Die Boote wurden voll bemannt und nur der Capitain, ich und drei Schottländer blieben zurück. Ihr müßt nämlich wissen, wenn ein Wallfischfahrer nicht Leute genug hat, so legt er an den Schettlandsinseln an, wo er immer arme Teufel genug findet, die mit ihm gehen, und zum groben Schiffsdienst ganz brauchbar sind.

„Bald nachdem unsere Boote fort waren, trat ein dicker Nebel ein, so daß wir kaum unser Bugspriet sehen konnten. Er hielt Tag und Nacht an und Junk wurde unruhig. Am nächsten Morgen war es noch eben so nebelig – wir riefen, feuerten unsere Kanonen ab und machten allen möglichen Lärm – kein Ruf kam zurück. Keine Boote waren in Sicht.

Wir waren zwar um die Leute nicht besorgt, denn sie hatten Lebensmittel genug und konnten sich auch mit ihren Büchsen Wild schießen, wir hatten auch keine Furcht, daß sie nicht wiederkehren würden, denn sie waren aller Wahrscheinlichkeit nach bei dem Aufeisen aufgehalten worden. Aber Junk konnte es seinem heftigen Charakter gemäß nicht ertragen, daß er so ganz ohne Nachricht blieb. Er ging in steter Erregung auf dem Verdeck auf und ab, und konnte weder schlafen noch essen. Am Sonntag Morgen beschloß er darauf, eine Entdeckungsexpedition auszusenden, die ich kommandiren sollte. „Doctor, sagte er zu mir, ich bin besorgt wegen der Boote – zieht Eisstiefeln an, nehmt eine Pike und geht nur über das Eis – vielleicht ist’s da klarer, und wenn Ihr ein Paar Meilen vorgeht, können sie Euch besser hören als uns. Ich kalkulire, wir liegen hier an einer langen Eiszunge, und wenn Ihr in rechtem Winkel eine halbe Stunde vorgeht, müßt Ihr an klares Wasser kommen. Merkt Euch aber Euere Spuren im Schnee, damit Ihr Euch zurückfinden könnt. Ich will Euch einen von den Schottländern mitgeben.“

„Ich sah wohl, daß die Spedition nicht ohne Gefahr war, aber ich war des ewigen Einerleis in dem Nebel müde, und wollte auch vor dem alten Junk meinen Muth zeigen. Ich willigte also ein.

„Darauf wurde ich für die Reise ausgerüstet und ich machte mich mit dem Schottländer guten Muthes auf den Weg. Wir gingen die angegebene Richtung entlang, riefen fortwährend und gingen so ein Paar Stunden. Der Nebel blieb aber immer derselbe. Endlich hörten wir etwas wie das Geräusch der See zu unserer Rechten. Das belebte unsere etwas schwach werdenden Geister, denn die Beschwerlichkeit, die uns das Gehen auf dem Eise verursachte und das stete Forthelfen mit der Pike, hatte uns müde gemacht und wir schritten ermuthigt dahin, bis wir den Rand des Wassers erreichten. Hier sahen wir die Bucht einer Bai vor uns, über die hinaus, so viel wir bei dem Nebel sehen konnten, wieder Meilen weit Eis lag. Das Wasser war ungefähr eine Viertelmeile breit. Wir standen an dem Vorgebirge und schrieen, so laut unsere Lungen es erlaubten, erhielten aber keine Antwort und entschlossen uns daher, nach dem „Jupiter“ zurückzukehren. Seitdem wir unsere Reise angetreten, hatte es ab und zu geschneit, wir hatten indessen keine besondere Unbequemlichkeit davon gehabt. Jetzt sahen wir aber zu unserm Schrecken, daß, je weiter wir vorgingen, desto mehr auch unsere Fußtapfen verschwanden. Ich wollte meine Furcht nicht zeigen, um meinen Gefährten nicht zu entmuthigen, er hatte nicht diese Rücksicht gegen mich, sondern brach sogleich in Thränen aus und erklärte, wir würden nie mehr nach dem Schiff zurückkommen, sondern vor Kälte und Hunger sterben oder von Bären gefressen werden.

„Ich dachte freilich bei mir, etwas der Art könnte wohl passiren, war indessen zu stolz, um vor dem feigen Schottländer meine Furcht zu zeigen und bot ihm daher die Spitze.

„Seid stille, Ihr alte Memme, sagte ich. Doctoren sterben nicht vor Hunger und Kälte und was die Bären betrifft, so will ich den sehen, der mich fressen will. Wenn jetzt einer käme, würde ich ihn bei der Kehle packen und beim Zapfen festhalten, dann würde er wohl, meine ich, genug haben.

„Der Schottländer sah mich erstaunt an, denn ich war noch ein schlankes Bürschchen. Da er aber sah, daß ich ein gehöriger Eisenfresser war, so ergab er sich mir.

„Was wollt Ihr thun, Doctor?“ fragte er ganz demüthig.

„Thun? Was, wir gehen den Weg zurück, den wir gekommen sind, zu unserem Schiff. Es liegt auf der andern Seite des Eises und wir brauchen blos herumzugehn. Wir werden es sicher bald treffen. Also vorwärts.“

„Wir waren diesmal schon sehr müde, versichere ich Euch. Wir gingen also zurück, entdeckten aber zu unserm Mißbehagen, daß der Schnee auch unsere letzten Spuren verwischt hatte und mußten daher unsere Richtung ganz auf’s Geradewohl suchen. Nach einer langen mühsamen Wanderung kamen wir wieder an die See. Unsere Freude darüber war aber nicht groß, denn wir sahen bald, daß wir nur an die andere Seite der Bai gelangt waren, die wir verlassen hatten. Das war nicht sehr einladend, und wir waren so erschöpft, daß wir nur noch, um unser Leben zu retten, eine Viertelmeile uns weiter schleppen konnten. Jetzt sah es in der That so aus, als sollten wir hier umkommen. Ich verlor aber auch jetzt den Muth noch nicht. Ich hatte eine Pfeife, Taback und Feuerzeug bei mir, und bot meinem Gefährten die Hälfte von dem Kraute an. Der arme Teufel konnte aber weder rauchen noch kauen:

„Ich will Euch was sagen, lieber Freund, rief ich ihm darauf zu. Ihr solltet was Besseres thun, als hier auf dem Eisstück sitzen und heulen, und Euch lieber frisch und wach halten, denn wenn Ihr in Schlaf fallt, so erfriert Ihr und müßt sterben.“

„Ach, Doctor, wir sind verloren. Ich bin müde und wenn die Bären uns wittern.“

„Pah, hängt die Bären! Hier, thut einen Zug aus meiner Pfeife, das wird Euch den Mund wärmen.“

„Er versuchte es, es machte ihm aber nur übel und er gab es wieder auf.

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