Seite:Die Gartenlaube (1854) 296.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Vergeltet nicht Böses mit Bösemspricht der Hund und handelt danach, wie es Menschen leider selten thun. Ein junger Pariser, seines Hundes überdrüssig, fuhr mit ihm auf die Seine und warf ihn hinein und vereitelte dessen Bemühungen, am Boote in die Höhe zu klimmen, immer leidenschaftlicher durch Stöße, da der Hund nun einmal ersaufen sollte. Wie er sich nun so durch die Lebensliebe den Hunden immer mehr in Leidenschaft bringen ließ, verlor er das Gleichgewicht und fiel in’s Wasser, wo er mit Stiefeln und Sporen jämmerlich ersoffen wäre, hätte ihn der Hund nicht gepackt und so lange über dem Wasser erhalten, bis Hülfe herbeikam.






Die Urwähler in Griechenland. Wie etwa ein neues griechisches Reich auf der breitesten Grundlage wirthschaften würde, spiegelt sich sehr schön in folgendem Vorfalle. Ein Grieche kehrt von Amerika nach Athen zurück und will freie Institutionen wenigstens im Kleinen ausführen. Proponirt also die Bildung eines literarischen Vereins, der seinen Präsidenten aus allgemeinem Wahlrecht hervorgehen lassen soll. Jeder bekommt, also für sein Stimmrecht ein Zettelchen, seinen Canditaten darauf zu schreiben. Und es geschah also. Aus der Wahlurne gingen nun aber gerade eben so viel Namen hervor, als Mitglieder da waren. Endlich kam’s heraus, daß sich Jeder selbst gewählt hatte. Jeder fühlte sich berufen, Präsident zu sein, sogar ein Barbier, und der vielleicht am Meisten.





Das englische Sonderlingshaus in Paris. Ein verdrehter Engländer in Paris hat sich im Quartier Tivoli ein Haus bauen lassen, das ganz rund ist und weder Thür noch Fenster nach Außen hat. Man kann blos auf einer Leiter über’s Dach hinein kommen, welche, wie eine Ziehbrücke auf und niedergelassen werden kann. Und der Mann hat zugleich Frau und Kinder. Inwendig ist blos ein Flur mit 18 Zimmern ringsum, deren Fenster alle nach Innen gehen. Dieses ist durch ein Glasdach gegen Wind und Wetter geschützt. Im Sommer stehen große Blumen-Pyramiden in dem Centrum, im Winter ein riesiger Ofen für alle Zimmer. Dieses von allen Seiten zugleich der Welt den Rücken zukehren mit Haus und Familie ist der wahre nationale Ausdruck des Engländers. Man lacht über das englische Haus in Paris und London, obgleich im letztern Orte jedes Haus dahin strebt, diese Abgeschlossenheit nach Außen zu erreichen. Es fehlt blos die Leiter über’s Dach und die runde Form, im Uebrigen ist Alles da. Ist doch der eigentliche Vollblut-Engländer höhern Stils persönlich zu der Welt ringsherum nur Rücken; in das Innere führt nicht einmal eine Leiter; auch stehen im Sommer weder Blumen, noch im Winter ein Ofen in ihm.






Ein Mittagsmahl bei den Kurden. Die Kurden sind auch ein türkischer Volksstamm um Aleppo in Syrien herum bis zum schwarzen Meere. Ein Engländer, der ein Jahr in der Türkei herumreiste und auch die Kurden besuchte, beschreibt seinen Mittagstisch bei ihnen so: „Zu Tische gingen wir in’s Außenzimmer, dessen eine Seite ganz offen war. Wir placirten uns auf eine Art von Fußbänke um einen metallenen Trog. Der Rand desselben war mit flachen, frisch gebackenen Kuchen bedeckt und in die Mitte wurde dieselbe Schüssel gesetzt, aus der wir gestern dasselbe gegessen, nämlich ein großes geröstetes (frei am Feuer gebratenes) Lamm, mit Reis, Mandeln und Pestachio-Nüssen gestopft. Nachdem wir uns Alle gewaschen, fing der Hausherr mit seinen mächtigen „fünfzackigen Gabeln“, die ihm an sehnige Arme gewachsen waren, an, ein Stück Fleisch nach dem andern abzureißen und es seinen Gästen höflich mit geballter Faust präsentirend; auch gab er unparteiisch jedesmal eine Hand voll (wörtlich zu nehmen) Gefülltes zu.

