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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

Aber kennen wir nicht auch vortreffliche? Den Wasserträger, Joseph in Aegypten, Freischütz, Fidelio? Freilich giebt es Componisten, deren Musik zu ihrem Texte paßt, wie die Faust auf’s Auge. Aber gehören unter diese Componisten auch Gluck, Mozart, Beethoven, C. M. v. Weber, Cherubini, Mehul? Freilich giebt es eitle Sänger, die von dramatischem Ausdruck nichts wissen, und nur ihre Stimme hören lassen wollen. Aber gehören darunter die Schröder-Devrient, Lind, Pasta?

Ihr seht aus diesen wenigen Beispielen schon, liebe Leser, daß Wagner die Dinge dieser Welt anders sieht oder anders zu sehen vorgiebt, als andere Menschen.

Trotzdem hat er eine Anzahl Gläubiger gewonnen, die auf seine Worte schwören wie auf das Evangelium. Die Ursache liegt wahrscheinlich in der Art seiner Darstellung. Er schreibt sehr bestechend und sehr entschieden. Er drückt alle seine Gedanken wie Axiome aus, d. h. wie selbstverständliche unleugbare Grundsätze. Damit gewinnt man aber viele Menschen leicht. Behauptet etwas nur ganz entschieden, und wäre es das Tollste, wenige werden dann zu zweifeln wagen. Wagner duldet keine Einrede. Was er sagt, das muß so und kann gar nicht anders sein. Wer einen Einwurf gegen ihn wagt, den erklärt er im Voraus für einen Schwachkopf und seinen Feind. Er drückt sich nämlich in seinem Vorwort zu seinen „drei Operndichtungen“ ungefähr so aus:

„Wer nicht meiner Meinung ist, versteht mich nicht.“

„Wer mich nicht versteht, ist mein Freund nicht und liebt mich nicht.“

„Wer mein Freund sein und mich lieben soll, muß eine ähnliche Denk- und Gefühlsweise haben, wie ich.“

„Er muß mich nicht mit dem reinen Verstand, sondern mit dem künstlerisch gebildeten Gefühle erfassen.“

Da er nun in seinen Schriften die Ueberzeugung kund giebt, daß er ein besseres Einsehen in die Kunst habe, als irgend ein menschlicher Geist je vor ihm gehabt, so könnt Ihr Euch wohl denken, daß er Leute gefunden, die sich für seine Freunde erklären, die ihn lieben wollen, denn dadurch beweisen diese erstens, daß sie ihn verstehen, zweitens, daß sie eine ähnliche Denk- und Gefühlsweise haben, wie er, drittens, daß sie ein künstlerisch gebildetes Gefühl besitzen, und daß sie demnach viertens die wenigen Glücklichen sind, die sich mit Wagner aus dem Pfuhle der gemeinen, frivolen Sinnlichkeit, in welchem die ganze übrige gegenwärtige Welt watet, emporheben. Wagner selbst räsonnirt aber oft über Andere in einer höchst verächtlichen und bitteren Weise.

Was sagt Ihr zu folgendem Pröbchen?

„Was Mendelssohn und Meyerbeer künstlerisch kundgeben wollen, kann nur das Gleichgültige und Triviale sein. Sie können den frühern Meistern nur sinnlos nachreden, und zwar ganz peinlich genau und täuschend ähnlich, wie Papageien menschliche Worte und Reden nachpapeln. Nur ist bei der nachäffenden Sprache dieser jüdischen Musikmacher eine besondere Eigenthümlichkeit bemerkbar, die der jüdischen Sprach- und Singweise. Den jüdischen Musikern bietet sich, als einziger musikalischer Ausdruck ihres Volkes nur die musikalische Feier ihres Jehovadienstes dar. Ihr einziger Quell, aus dem sie ihre ihnen verständliche, volksthümliche Motive für ihre Kunst schöpfen, ist die Synagoge. So daß uns jüdische Musikwerke oft den Eindruck machen, als wenn z. B. ein Goethe’sches Gedicht in jüdischem Jargon vorgelesen würde.

Ich brauche kaum zu bemerken, daß in seinen Schriften auch gute Gedanken vorkommen. Die sind zwar geistvoll und blendend ausgedrückt, in ihrem Kern jedoch durchaus nicht neu.

Dieser sonderbare Mann verschließt sein Auge für Alles, was unsere Zeit an Großem und Gutem hervorbringt, und öffnet es nur, wenn das Kleine und Schlechte an ihm vorüberzieht. Er will von seinen Zeitgenossen geliebt sein, und sagt ihnen mit größter Bitterkeit in’s Gesicht, daß er sie haßt und verachtet. Dennoch schreibt, dichtet und componirt er für sie. Freilich sagt er, nicht für sie, sondern für die Zukunft. Darüber wollen wir indessen hinweggehen.

