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verschiedene: Die Gartenlaube (1854)

als seien diese ihm von dorther gekommen, die hatte er entweder im Spiel gewonnen oder durch irgend einen glücklichen Zufall, wo nicht durch einen tollen Gewaltstreich erpreßt oder erborgt. Jetzt aber, wo sein Credit längst überall zu Ende, der Rathsherr und Wirth nicht länger borgen und mit der Zahlung sich gedulden wollten, und eine Fehde der Stadt, wo vielleicht etwas zu erschnappen sei, auch nicht in Aussicht stand, jetzt sah der Pole wohl ein, daß er entweder noch vor Ablauf des dritten Tages die Flucht ergreifen oder in den Schuldthurm wandern müsse. Mit diesen Betrachtungen beschäftigt, schritt Wranitzky seiner nah am Gerberthore gelegenen Herberge zu und schon wollte er in dieselbe eintreten, als plötzlich das Jammergeschrei mehrerer Landleute, die in ängstlicher Hast sich zum Gerberthore hereindrängten, seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Er eilte den nach der innern Stadt Flüchtenden entgegen, denen in immer stärkern Haufen die Bewohner der umliegenden Dörfer folgten, und erfuhr, daß ein feindlicher Reiterschwarm gar übel vor den Thoren der Stadt hause und bald auch in dieselbe eindringen werde. Zu gleicher Zeit rief von der Ortenburg herab die Lärmtrommel Bautzens Bürger zu den Waffen, und der Anblick der mit ihrem Viehe und den in Eile zusammengerafften Habseligkeiten in die Stadt flüchtenden Landvolke, so wie der mit den Waffen herbeieilenden Bürger, in deren Gesichtern zum großen Theil statt kecker Muth nur Furcht und Bestürzung zu lesen war, ließ den mit seiner eigenen Flucht beschäftigt gewesenen Polen das Unangenehme seiner Lage vergessen, und seinen tollen wilden Muth wieder findend, eilte er dem Thore zu, dessen schwache Besatzung durch ein Fähnlein Defensioner verstärkt wurde, welchen er sich anschloß, da er stets mit einem großen Schlachtschwert gewappnet einherging, und Alles, was er sein Eigenthum nannte, bei sich trug.

Er hatte noch nicht lange bei der Besatzung des Thores verweilt und sich schon der frohen Hoffnung hingegeben, daß die Stadt in irgend eine Fehde verwickelt und unter solchen Umständen der Rathsherr und Herbergswirth auf längere Zeit mit ihren Forderungen zurücktreten würden, als ein die braunschweigschen Farben tragender Kriegshauptmann nebst einem Trompeter sich dem Thore näherte und im Namen des Herzogs von Braunschweig Einlaß und Durchzug eines gegen tausend Mann starken Reiterhaufens verlangte, welche auf Kosten des Herzogs gegen die Türken geworben worden waren und nun bei Leipzig sich mit denjenigen Heerhaufen vereinigen sollten, welche der Churfürst August von Sachsen dem Kaiser Ferdinand I. zu Hülfe sendete.

Dieses Reitergeschwader war nun mit den Bewohnern derjenigen Dorfschaften, welche es auf seinem Zuge berührt, nicht eben glimpflich verfahren, und die Landleute der Bautzen nahe gelegenen Dörfer, noch ärgere Gewaltthätigkeiten befürchtend, hatten daher sich in die befestigte Stadt geflüchtet, noch ehe die Reiter dieselbe erreichten und nun, den Fliehenden auf dem Fuße folgend, das Oeffnen der Thore derselben verlangten. Der Magistrat, welcher durch Aufstellung von zweihundert Hakenschützen und achthundert Mann bewaffneter Bürger von dieser Reitertruppe für die Sicherheit der Stadt nichts zu fürchten brauchte, ließ, um der Entwicklung seiner Macht die nöthige Zeit zu gönnen, den Kriegshauptmann eine geraume Zeit warten, ehe die Antwort durch Oeffnen des Gerberthores erfolgte, durch welches diesen Truppen der Zug durch die Stadt gestattet wurde, auf deren Marktplätzen die Reiter auf einige Stunden absaßen und einen Imbiß gereicht erhielten, während die Befehlshaber derselben die Einladung erhielten, im Rathskeller als Gäste des Magistrats sich zu betrachten, und von wo aus an die Reiterhaufen der Befehl erging, die außerhalb der Stadt liegenden Dörfer als Nachtquartier zu wählen und strenge Mannszucht zu halten; eine kleine Abtheilung Reiter nebst den vornehmsten Führern und deren Bedienung erhielt Quartier in den Herbergen der Stadt, und nach wenig Stunden war die Ruhe in- und außerhalb Bautzens wiederhergestellt, nur erhielt, so lange die Reitergeschwader in der Nähe, die bewaffnete Stadtmacht die Weisung, jeden Augenblick gewärtig zu sein, auf ihren Sammelplätzen erscheinen zu müssen.