Die Schafe hier haben einen langen, dicken Schwanz von purem Fett, der als eine eben so große Delikatesse gilt, als bei uns der Ochsenschwanz. Mein Nachbar, der Pascha, that mir die Ehre an, alle Augenblicke ein Stück abzureißen, es mir zu bieten und sich dann die Finger abzulecken. In Ermangelung eines Präsentirtellers reichte er mir jedes Stückchen auf der flachen Hand, wofür ich natürlich jedesmal in Dankbarkeit ersterben mußte, um für keinen Barbaren zu gelten. Endlich ward diese Schüssel entfernt, und hereintrat auf drei steifen Beinen eine ungeheuere eiserne Pfanne, zwei Fuß im Durchmesser die über und über mit heißen Doppelrippchen gespickt war. In der Mitte schwamm der pure Talg, in welchen Alle gemeinschaftlich mit großem Eifer ihre Kuchen tauchten. Mein Appetit hatte nun für keine Delikatessen mehr Sinn, aber ach, noch ein ganzes junges Schaf erschien, in einer andern Manier zubereitet. Aber vergebens fuhr der freundliche Hausherr mit der ganzen Hand tief in das Gefüllte und hielt es mir rauchend, triefend und niederkleckend hin – ich hatte genug. – Aber dem Finale schenkte ich doch wieder Aufmerksamkeit, nicht den Gebirgen von Reis und Yaurt (eine Art Mehlspeise), sondern den weißen Maulbeeren, deren erfrischende Kühle dem fetten Lamme und dem noch fetteren Schwanze in meinem Magen sehr wohl that. Die Maulbeeren werden als Delikatessen weit her von Armenien nach Antiochien und Aleppo gebracht.“






Kosten des Diebstahls. Der Prediger des Correctionshauses in Preston (England) hat nachgewiesen, daß fünfzehn Taschendiebe dem englischen Publikum bisher zusammen 26,000 Pfund Sterling (etwa 480,000 Thaler) gekostet haben. Hätte man von diesen 180,000 Thalern nur ein einziges Tausend zu rechter Zeit an diese fünfzehn Köpfe und Finger, ehe sie sie lang machten, verwendet, wäre das Facit gewiß: Erspart 179,000 Thaler, Gewinn von fünfzehn Paar ehrlichen Händen 40,000 Thaler, abgesehen davon, daß die Moralität dieser Leute ein Kapital mit Zinsen geworden wäre.






„Der bevorstehende Kampf.“ Unter diesem Titel hat der fruchtbarste Prophetenschriftsteller und Kanzelredner, Dr. Cumming, in England ein Buch über Verlauf und Ende des jetzigen russo-türkischen Krieges geschrieben. Seine Prophezeiungen sind in folgende Sätze zusammengezogen: 1) Rußland nimmt der Türkei, einen Theil des alten assyrisch-macedonischen Reiches und wird „König des Nordens.“ 2) Es stürzt die türkische Macht, erobert Constantinopel und wird „der Drache“. 3) Es unterjocht die Völker des Continents und wird „Gog und Magog“. Das Papstthum erliegt unter der griechischen Kirche. Napoleon stirbt den Tod der Usurpatoren. Oesterreich hat das Schicksal des übrigen Continents. Rußland herrscht über Europa als „Gog und Magog“. Später versucht Nikolaus Syrien und Indien zu erobern, geht aber mit seinem ganzen Heere im Thale von Josaphat bei Jerusalem unter. Dr. Cumming aber und sein Verleger kommen durch die neugierige Dummheit den Volkes, welche diese englischen Fürst-Nordhäuser’schen „Keine Hämorrhoiden mehr“ und der „Tod heilbar“ und „10,000 Kunststücke, sich in Gesellschaften beliebt zu machen“ u. s. w. sehr in die Höhe, ehe Rußland untergeht im Thale Josaphat. Dr. Cumming ist ein bedeutendes, hochkirchliches Kirchenlicht, das freilich nur leuchtet, weil’s um ihn her so dunkel ist, und so hell flackert, weil ihm das Volk als Talg dient.






