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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

auf eine so grausame unerwartete Weise gerechtfertigt! Es bedurfte lange Zeit, bevor er sich von diesem Schlage erholen konnte. Es geschah aber doch, denn sein Stolz rief ihm zu, daß er seinem Schmerze nicht unterliegen dürfe, daß ein Mädchen, welches die redlichsten Absichten so von sich stieße, nicht mehr als seine Verachtung verdiene. Aber er liebte sie unendlich! Mit ganzer Gewalt mußte er sich an jenen Gedanken gewöhnen, um ihr Bild, das sich immer wieder schmeichelnd dazwischen drängte, zu verscheuchen. Er überlegte hin und her, was er thun sollte. Von einer augenblicklichen Abreise hielt ihn stets etwas zurück; zu einem plötzlichen Bruche, der Allen in der Umgegend Stoff zum Reden gegeben, konnte er sich auch nicht entschließen; er war in der allerübelsten Stimmung. …

Er warf einen Blick auf den Kreuzwirth, der noch immer auf seinem Platze saß, und der Gedanke stieg in ihm auf! Ob er! wohl auch die Wahrheit gesagt; vielleicht nicht aus Rachsucht für seine Tochter handle?

Rasch sagte er: „Könnt’ Ihr mir beschwören, Kreuzwirth, was Ihr mir gesagt?“

Der Kreuzwirth stand auf und erwiederte: „Vor Gott und vor den Menschen. Ich strebe nicht, Jemand wehe zu thun. Einen ausgenommen.“ – Mit diesen Worten verließ er das Zimmer. –

„Es ist nicht gelogen!“ – Rudolf stand eine Weile tief erschüttert inmitten des Zimmers, dann zuckte er auf, warf sich in einen Stuhl und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen …

Den folgenden Morgen durchlief ein seltsames Gerücht die Bewohner des Dorfes Kloster-Riedd, und machte, daß eine fast vergessene Geschichte wieder hervorgerufen wurde. Das Gerücht bestätigte sich bald. Der alte Freiherr hatte plötzlich einen Einfall bekommen, das Kloster wieder herzustellen und das alte Gemäuer untersuchen lassen. In einem tiefen Keller, unter Schutt und Kalk hatte man ein halb verrostetes Gewehr gefunden, das, auf das Schloß gebracht, von dem Freiherrn sogleich als sein Eigenthum und als dasjenige erkannt wurde, welches sein Sohn, der Junker getragen, als er von dem Unfall betroffen worden war. Vergeblich hatte man seit dieser Zeit nach der Flinte geforscht. Als der junge Freiherr von seinem Vater gefragt wurde, ob es auch wirklich dasselbe Gewehr sei, bejahte er es mit einfachen Worten, ließ sich aber noch immer nicht auf weitere Auseinandersetzungen ein. Was war auch mit dem Funde Großes erzielt? Der Name des Thäters stand nicht darauf geschrieben und da der Junker hartnäckig schwieg, so konnte es nicht viel nützen. Aber wer hatte das Gewehr in die Klosterruinen gebracht? Dieser Gedanke beschäftigte doch das ganze Dorf und namentlich den alten Freiherrn, in dem von Neuem die Lust erwachte, das räthselhafte Dunkel über den Vorfall zu lösen. Ungeachtet des Widerspruchs seines Sohnes, ließ er einen Preis auf die Entdeckung desjenigen, der die Flinte im Kloster verborgen, ausschreiben…

Das bestätigte Gerücht war auch bis zu Claus Schilder gedrungen. Er saß, eine Pfeife schmauchend mit seiner Tochter Katharina vor der Thüre und unterhielt sich mit derselben darüber.

Katharina meinte: „Wissen möcht’ ich doch, wie die Geschichte zusammenhängt. Daß der Junker auch gar nicht davon spricht; er müßte doch der erste sein.“

„Wird wohl seine guten Gründe haben,“ sagte der alte Soldat, indem er die Asche des Tabacks wegschüttete. „Manchmal ist’s besser, etwas zu verschweigen, als auszuplaudern. Der Junker wird wohl keine gute Rolle bei der ganzen Geschichte gespielt haben. Dann ist das ein übel’ Ding mit dem Schwätzen. Seinen Denkzettel hat er weg, und wenn er klug ist, wird er sich damit begnügen.“

„Was wißt denn Ihr davon, Vater?“

„Ja so! Ich habe da selber geschwätzt, als wüßt’ ich was davon. Den Henker auch! Es war meine Meinung, weiter nichts. Ueberhaupt, Dirne, thu’ mir den Gefallen, und sprich nicht mehr von der Geschichte. So lange ich hier wohne, ist so was Arges in dieser Gegend nicht passirt. Nie wär’ es auch wohl geschehen, wenn die Herrschaften aus dem Schlosse anders wären. Mit dem Alten mag’s noch gehen, der jagt wenigstens den Mädels nicht nach, aber der Junker! Daß Dich der Henker, Kathi, ich hab’ da etwas im Dorfe munkeln hören. Du hältst Zusammenkünfte mit ihm. Ich sag’ Dir, Dirne, treff’ ich Dich so, ich dreh’ Dir ohne weiters den Hals um. Du hast einen Schatz, einen braven respectablen Burschen, mach’ mir keine Flausen, und setz’ die Schande oben an, wie Kreuzwirths Rosi. Der arme Kerl, der Vater, duckt den Rücken, als müßt’ er Grünes lesen und schaut immer vor sich, als sucht’ er den Winkel, wo er sich niederlegen soll. Rudolf nimmt uns mit in die Stadt. Das kann ich für mein Alter brauchen. Geht’s quer, ich jag’ Dich aus dem Hause, dann magst zusehen, wo Du ein Unterkommen find’st.“ –

Der Alter war besonders guter Laune und lachte, als ihm Katharina erwiederte: „Ich denke, Vater, Ihr wollt’ mir den Hals umdrehen?“

„Das ist für das Schlimmste, für das Schlimme jag’ ich Dich aus dem Hause,“ sagte Claus. Indem kam der Junker durch den Wald.