Und doch – sollte er in späteren Jahren seine Irrthümer einsehen, daß er sie gedruckt in die Welt ausgestreut, wird er schwerlich bereuen. Seine Opern lagen lange Zeit wie schwer befrachtete Segelschiffe bei gänzlicher Windstille im Hafen fest gebannt. Da fuhr er mit seinen Schriften auf, und die erregten einen solchen Wind, daß seine kleine dramatische Flotte in Bewegung kam und jetzt mit vollen Segeln auf dem Meere des Ruhmes dahin schwimmt. Er wurde, wie ein Anhänger sich anders ausdrückt, „sein eigener Apostel“ und seitdem setzen seine Jünger das Geschäft unausgesetzt und mit dem besten Erfolge fort. Gewiß ist, daß noch nie über einen Künstler so viel geschrieben worden ist und fortwährend geschrieben wird, und daß ohne diesen die Neugierde immer mehr spannenden und die Aufmerksamkeit stets auf ihn fixirenden Journalrumor, gleichviel ob für oder gegen ihn, seine Opern gewiß ihre relative Bedeutung und Wirkung erhalten und behalten, schwerlich aber das Publikum so angezogen haben würden, als es gegenwärtig der Fall ist. Man kann nicht behaupten, aber man darf vermuthen, daß seine Dichtungen und Compositionen der Macht, der er sie eigentlich gewidmet haben will, der Zukunft nämlich, nicht als die unbedingt vollkommensten Leistungen erscheinen werden.

Wie dem auch sei, wir verlassen jetzt den Schriftsteller Wagner und wenden uns zu

Wagner dem Operndichter.

Da wird uns gleich besser zu Muthe. Da treffen wir auf einen Geist von herrlicher dramatisch-poetischer Begabung, die er namentlich in seinen Texten zum Tannhäuser und Lohengrin auf’s Unzweifelhafteste offenbart hat. Nicht daß wir seine Dramen für die unbedingt besten erklären wollten.

Die schwächste Seite an den Wagner’schen beiden Hauptopern scheint mir in den Charakteren seiner Personen zu liegen. Tannhäuser begeht vor unseren Augen fast nur Schlechtigkeiten. Wir erblicken ihn zuerst in den Armen der Venus vulgata, der gemeinen sinnlichen Liebe. Er entflieht ihr zwar, richtet aber, auf die Oberwelt zurückgekehrt, durch sein niedriges Benehmen am Hofe des Landgrafen die edle, reine Elisabeth, seine frühere Geliebte, zu Grunde. Seine Reue kann uns nicht mit ihm versöhnen, da er zuletzt wieder in den Venusberg zurück will. Wir wünschten, daß dieser elende Wollüstling, anstatt plötzlich zu sterben, von den Furien der Reue und der Verachtung aller redlichen Menschen noch einige Zeit gepeinigt würde, denn ein wenig rachsüchtig sind wir alle.

Was Lohengrin thut, ist auch nicht viel werth. Er kämpft für ein unschuldig angeklagtes Weib, doch stehen ihm übernatürliche Kräfte bei. Elsa ist reizend gezeichnet, kann aber in der Brautnacht ihre Neugierde nicht bezwingen, thut die ihr von Lohengrin verbotene Frage, und verliert von diesem Augenblick an unsere Theilnahme.

Sollen wir an den Thaten des Tannhäuser sehen, daß die gemeine Sinnlichkeit zum Verderben, an dem Benehmen Elsa’s, daß die Neugierde in’s Unglück führen kann, so wird gelehrt, was alle Menschen wissen, zurückgeschreckt von diesen Lastern und Fehlern wird durch die dramatische Darstellung derselben keiner, in dem die Neigung dazu vorhanden.

Es giebt aber noch andere Mittel des Interesses in den Dramen. Bedeutende, ungewöhnliche, großartige, rührende, spannende, furchterweckende Situationen.

Wenn Tell gezwungen wird, von dem Haupte seines Söhnchens einen Apfel zu schießen, so ist das eine schrecklicke Lage, und jeder Mensch, der ihr beiwohnt, muß auf das Tiefste davon ergriffen werden. Man braucht gar nichts Besonderes als Charakter dabei zu sehen, es genügt, daß Tell Vater ist. Weiß uns der Dichter nur die Situation, die Lage recht lebendig anschaulich zu machen, so kann eine bedeutende Wirkung nicht ausbleiben.

Diese Dichtergabe besitzt Wagner in hohem Grade. Er bringt seine Hauptpersonen, wenn nicht stets, doch oft in interessante Lagen, und wenn diese, etwa blos kurz und trocken erzählt, nichts Besonderes wären, so versteht er doch, sie durch die dramatische Ausführung so lebendig und wahrscheinlich darzustellen, daß wir im Augenblick der Anschauung wie an wirklich vorgehende Ereignisse glauben müssen.

Ein weiteres Mittel uns theatralisch zu interessiren, liegt in der Schilderung der Leidenschaften und Affekte. Nachdem Tell den Apfel geschossen, ahnt man, was in dem Busen dieses Mannes vorgehen muß. Als er nun nach der Frage des Landvoigts die bekannte Antwort herausdonnert, so empfinden wir den furchtbaren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1854). Ernst Keil, Leipzig 1854, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1854)_242.jpg&oldid=- (Version vom 19.2.2017)