Thatsachen des menschlischen Lebens. Die etwa tausend Millionen Menschen der Erde (im Durchschnitt Hälfte und „bessere Hälfte“) sprechen 3064 jetzt bekannte Sprachen, in welchen mehr als 1100 Religionen gepredigt werden. Das Durchschnittsalter ist 33⅓ Jahre, wie Buchhändlerrabatte in Procenten. Ein Viertel der Gebornen stirbt vor dem siebenten, die Hälfte vor dem siebenzehnten. Von hundert Personen kommen blos sechs über sechzig, und unter je tausend blos eine bis in’s hundertste Jahr. Unter fünfhundert wird nur Einer achtzig Jahre alt. Von den tausend Millionen Menschen der Erde sterben über 330,000,000 Millionen jährlich, über 91,000 täglich, 3730 jede Stunde, 60 jede Minute, also einer in jeder Secunde. Diese Verluste werden im Durchschnitt eben nur ersetzt durch eben so starke Zufuhr. Wo die Geburten überwiegen, wird das allgemeine Gleichgewicht anderswo durch mehr Sterben ausgeglichen. Große Menschen leben länger, als kurze. Weibliche Personen haben bis zum fünfzigsten Jahre mehr „Lebenskraft“, als die Männer, nachher geringere. Die Heirathen verhalten sich zu Junggesellen und weiblichen Personen ohne Ehe wie 75 zu 1000. Die meisten Heirathen fallen nach den Aequinoctien zwischen Juni und December. Kinder des Frühlings sind lebenskräftiger als die anderer Jahreszeiten. Geburt und Tod lieben mehr die Nacht als den Tag. Ein Viertel der männlichen Menschen ist fähig, Waffen zu tragen, aber nicht 1/1000 natürlich geneigt, sich mit Andern zu verbinden, um Andere todtzumachen: Krieg und Mord sind blos künstlich-sociale Neigungen. Je civilisirter eine Gesellschaft, eine Gegend, ein Land, desto mehr Lebenskraft, Lebensdauer und Gesundheit. Die Degeneration und Abschwächung des Menschengeschlechts durch Bildung ist eine Fabel. Je mehr Reinlichkeit, Naturkenntniß, Industrie, Cultur und Luxus vorgeschritten, desto weniger Krankheit, desto längeres Leben. Namentlich sind Seuchen, Pestilenzen und Cholera ganz ohne Macht, wo reine Luft, gebildete Lebensart, gute Bewässerung und Straßenreinigung herrschen. Noch im Mittelalter, wie jetzt noch im Oriente und unter Wilden, rafften Seuchen oft die Hälfte der Bevölkerung weg.






Ueberall Gold. An Beweisen, daß Gold sich über die ganze Erde zerstreut vorfindet, fehlt es nicht, und einen der interessantesten hat der an der Münze zu Paris angestellte Chemiker Sage geführt. Die Bäume, Sträuche und vorzüglich der Weinstock ziehen aus dem Boden nährende Säfte an sich, welche in den Stamm und die Rinde übergehen. Verbrennt man das Holz der Rebe, bis zuletzt nur ein kleines Häufchen Asche übrig bleibt, und behandelt man dann eine hinreichende Menge solcher Asche durch chemische Reagentien, so erhält man eine kleine Quantität Gold. Diesen Gold war mithin in dem Boden vorhanden, welcher die Pflanze nährte. Professor Sage hatte durch dieses Verfahren doch so viel Gold gewonnen, daß er fünf Zwanzigfrankenstücke prägen lassen konnte. Zu bemerken ist, daß dieses schöne wissenschaftliche Experiment als industrielle Operation von durchaus keinem Vortheil ist, denn alle Kosten der Gewinnung gerechnet, kam jedes der Goldstücke auf circa 420 Franken zu stehen. Die Kosten überstiegen mithin um das vier bis fünffache den gewonnenen Werth.






Englische Gewissenhaftigkeit. Wie weit die Engländer die Achtung vor dem Buchstaben des Gesetzes treiben, ist bekannt und hat sich neulich wieder in einem an das Komische streifenden Falle bewährt. Ein reicher französischer Emigrant hatte eine bedeutende Summe in der Bank von England niedergelegt, mit der ausdrücklichen Bestimmung, daß sie nur ihm zu eigenen Händen wieder ausgezahlt werden dürfe. Darüber starb der Franzose und seine Erben glaubten, sich an seiner Stelle nur auf der Bank einfinden zu brauchen, um die Auszahlung des niedergelegten Geldes zu bewirken. Allein die Bank war trotz des vollständig beglaubigten Todtenscheins anderer Meinung und hielt sich von der dem Verstorbenen gegenüber eingangenen Verpflichtung nicht für entbunden. Die Erben riefen nun die Hülfe der Gerichte an, die jedoch, nach dem Wortlaut gehend, ebenfalls der Ansicht der Bank beitraten und, um diese Angelegenheit zu schlichten, befahlen, daß der Todte wieder ausgegraben und auf die Bank geschafft werde, wo auch auf seinem Sarge die Summe ausgezahlt wurde, die er dergestalt wieder in eigener Person zurückverlangte.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 296. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_296.jpg&oldid=- (Version vom 9.1.2022)