Höchst unzufrieden mit diesem ruhigen Verlauf des Truppendurchzugs schritt Wranitzky beim Herannahen der Nacht seiner Herberge zu, in welcher ein Werbeoffizier nebst einem Stallmeister der fremden Reiter Platz genommen, und Letzterer sich in den Besitz des von dem Polen bisher bewohnt gewesenen Gemachs befand, da der Wirth das blanke Gold der fremden Gäste den Vertröstungen des zahlungsunfähigen ältern Gastes vorgezogen hatte, und diesem, welcher unwillig über diesen Eingriff in seine Gerechtsame, den Wirth frug, was dies bedeuten solle, ziemlich barsch andeutete, daß er heute im Stalle mit einer Lagerstätte vorlieb nehmen müsse, morgen aber die Herberge zu seiner Aufnahme verschlossen finden würde.

Wranitzky, ohnedem schon unwirsch und zu Händeln aufgelegt, gerieth über dies Gebahren des Wirths in heftige Wuth und schwur hoch und theuer, diesen Schimpf blutig zu rächen, stürmte dann, den Wirth bei Seite werfend, nach seinem Gemache, aus welchem eben der braunschweigische Stallmeister trat. Aber kaum hatte der Pole den Fremden erblickt, als er das schon gezogene Schwert in die Scheide zurückstieß und auch der Stallmeister nun im Tone freudiger Ueberraschung ausrief:

„Wranitzky! Ihr hier?!“

„So ist’s!“ entgegnete dieser und wechselte mit dem Stallmeister einen herzlichen Händedruck.

„Aber warum war denn Euer Schwert so schnell aus der Scheide auf dem Wege zu mir,“ fuhr lächelnd der Stallmeister fort. „Wolltet Ihr hier oben in diesem Dachsbau einen Gang auf Leben und Tod versuchen, wenigstens saht Ihr grimmig genug aus, als ich Euch soeben erblickte.“

„Daran ist dieser Schuft von Wirth schuld,“ rief Wranitzky, und warf einen Blick finstern Grolles auf den Herbergsbesitzer. „Er hatte mein Gemach ohne mich zu befragen, Euch überlassen und ich war eben im Begriff, den neuen Bewohner aus demselben zu vertreiben, als ich Euch, einen alten, treu bewährten Freund erblickte, dem ich es ohne Händel nun überlasse.“

„Und der es mit Euch theilen wird, wie wir so manch ärmlich Lager getheilt, denn weichlicher seid Ihr nicht geworden, das sehe ich an diesem Schlupfwinkel, in welchem Ihr Euch eingemiethet,“ lachte der Stallmeister.

„Ich werde sogleich Decken besorgen, um ein zweites Lager da drinnen aufzuschlagen,“ bemerkte nun der Wirth, froh, daß durch die von ihm dem Polen zugefügte Beleidigung keine Händel mit dem Fremden herbeigeführt worden waren, und entfernte sich, der Stallmeister aber ergriff Wranitzky’s Arm und zog diesen in die Gaststube, um mit demselben hinter einem Kruge Meth sich des unverhofften Wiedersehens zu erfreuen.

Als daher die Schaarwache Abends zehn Uhr den Bewohnern der Herberge anbefahl, sich zur Ruhe zu begeben und nur der Wirth noch in Haus und Hof nachsah, ob Thür und Thor gut verschlossen, da saßen die beiden Freunde noch in traulichem Gespräch hinter dem schon mehrmals frisch gefüllten Methkruge.

„Bei meinem Schutzpatron,“ sprach jetzt Wranitzky mit einem Anfluge bitterer Wehmuth, „ich hab’ wahrhaftig mich nicht zu beklagen, daß mir das Glück auf den Fersen folgt, denn Ihr könnt mir’s bezeugen, alter Freund, wie hochgeachtet ich stand, als wir uns trafen im Hoflager des Königs Sigismund. Und jetzt, jetzt sehe ich in diesem erbärmlichen Krämerneste dem Schuldthurm entgegen, in welchen mich ein Gläubiger senden will, der, wenn ich ihn nicht gerettet, längst der Würmer Speise geworden wäre. Ha, wüßte mein fürstlicher Oheim dies, er würde in dieser schmachvollen Lage nicht länger den letzten Sproß unseres altadeligen Geschlechts verkümmern lassen.“

„Hört, Wranitzky.“ entgegnete der Stallmeister ernst, „ich habe Euch vor zwei Jahren kennen gelernt als ein junges, lustiges Blut, dessen Geldsäckel all seinen Freunden offen stand, und auch mir, der ich in preßhaften Verhältnissen in Eurem wilden Polenlande mich befand und dort hülflos von meinem damaligen Herrn, dem Grafen von Hoya, zurückgelassen worden war. Ihr habt mir dort redlich beigestanden, und mir viel erzählt von Eurem hohen Adel und mächtigen Verwandten, aber seht, ich habe Euch damals schon gesagt, daß Ihr ein toller Narr seid, der in’s Blaue hinein lebt und sich mit solchem Blendwerk brüstet, und auf einen Fürstbischof pocht, der gar nicht als Oheim für Euch vorhanden.“

„Bei meinem Schwerte!“ fuhr der Pole auf und wollte sich vertheidigen.

„Bleibt nur ruhig sitzen,“ entgegnete lachend der Stallmeister. „Mir macht Ihr es doch nicht glaubend, und selbst wenn ich Euch den Gefallen thun wollte, Eure Hirngespinnste für Wahrheit zu nehmen, was würde es Euch helfen? Nichts! Denn wenn Ihr bis übermorgen nicht zahlen könnt, so wirft man Euch, ohne sich um Euern Adel und Euern Oheim zu kümmern, in den Schuldthurm.“

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