„Wie der Bursche hinkt,“ fuhr der Soldat fort. „Sieht’s doch aus, als hätt’ ihm der Schuß übler gethan, wie man glaubt und wie es ihn erfreuen mag. Hätt’ er sich nur die Sache hinter die Ohren geschrieben, aber daran denkt er nicht. Die Hoffart sitzt ihm eisenfest im Genick. Was will er nur wieder hier? Mich kommt er doch wahrhaftig nicht zu besuchen. Das Ding passirt mir schon zu oft, ich kann da nicht ruhig zusehen; ich muß da einen Damm setzen. Wenn der Maler dahinter kommt, dürft’ es aus sein mit der Herrlichkeit in der Residenz, die ich so viele Jahre nicht gesehen, und immer nur als Soldat, das Gewehr auf der Schulter, den Tornister auf dem Buckel. Jetzt möcht’ ich sie sehen, die große Stadt; haben sie doch dem alten Fritzen ein prächtiges Denkmal gesetzt, das so groß sein soll, wie das Schloß des alten Herrn oben sammt dem Garten und den Kühställen. Mädel, bring’ mich nicht darum, ich sag’ Dir’s!“

Er wandte sich nach ihr um; sie war in’s Haus getreten. „Ja so, sie ist verschwunden,“ brummte der Vater. „Da kann ich lange auf eine Antwort warten.“

Der Junker war inzwischen ganz nahe herangekommen, sagte dem Alten einen „Guten Tag,“ und setzte sich ohne Umstände auf die Bank. Claus erwiederte den Gruß und rückte zurecht. „Auf der Jagd, gnädiger Herr?“ fragte er, indem er fortfuhr zu rauchen.

„Nicht auf Hirsche und Rehe,“ lachte Herr von Riedd, indem er seinem Hunde pfiff und ihm den Rücken streichelte. „Warum ist Katharina in’s Haus gegangen? Fürchtet sie sich vor mir?“

„Wo denken Sie hin, Herr Junker? Sie hat etwas für die Wirthschaft zu besorgen und wird wohl wieder herauskommen.“

„Ein schönes Mädel, die Katharina. Man sollte fast glauben, sie müßte andere Aeltern gehabt haben, denn sie ist weiß wie Milch und roth wie Blut, eine Gestalt, wie ich sie nicht schöner in der Residenz gesehen habe. Dabei hat sie auch etwas Apartes in ihrem Wesen, nicht so wie die andern Bauernmädel, die immer einhergehen, als wateten sie in Haufen Mist. Klug ist sie auch, gar sehr verständig, ich habe das manchmal erfahren.“

„Ei,“ entgegnete Claus halb geärgert, halb geschmeichelt, „das ist kein Wunder, daß das Mädel apart ist. Sie hat keine andern Aeltern, als mich und ihre Mutter, die nun schon lange gestorben ist. Aber das war auch eine seltene Frau. Fast noch schöner möcht’ ich sagen wie Katharina. Na, just behaupten will ich es nicht, denn Clemence, meine Frau, sah ich immer mit den Augen eines Liebhabers an. Es war ein seltener Fund, den ich da an dem Weibe gemacht. Der Krieg hatte ihr alles genommen, Vater und Mutter, die im Elsaß wohnten, und auch das Vermögen, Haus und Hof. Die Aeltern waren Bürgersleute, trieben einen Kleinhandel, im Kriege waren sie verkommen. Sie war demnach guter Leute Kind, Clemence, und es darf Euch nicht wundern, Herr Junker, daß Katharina darnach geworden, ganz wie die Mutter. Ich sag’ Euch, alle Kameraden waren nach ihr lüstern, aber den Kopf hätt’ ich Jedem eingeschlagen, der sich mehr als das Anschauen recht von weitem erlaubt hätte. Na, Gott sei’s gedankt! sie machte es nicht nöthig, meine arme Frau. Sie war mir ein getreues Weib bis an ihr seliges Ende!“ –

„So, so! Ich habe schon gehört von Euerem besonderen Glück, s’ ist wahr, Katharina ist ein apartes Mädel, aber da sie es ist, so solltet Ihr auch ein sorgsames Auge auf sie haben. Alter, und sie nicht dem ersten besten an den Hals werfen. Was ist das für ein Getreibe mit dem Maler, dem Rudolf Elmer? Ein hergelaufener Bursch, der oft das trockne Brot nicht im Hause haben mag. Ihr solltet Euch vorsehen, Claus. Wer bürgt Euch für seine Gesinnung? Niemand ist da, der ihn kennt, der von ihm aussagen kann. Er thut es selber mit argen Posaunenstößen, rühmt sich des Guten, geberdet sich absonderlich, und thut, als wär’ er

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