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Stelle des in der Revolutionsnacht theilweise zerstörten Artilleriewagenhauses nimmt eine riesenhafte Kaserne ein; eine zweite, für die Uhlanen bestimmt, erhebt sich in der sandigen Umgegend Moabits im Rundbogenstyle mit Wartthürmchen und Zinnenkrönung; der Schall der Trompete wiederhallt an den dicken Mauern der nebenan gelegenen „Musteranstalt,“ jener traurigen Erfindung der Pensylvanier; hier wurden zuerst die der Verschwörung angeklagten politischen Gefangenen dem Goliathsproceß unterworfen, dem die Schleuder der Märzfronde ein Ende machte. Mit dieser schnell erwachsenen Vorstadt ist zugleich das rege Getriebe des Menschenverkehrs entstanden. Mit Passagieren und Koffern beladene Droschken rasseln in langer Reihe nach den Eisenbahnhöfen und von dort zurück; Truppen marschiren mit klingendem Spiele vorüber; überall hat der Kleinhandel, vorzugsweise mit Lebensmitteln und Tabak, seine bescheidenen Stapelplätze aufgeschlagen.

A. Borsig’s Maschinenbau-Anstalt in Berlin.

Das originellste Gepräge aber erhält dieser Stadttheil durch die Menge der Fabriken, fast ausschließlich Maschinenwerkstätten und Metallgießereien. Wohin man das Auge richtet, erblickt man thurmhohe, zugespitzte Schornsteine; ein weites Gebiet, bedeckt mit Obelisken, die der Pharao der Industrie erbauet hat. Der berliner Volkswitz nennt daher diese Gegend das „Feuerland,“ denn jene Essen sprühen Funken und athmen schwarzen Rauch aus, wie die Feuerstätten des Vulkans.

Die bedeutendste dieser Maschinenbauanstalten, diejenige, welche bereits einen europäischen Ruf erlangt hat, ist die von Borsig, auf dem ersten Grundstücke, rechter Hand vom Thore aus. Der Besitzer gehört zu den seltenen Menschen, die sich durch praktisches Geschick, verbunden mit Spekulationstalent, aus einer unbedeutenden und untergeordneten Stellung zu Ruf, Ansehen und Vermögen emporgearbeitet haben. In einem Lande, wie Rußland, gelingt dies vielen tausend mittelmäßigen Köpfen und Händen; bei uns ist das Ziel nur durch außerordentliche Fähigkeiten und nach Ueberwindung unzähliger Hindernisse von einzelnen Auserwählten zu erreichen. Diese Auserwählten müssen geistig und physisch gesund sein. Es gehört ein freier Kopf dazu und ein starker Arm, Lunge und Leber müssen fehlerfrei sein und das Herz muß am rechten Fleck sitzen. So ausgerüstet kommen diese seltenen Menschen nach der Hauptstadt, werfen den Ränzel in der Herberge ab, und sprechen mit Zuversicht: „Hier will ich mein Glück machen!“ Und sie machen es; sie hobeln und schmieden ihr Glück selber. Während Tausende ihrer Zeitgenossen die günstige Gelegenheit vorübergehen lassen und, wie die Sonntagsjäger erst schießen, wenn das Wild schon vorüber ist, ergreifen Jene die flüchtige Gunst und bannen sie an ihre Werkstätte, wachen, sorgen und arbeiten für sie. Dieser Blick, diese Kühnheit, diese Ausdauer, dieses Verdienst ist es, was diejenigen, welche das Nachsehen haben, „das Glück“ nennen.

Borsig’s Persönlichkeit entspricht seiner Laufbahn und der Stellung, die er sich erworben hat. Er gehört nicht zu den vergrübelten Figuren, die sich Furchen auf die Stirn gerechnet und ihre Eingeweide am Schreibtische zerquält haben. Man sieht der markigen Gestalt an, daß er sich durch ein enges Leben gedrängt, auch hie und da Rippenstöße ausgetheilt hat, bis er frei athmen konnte. Obgleich er schon über das mittlere Mannesalter hinausgeschritten, ist das volle, etwas geröthete Gesicht von Gesundheit und Kraft und das Auge blickt ebenso sicher in das Getreibe der Welt, wie es Jahre lang in den sprühenden Glühofen geblickt hat. So kann man ihn sehen, wenn er in leichter Kalesche, den einzigen Sohn zur Seite, die Zügel führt, um in Moabit seine großartigen Hochöfen zu besichtigen oder sich unter den chinesischen Rosen seines wundervollen Gartens zu erholen. So konnte man ihn auf der Bank der Geschworenen sehen, wenn er mit düsterem, unbeweglichem Gesicht der rührenden Rede des Vertheidigers lauschte, als ob er darüber doch seine eigene Meinung hätte. Denn wie Leute seines Schlages giebt er nicht viel auf Deduktionen und hält sich an das Thatsächliche, Praktische. Wenn ihm ein feiner Herr eine socialistische Theorie der Arbeit auseinandersetzte, so würde er ihm seine breite Hand hinhalten und sagen: „Zeigen Sie einmal Ihre Finger!“

Die Borsig’sche Fabrik hatte einen kleinen Anfang, aber es war vom Beginn an Platz gelassen für Größeres, und mit jedem Erfolg weitete sich der Bau, vergrößerte sich der Plan. Im Jahre

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_289.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)